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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Soweit in treumenschlichem Pflichteifer der Künstler, der uns eine MsNg.
Lulvunis gegeben. Der Referent L. von Rorrel verfügte: "dem aä No. 2SS30
veranlaßten Schreiben an den hiesigen Magistrat anzuschließen."

Die Wittwe hatte Beethovens Adel bestritten, und da Beethoven selbst
sein "van" ein holländisches Prädicat genannt, das eben nicht gerade Adeligen
beigelegt werde, und kein Diplom oder dergleichen aufweisen konnte, so sah
sich das k. k. Landrecht, das nur für Eximirte galt, genöthigt die Sache an
den bürgerlichen Magistrat abzugeben. Ging nun hier, wo man der Wittwe
günstiger gesinnt war, der Tanz erst recht los, sodaß erst nach zwei Jahren
durch dasselbe Landrecht, das jetzt als Appellationsinstanz eintrat, die Sache
wieder zu Beethovens Gunsten entschieden wurde, so ist bei all dem Zeitver¬
lust und Kummer, der dem großen Künstler hier angethan ward, doch das
Eine gewiß, daß sein eigenes Innere und menschliche Wesen dabei die tiefste
Erregung und Entwicklung erfuhr, und wir hätten diesen Künstler nicht so
wie wir ihn in der Neunten Symphonie und den Letzten Quartetten bewun¬
dern und verehren, wenn er nicht auch diese Probe seines rein menschlichen
Wesens durchzumachen gehabt und wirklich bestanden hätte. Daß der Erfolg
zunächst ein trauriger und das Ende gar Schrecken war, darf uns dabei nicht
beirren. Wir führen zum Schluß nur noch das eine Wort des Fräulein
Giannatafio an, als er den Knaben so unvermuthet und unmotivirt rasch
wieder aus diesem sicheren Gewahrsam genommen hatte: "Man sieht voll¬
kommen, daß sein Grübelgeist und seine Schwäche sür den Knaben volles
Recht über ihn erlangt." Aber daß der Knabe ihm unentbehrlich geworden
und es das reinste aller menschlichen Gefühle, das Bedürfniß zu lieben und
ein geliebtes Wesen um sich zu haben, war, was ihn beseelte und zu so
manchem Mißgriff in der Behandlung des Knaben führte, versöhnt uns nicht
blos mit diesen Mißgriffen selbst, sondern auch mit der Katastrophe, zu welcher
dieselben schließlich unausweichlich führen mußten. Der nähere Zusammen¬
hang der Sache ist bereits in dem obengenannten kleinen Buche "Eine stille
Liebe zu Beethoven" berührt worden und kann seine ausführliche Darstellung
nur in der Biographie selbst finden, deren letzter Band in diesem Herbst er¬
scheinen wird.




Soweit in treumenschlichem Pflichteifer der Künstler, der uns eine MsNg.
Lulvunis gegeben. Der Referent L. von Rorrel verfügte: „dem aä No. 2SS30
veranlaßten Schreiben an den hiesigen Magistrat anzuschließen."

