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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Wir übergehen die neueren Mordekstasen, von denen die namhaftesten
in dem bedeutungsvollen Gegensatz der Bartholomäusnacht und der Priester¬
schlächterei unter dem Terrorismus der Revolutionszeit hervortreten. Nur
so viel ergiebt sich aus der letzteren Erscheinung, so wie aus der scheußlichen
Petroleumekstase der neuesten Zeit, daß die Quelle der Maaßlosigkeiten nicht
in der Religion selbst liegt, sondern in jener nationalen Leidenschaftlichkeit,
welche selbst Voltaire als tigerartig soll bezeichnet haben, obschon die Religion
das gewöhnlichere Medium der Aufregung ist, und selbst eine atheistische
Disposition derselben wieder den Charakter einer neuen Religion oder Ver¬
götterung annimmt. Zum Belege des Gesagten dient die Bemerkung, daß
die genannten pathologischen Ekstasen in den verschiedensten Farben geistiger
Richtung vorkommen: antiprotestantische und protestantische, antijesuitische
oder jansenistische und jesuitische. Es versteht sich, daß die letzteren den
Culminationspunkt bilden, denn in dem französischen Jesuitismus fließen
die zwei der größten weltgeschichtlichen Leidenschaften in Einen Paroxis-
mus zusammen.

Die erste Form charakterisiren wir nur mit Worten des französischen
Literaturhistorikers Demogeot, in dem Abschnitt: s.ciL prödieatours et" la
Inguo 1'a.g. 300 it. "Henri IV. 6erlvuit: "l'out mon mal vivut <1v In
elmiro." -- I/61oqll<nov et"s prüäivatours Mr1a.it qu,v1yueko!L aux ?vux
lin pour)1(; xar et' impogants spectaelvs. ^'"11" tut coelo xroet-'ssion on plus
alö cont willv xvrsonruzs portant clczs eivrgczs los 6toigna.loue tont <1' u"
coup ein s'öeriunt: "nie;u, ^tvigne^ ainsi la raeo dos Valois." tümoiu
ooulairs, "lui ne x"ut ner" suspect, Je; I'rotLstunt ^Vudign6, nous uttvstc;
on eos tvrmLS la Missanee eins 1a. diairo exortzait alors sür Jos "Sprits: --
OvL vsprits (ilevürcmt xvur un t"MM la. pluxart 6"s courages alö 1a. 1"'rain^
u un June clogrö <1e vunzvanees, <^ni scintoiont Jo Mök" (?) et 1e gloria-ux."

Daß der protestantische Geist in seiner reinen Gestalt auch den gallischen
Enthusiasmus nicht nur beherrschen, sondern auch zu einer eigenthümlich
schönen, graziösen Bildung veredeln kann, (wie selbst der christliche Humanist
mus annäherungsweise analoge Wirkungen hervorbringt) das haben die zahl¬
reichen französischen Flüchtlinge bewiesen, welche mit ihrem Glauben auch reiche
Schätze der Kultur und edler Charaktere nach Deutschland gerettet haben. Gleich¬
wohl ist es auch bei den verfolgten Protestanten am Ende zu einer tragischen Auf¬
regung gekommen in der Geschichte der Camisarden. Die Geschichte der Erhebung
der protestantischen Bewohner der Cevennen gegen die Dragonaden Ludwigs XIV.
ist bekannt. Tiek hat sie in seinem unvollendeten Roman: der Aufruhr in den
Cevennen von ihrer Schattenseite angefaßt, der Pfarrer Möves hat sie von ihrer
Lichtseite dargestellt, der Erlanger Theologe Chr. L. Hofmann hat sie erzählt nach
ihrem allmähligen Verlauf in seiner Geschichte des Aufruhrs in den Cevennen


Wir übergehen die neueren Mordekstasen, von denen die namhaftesten
in dem bedeutungsvollen Gegensatz der Bartholomäusnacht und der Priester¬
schlächterei unter dem Terrorismus der Revolutionszeit hervortreten. Nur
so viel ergiebt sich aus der letzteren Erscheinung, so wie aus der scheußlichen
Petroleumekstase der neuesten Zeit, daß die Quelle der Maaßlosigkeiten nicht
in der Religion selbst liegt, sondern in jener nationalen Leidenschaftlichkeit,
welche selbst Voltaire als tigerartig soll bezeichnet haben, obschon die Religion
das gewöhnlichere Medium der Aufregung ist, und selbst eine atheistische
Disposition derselben wieder den Charakter einer neuen Religion oder Ver¬
götterung annimmt. Zum Belege des Gesagten dient die Bemerkung, daß
die genannten pathologischen Ekstasen in den verschiedensten Farben geistiger
Richtung vorkommen: antiprotestantische und protestantische, antijesuitische
oder jansenistische und jesuitische. Es versteht sich, daß die letzteren den
Culminationspunkt bilden, denn in dem französischen Jesuitismus fließen
die zwei der größten weltgeschichtlichen Leidenschaften in Einen Paroxis-
mus zusammen.

