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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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wartet. Ein vornehmer Herr oder Fürst wird im Palaste des Taikun zu
Jeddo von einem andern Fürsten, der ihm Unterricht im (Zeremoniell bei
Empfang eines Gesandten ertheilen soll, und der sich als habgieriger und
niedrigdenkender Geist von ihm dafür nicht genügend honorirt findet, gröblich
beleidigt. Entrüstet hierüber, versucht er den Unverschämter zu tödten, ver¬
wundet ihn aber nur und wird darauf verhaftet und als Breher des Friedens
in der Residenz verurtheilt, sich durch das bekannte Harakiri selbst zu entleihen.
Darauf beschließen siebenundvierzig seiner Vasallen, den Tod ihres Herrn an
seinem Beleidiger zu rächen. Derselbe ist indeß auf seiner Hut, und so gilt
es zunächst, ihn sicher zu machen. Dieß geschieht dadurch, daß die
Verschworenen sich zerstreuen und als Handwerker und Kaufleute in der
Nähe ihres Feindes Beschäftigung suchen, und daß ihr Anführer Oischi
Kuranosuke sich einem liederlichen Leben, dem Wein und den Weibern ergiebt.
Eines Tages fällt er betrunken auf der Straße hin und schläft ein. Die
Vorübergehenden lachen und spotten über ihn, und Einer ruft aus: "Siehe
da, ist das nicht Oischi Kuranosuke? O Schande! Er hat nicht das Herz,
seinen Herrn zu rächen. Seht, wie er schmählich betrunken auf offner Straße
liegt! Ein treuloser Mensch, ein Narr, ein Feigling! Unwürdig des Namens
eines edlen Samurai" (Mannes von der Kriegerkaste). Und er giebt Kurano¬
suke einen Fußtritt und speit ihn an. Durch solche und ähnliche Manöver
beruhigt, vernachlässigt der von den Verschwornen ins Auge Gefaßte seine
Vorsichtsmaßregeln, und in einer finstern Nacht wird er von jenen in seinem
Hause überfallen und, nachdem er ihren demüthigen Bitten, sich selbst zu
todten, aus Feigheit nicht entsprochen, von Kuranosuke niedergeworfen und
enthauptet. Darauf ziehen die Rächer nach dem Grabe ihres Herrn, um den
Kopf seines Gegners darauf nieder zu legen. Jedermann lobt ihren Muth
Und ihre Treue. Ein Fürst, an dessen Palast sie vorüberschreiten, läßt sie
feierlich empfangen und bewirthen. Sie haben nach der Vorschrift Konfutses
gehandelt: "Du sollst nicht leben unter demselben Himmel und nicht betreten
dieselbe Erde mit dem Feinde deines Vaters oder deines Herrn." Aber das
Gesetz des Landes verurtheilt sie zur Selbstentleibung, und sie vollziehen sie
..entschlossen und furchtlos, wie sich's für Edelleute geziemt." Ihre Leiber
werden vor dem Grabmale ihres Herrn beerdigt. Das Volk kommt in Haufen
herzu, um auf ihren Gräbern zu beten. Darunter ist auch der, welcher Oischi
Kuranosuke einst mit Füßen getreten und ihn angespielt. Er kommt, um
'du um Verzeihung zu bitten und ihm Genugthuung zu geben, indem er sich
bus dem Grabe des Todten ersticht, worauf ihn der Hauptpriester mitleidig
"eben den Ronins begräbt. Das Ganze ist ein blutiges Bild wilder Vasallen-
treue, ein mongolisches Seitenstück zum Nibelungenliede der germanischen
Vöcke, Die Japaner sind noch heute voll Bewunderung über die That


wartet. Ein vornehmer Herr oder Fürst wird im Palaste des Taikun zu
Jeddo von einem andern Fürsten, der ihm Unterricht im (Zeremoniell bei
Empfang eines Gesandten ertheilen soll, und der sich als habgieriger und
niedrigdenkender Geist von ihm dafür nicht genügend honorirt findet, gröblich
beleidigt. Entrüstet hierüber, versucht er den Unverschämter zu tödten, ver¬
wundet ihn aber nur und wird darauf verhaftet und als Breher des Friedens
in der Residenz verurtheilt, sich durch das bekannte Harakiri selbst zu entleihen.
Darauf beschließen siebenundvierzig seiner Vasallen, den Tod ihres Herrn an
seinem Beleidiger zu rächen. Derselbe ist indeß auf seiner Hut, und so gilt
es zunächst, ihn sicher zu machen. Dieß geschieht dadurch, daß die
Verschworenen sich zerstreuen und als Handwerker und Kaufleute in der
Nähe ihres Feindes Beschäftigung suchen, und daß ihr Anführer Oischi
Kuranosuke sich einem liederlichen Leben, dem Wein und den Weibern ergiebt.
Eines Tages fällt er betrunken auf der Straße hin und schläft ein. Die
Vorübergehenden lachen und spotten über ihn, und Einer ruft aus: „Siehe
da, ist das nicht Oischi Kuranosuke? O Schande! Er hat nicht das Herz,
seinen Herrn zu rächen. Seht, wie er schmählich betrunken auf offner Straße
liegt! Ein treuloser Mensch, ein Narr, ein Feigling! Unwürdig des Namens
eines edlen Samurai" (Mannes von der Kriegerkaste). Und er giebt Kurano¬
suke einen Fußtritt und speit ihn an. Durch solche und ähnliche Manöver
beruhigt, vernachlässigt der von den Verschwornen ins Auge Gefaßte seine
Vorsichtsmaßregeln, und in einer finstern Nacht wird er von jenen in seinem
Hause überfallen und, nachdem er ihren demüthigen Bitten, sich selbst zu
todten, aus Feigheit nicht entsprochen, von Kuranosuke niedergeworfen und
enthauptet. Darauf ziehen die Rächer nach dem Grabe ihres Herrn, um den
Kopf seines Gegners darauf nieder zu legen. Jedermann lobt ihren Muth
Und ihre Treue. Ein Fürst, an dessen Palast sie vorüberschreiten, läßt sie
feierlich empfangen und bewirthen. Sie haben nach der Vorschrift Konfutses
gehandelt: „Du sollst nicht leben unter demselben Himmel und nicht betreten
dieselbe Erde mit dem Feinde deines Vaters oder deines Herrn." Aber das
Gesetz des Landes verurtheilt sie zur Selbstentleibung, und sie vollziehen sie
..entschlossen und furchtlos, wie sich's für Edelleute geziemt." Ihre Leiber
werden vor dem Grabmale ihres Herrn beerdigt. Das Volk kommt in Haufen
herzu, um auf ihren Gräbern zu beten. Darunter ist auch der, welcher Oischi
Kuranosuke einst mit Füßen getreten und ihn angespielt. Er kommt, um
'du um Verzeihung zu bitten und ihm Genugthuung zu geben, indem er sich
bus dem Grabe des Todten ersticht, worauf ihn der Hauptpriester mitleidig
"eben den Ronins begräbt. Das Ganze ist ein blutiges Bild wilder Vasallen-
treue, ein mongolisches Seitenstück zum Nibelungenliede der germanischen
Vöcke, Die Japaner sind noch heute voll Bewunderung über die That


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/391>, abgerufen am 26.06.2024.