Die Wittwe hatte Beethovens Adel bestritten, und da Beethoven selbst
sein „van" ein holländisches Prädicat genannt, das eben nicht gerade Adeligen
beigelegt werde, und kein Diplom oder dergleichen aufweisen konnte, so sah
sich das k. k. Landrecht, das nur für Eximirte galt, genöthigt die Sache an
den bürgerlichen Magistrat abzugeben. Ging nun hier, wo man der Wittwe
günstiger gesinnt war, der Tanz erst recht los, sodaß erst nach zwei Jahren
durch dasselbe Landrecht, das jetzt als Appellationsinstanz eintrat, die Sache
wieder zu Beethovens Gunsten entschieden wurde, so ist bei all dem Zeitver¬
lust und Kummer, der dem großen Künstler hier angethan ward, doch das
Eine gewiß, daß sein eigenes Innere und menschliche Wesen dabei die tiefste
Erregung und Entwicklung erfuhr, und wir hätten diesen Künstler nicht so
wie wir ihn in der Neunten Symphonie und den Letzten Quartetten bewun¬
dern und verehren, wenn er nicht auch diese Probe seines rein menschlichen
Wesens durchzumachen gehabt und wirklich bestanden hätte. Daß der Erfolg
zunächst ein trauriger und das Ende gar Schrecken war, darf uns dabei nicht
beirren. Wir führen zum Schluß nur noch das eine Wort des Fräulein
Giannatafio an, als er den Knaben so unvermuthet und unmotivirt rasch
wieder aus diesem sicheren Gewahrsam genommen hatte: „Man sieht voll¬
kommen, daß sein Grübelgeist und seine Schwäche sür den Knaben volles
Recht über ihn erlangt." Aber daß der Knabe ihm unentbehrlich geworden
und es das reinste aller menschlichen Gefühle, das Bedürfniß zu lieben und
ein geliebtes Wesen um sich zu haben, war, was ihn beseelte und zu so
manchem Mißgriff in der Behandlung des Knaben führte, versöhnt uns nicht
blos mit diesen Mißgriffen selbst, sondern auch mit der Katastrophe, zu welcher
dieselben schließlich unausweichlich führen mußten. Der nähere Zusammen¬
hang der Sache ist bereits in dem obengenannten kleinen Buche „Eine stille
Liebe zu Beethoven" berührt worden und kann seine ausführliche Darstellung
nur in der Biographie selbst finden, deren letzter Band in diesem Herbst er¬
scheinen wird.




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[0036] Soweit in treumenschlichem Pflichteifer der Künstler, der uns eine MsNg. Lulvunis gegeben. Der Referent L. von Rorrel verfügte: „dem aä No. 2SS30 veranlaßten Schreiben an den hiesigen Magistrat anzuschließen." Die Wittwe hatte Beethovens Adel bestritten, und da Beethoven selbst sein „van" ein holländisches Prädicat genannt, das eben nicht gerade Adeligen beigelegt werde, und kein Diplom oder dergleichen aufweisen konnte, so sah sich das k. k. Landrecht, das nur für Eximirte galt, genöthigt die Sache an den bürgerlichen Magistrat abzugeben. Ging nun hier, wo man der Wittwe günstiger gesinnt war, der Tanz erst recht los, sodaß erst nach zwei Jahren durch dasselbe Landrecht, das jetzt als Appellationsinstanz eintrat, die Sache wieder zu Beethovens Gunsten entschieden wurde, so ist bei all dem Zeitver¬ lust und Kummer, der dem großen Künstler hier angethan ward, doch das Eine gewiß, daß sein eigenes Innere und menschliche Wesen dabei die tiefste Erregung und Entwicklung erfuhr, und wir hätten diesen Künstler nicht so wie wir ihn in der Neunten Symphonie und den Letzten Quartetten bewun¬ dern und verehren, wenn er nicht auch diese Probe seines rein menschlichen Wesens durchzumachen gehabt und wirklich bestanden hätte. Daß der Erfolg zunächst ein trauriger und das Ende gar Schrecken war, darf uns dabei nicht beirren. Wir führen zum Schluß nur noch das eine Wort des Fräulein Giannatafio an, als er den Knaben so unvermuthet und unmotivirt rasch wieder aus diesem sicheren Gewahrsam genommen hatte: „Man sieht voll¬ kommen, daß sein Grübelgeist und seine Schwäche sür den Knaben volles Recht über ihn erlangt." Aber daß der Knabe ihm unentbehrlich geworden und es das reinste aller menschlichen Gefühle, das Bedürfniß zu lieben und ein geliebtes Wesen um sich zu haben, war, was ihn beseelte und zu so manchem Mißgriff in der Behandlung des Knaben führte, versöhnt uns nicht blos mit diesen Mißgriffen selbst, sondern auch mit der Katastrophe, zu welcher dieselben schließlich unausweichlich führen mußten. Der nähere Zusammen¬ hang der Sache ist bereits in dem obengenannten kleinen Buche „Eine stille Liebe zu Beethoven" berührt worden und kann seine ausführliche Darstellung nur in der Biographie selbst finden, deren letzter Band in diesem Herbst er¬ scheinen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/36>, abgerufen am 26.06.2024.