Die erste Form charakterisiren wir nur mit Worten des französischen
Literaturhistorikers Demogeot, in dem Abschnitt: s.ciL prödieatours et« la
Inguo 1'a.g. 300 it. „Henri IV. 6erlvuit: „l'out mon mal vivut <1v In
elmiro." — I/61oqll<nov et«s prüäivatours Mr1a.it qu,v1yueko!L aux ?vux
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Daß der protestantische Geist in seiner reinen Gestalt auch den gallischen
Enthusiasmus nicht nur beherrschen, sondern auch zu einer eigenthümlich
schönen, graziösen Bildung veredeln kann, (wie selbst der christliche Humanist
mus annäherungsweise analoge Wirkungen hervorbringt) das haben die zahl¬
reichen französischen Flüchtlinge bewiesen, welche mit ihrem Glauben auch reiche
Schätze der Kultur und edler Charaktere nach Deutschland gerettet haben. Gleich¬
wohl ist es auch bei den verfolgten Protestanten am Ende zu einer tragischen Auf¬
regung gekommen in der Geschichte der Camisarden. Die Geschichte der Erhebung
der protestantischen Bewohner der Cevennen gegen die Dragonaden Ludwigs XIV.
ist bekannt. Tiek hat sie in seinem unvollendeten Roman: der Aufruhr in den
Cevennen von ihrer Schattenseite angefaßt, der Pfarrer Möves hat sie von ihrer
Lichtseite dargestellt, der Erlanger Theologe Chr. L. Hofmann hat sie erzählt nach
ihrem allmähligen Verlauf in seiner Geschichte des Aufruhrs in den Cevennen


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[0038] Wir übergehen die neueren Mordekstasen, von denen die namhaftesten in dem bedeutungsvollen Gegensatz der Bartholomäusnacht und der Priester¬ schlächterei unter dem Terrorismus der Revolutionszeit hervortreten. Nur so viel ergiebt sich aus der letzteren Erscheinung, so wie aus der scheußlichen Petroleumekstase der neuesten Zeit, daß die Quelle der Maaßlosigkeiten nicht in der Religion selbst liegt, sondern in jener nationalen Leidenschaftlichkeit, welche selbst Voltaire als tigerartig soll bezeichnet haben, obschon die Religion das gewöhnlichere Medium der Aufregung ist, und selbst eine atheistische Disposition derselben wieder den Charakter einer neuen Religion oder Ver¬ götterung annimmt. Zum Belege des Gesagten dient die Bemerkung, daß die genannten pathologischen Ekstasen in den verschiedensten Farben geistiger Richtung vorkommen: antiprotestantische und protestantische, antijesuitische oder jansenistische und jesuitische. Es versteht sich, daß die letzteren den Culminationspunkt bilden, denn in dem französischen Jesuitismus fließen die zwei der größten weltgeschichtlichen Leidenschaften in Einen Paroxis- mus zusammen. Die erste Form charakterisiren wir nur mit Worten des französischen Literaturhistorikers Demogeot, in dem Abschnitt: s.ciL prödieatours et« la Inguo 1'a.g. 300 it. „Henri IV. 6erlvuit: „l'out mon mal vivut <1v In elmiro." — I/61oqll<nov et«s prüäivatours Mr1a.it qu,v1yueko!L aux ?vux lin pour)1(; xar et' impogants spectaelvs. ^'«11» tut coelo xroet-'ssion on plus alö cont willv xvrsonruzs portant clczs eivrgczs los 6toigna.loue tont <1' u» coup ein s'öeriunt: „nie;u, ^tvigne^ ainsi la raeo dos Valois." tümoiu ooulairs, «lui ne x«ut ner« suspect, Je; I'rotLstunt ^Vudign6, nous uttvstc; on eos tvrmLS la Missanee eins 1a. diairo exortzait alors sür Jos «Sprits: — OvL vsprits (ilevürcmt xvur un t«MM la. pluxart 6«s courages alö 1a. 1«'rain^ u un June clogrö <1e vunzvanees, <^ni scintoiont Jo Mök« (?) et 1e gloria-ux." Daß der protestantische Geist in seiner reinen Gestalt auch den gallischen Enthusiasmus nicht nur beherrschen, sondern auch zu einer eigenthümlich schönen, graziösen Bildung veredeln kann, (wie selbst der christliche Humanist mus annäherungsweise analoge Wirkungen hervorbringt) das haben die zahl¬ reichen französischen Flüchtlinge bewiesen, welche mit ihrem Glauben auch reiche Schätze der Kultur und edler Charaktere nach Deutschland gerettet haben. Gleich¬ wohl ist es auch bei den verfolgten Protestanten am Ende zu einer tragischen Auf¬ regung gekommen in der Geschichte der Camisarden. Die Geschichte der Erhebung der protestantischen Bewohner der Cevennen gegen die Dragonaden Ludwigs XIV. ist bekannt. Tiek hat sie in seinem unvollendeten Roman: der Aufruhr in den Cevennen von ihrer Schattenseite angefaßt, der Pfarrer Möves hat sie von ihrer Lichtseite dargestellt, der Erlanger Theologe Chr. L. Hofmann hat sie erzählt nach ihrem allmähligen Verlauf in seiner Geschichte des Aufruhrs in den Cevennen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/38>, abgerufen am 26.06.2024.