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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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so hat diese Abweichung sogar augenscheinlich in der Sache selbst ihren guten
Grund. Wenn aber bei Anführung eines Gewährsmannes oder bei Erwähnung
einer entgegengesetzten Ansicht der eine nur den Namen nennt, der andere
auch das Buch hinzufügt, so möchte man doch hierin etwas Consequenz
beobachtet wissen, und allerdings wird es das Richtigste sein, immer genau
zu citiren; es braucht dies ja nicht in gelehrt aussehenden Anmerkungen am
Fuße des Textes, sondern es kann mitten im Texte geschehen.

Größere Abweichungen noch treten in der Art der Darstellung hervor.
Recht eigentlich pädagogisch, und darauf kommt's doch an, haben nur Eisen¬
mann und Schmidt die Sache angegriffen; sie setzen nichts voraus, geben
eine einfache und klare Darlegung des Materials und leiten den Leser an,
selber die Consequenzen daraus zu ziehen ; man hat, wenn man fertig ist mit
Lesen, das Bewußtsein, daß man etwas Ordentliches gelernt hat. Lemcke
dagegen vergißt, für wen er schreibt; er möchte vor allem geistreich sein, und
darauf kommt's doch gar nicht an, er entfaltet sein vielseitiges Wissen
und liebt Anspielungen, Beziehungen und Bergleiche, die für den Eingeweihten
sehr instructiv sein mögen, mit denen aber der Laie schlechterdings nichts
anzufangen weiß. Was nützt mir, wenn ich mich über Tcrborch belehren
möchte, die Parallele mit Philipp von Zehen und seiner "Adriatischen Rosa¬
mund?" (In Lemcke's Literaturgeschichte findet sich natürlich bei Zehen die
umgekehrte Anspielung an Terborch!) Was hilft mir, um mir Terborch's
Jugendanschauungen zu vergegenwärtigen, die Aufforderung, an Terbrüggen
zu denken? Wenn ich nun Terbrüggen noch viel weniger kenne, als Terborch?
Ein andermal soll ich mich wieder an Elzheimer und Poelenburg "erinnern". Wie
fange ich das an, wenn ich vielleicht noch gar nichts von ihnen gehört habe?

Am größten erscheinen natürlich die Gegensätze, wenn wir auf die sprach¬
liche Seite der Darstellung achten. Lemcke ist eine durchaus dichterische Natur,
und so legt selbst die belehrende Prosa bei ihm reichen rhetorischen Schmuck
an. Was er schreibt, klingt gar nicht wie um gelesen, sondern wie um mit
volltönenden Organ gesprochen zu werden. Wir geben ein Stück als Probe
und wählen dazu gleich den Eingang:

"Als im Anfang des 17. Jahrhunderts die Holländer auch in der
Malerei neue Reiche entdeckten und in Besitz nahmen, da entstanden unter
ihnen drei Genremaler, die wie Königssöhne im Märchen die verschiedenen
Stände ihres Volkes unter einander vertheilten, um sich zu künstlerischen
Herrschern darüber aufzuschwingen: Gerhard Terborch, Gerhard Don und
Adriaen von Ostade. Der erste wählte sich den höheren, der zweite den
mittleren, der dritte den niederen Gesellschaftskreis. -- Es waren hochbegabte
Männer. Sie wurden die Ersten ihrer Art für ihre Zeit, was in dieser
Blüthenepoche genialer Kräfte und trefflicher Talente viel besagt, und sie sind,


so hat diese Abweichung sogar augenscheinlich in der Sache selbst ihren guten
Grund. Wenn aber bei Anführung eines Gewährsmannes oder bei Erwähnung
einer entgegengesetzten Ansicht der eine nur den Namen nennt, der andere
auch das Buch hinzufügt, so möchte man doch hierin etwas Consequenz
beobachtet wissen, und allerdings wird es das Richtigste sein, immer genau
zu citiren; es braucht dies ja nicht in gelehrt aussehenden Anmerkungen am
Fuße des Textes, sondern es kann mitten im Texte geschehen.

Größere Abweichungen noch treten in der Art der Darstellung hervor.
Recht eigentlich pädagogisch, und darauf kommt's doch an, haben nur Eisen¬
mann und Schmidt die Sache angegriffen; sie setzen nichts voraus, geben
eine einfache und klare Darlegung des Materials und leiten den Leser an,
selber die Consequenzen daraus zu ziehen ; man hat, wenn man fertig ist mit
Lesen, das Bewußtsein, daß man etwas Ordentliches gelernt hat. Lemcke
dagegen vergißt, für wen er schreibt; er möchte vor allem geistreich sein, und
darauf kommt's doch gar nicht an, er entfaltet sein vielseitiges Wissen
und liebt Anspielungen, Beziehungen und Bergleiche, die für den Eingeweihten
sehr instructiv sein mögen, mit denen aber der Laie schlechterdings nichts
anzufangen weiß. Was nützt mir, wenn ich mich über Tcrborch belehren
möchte, die Parallele mit Philipp von Zehen und seiner „Adriatischen Rosa¬
mund?" (In Lemcke's Literaturgeschichte findet sich natürlich bei Zehen die
umgekehrte Anspielung an Terborch!) Was hilft mir, um mir Terborch's
Jugendanschauungen zu vergegenwärtigen, die Aufforderung, an Terbrüggen
zu denken? Wenn ich nun Terbrüggen noch viel weniger kenne, als Terborch?
Ein andermal soll ich mich wieder an Elzheimer und Poelenburg „erinnern". Wie
fange ich das an, wenn ich vielleicht noch gar nichts von ihnen gehört habe?

Am größten erscheinen natürlich die Gegensätze, wenn wir auf die sprach¬
liche Seite der Darstellung achten. Lemcke ist eine durchaus dichterische Natur,
und so legt selbst die belehrende Prosa bei ihm reichen rhetorischen Schmuck
an. Was er schreibt, klingt gar nicht wie um gelesen, sondern wie um mit
volltönenden Organ gesprochen zu werden. Wir geben ein Stück als Probe
und wählen dazu gleich den Eingang:

„Als im Anfang des 17. Jahrhunderts die Holländer auch in der
Malerei neue Reiche entdeckten und in Besitz nahmen, da entstanden unter
ihnen drei Genremaler, die wie Königssöhne im Märchen die verschiedenen
Stände ihres Volkes unter einander vertheilten, um sich zu künstlerischen
Herrschern darüber aufzuschwingen: Gerhard Terborch, Gerhard Don und
Adriaen von Ostade. Der erste wählte sich den höheren, der zweite den
mittleren, der dritte den niederen Gesellschaftskreis. — Es waren hochbegabte
Männer. Sie wurden die Ersten ihrer Art für ihre Zeit, was in dieser
Blüthenepoche genialer Kräfte und trefflicher Talente viel besagt, und sie sind,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/416>, abgerufen am 26.06.2024.