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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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wirken gestrebt, ihn zu einem guten Menschen und tüchtigen Staatsbürger zu
bilden und ihn die nöthigen Kenntnisse erwerben zu lassen.

Ich gab ihn daher anfangs in das Institut des Herrn von Giannatasio
del Rio, das mir jedoch in der Folge nicht genügen konnte, um zu meinem
Zwecke vorzuschreiten. Im vergangenen Sommer nahm ich demnach meinen
Mündel unter der Aufficht eines braven Lehrers auf meine Kosten zu mir
ins Haus und da der Zeitpunkt heranrückte, wo für den künftigen Stand
entschieden werden muß, zu mir auf das Land, um wahrnehmen zu können,
wie weit seine Neigung zur Musik unter meiner eigenen Leitung sich ent¬
wickeln würde, ohne daß seine Schulstudien bei Seite gesetzt wurden, wie die
Zeugnisse darthun, denn auch hier hielt ich ihm einen Lehrer. Wiewohl er
keine geringen Anlagen dazu zeigte, so entschied sich seine Neigung doch
mehr für die Wissenschaften, und meine Absicht war von diesem Augenblicke
an, ihn den öffentlichen Schulunterricht genießen zu lassen.

Nach der Stadt zurückgekehrt, ließ ich ihn sofort die öffentlichen Schulen
besuchen und zu Hause den nöthigen Privatunterricht sowohl als Vorbereitung
für die Schule als auch in der Musik, im Französischen und im Zeichnen
genießen. Nach der letzten traurigen Unterbrechung durch die Mutter gab ich
ihn augenblicklich in das Giannatasiosche Institut.

Gegenwärtig da er seinen Fehler einsieht und bereut und nur bittet bei
mir bleiben zu dürfen, befindet er sich wieder bei mir in meinem Hause unter
der Leitung eines erfahrenen Lehrers und von mir, der ihn in und aus der
Schule begleitet und zu Hause unausgesetzt den Unterricht und die Aufsicht
gemeinschaftlich mit mir besorgt, wobei ich die bedeutende Auslage von jährlich
600 si. ohne die übrigen Emolumente für diesen Lehrer in Anschlag zu bringen
nicht schone.

Den Herren Professoren und Präfecten ist er übrigens aufs beste empfoh¬
len und die besondere Aufsicht in der Schule über ihn streng. Mehr kann
der sorgenvollste Vater nicht für sein Kind thun.

Und so werde ich auch fortfahren alle Hindernisse, die mir noch gelegt
werden könnten, ferner zu besiegen, nur das Beste meines Mündels vor Augen
habend und der Bitten meines verstorbenen Bruders eingedenk sowie der
Pflicht, die mir die gesetzmäßig ertheilte Vormundschaft, meine Verwandtschaft
und die Menschlichkeit bei diesen schwierigen Geschäften auflegen, wobei ich
jedennoch bei meinem redlichen Bestreben, bei der Reinheit meiner Absicht und
meines Willens jeden Augenblick bereit sein werde, dem hochlöblichen k. k. U.
Oe. Landrecht als der Obervormundschaft auf das befriedigendste Rechen¬
schaft zu legen.

Wien den Is. Dezember 18l8,


Ludwig van Beethoven
Vormund meines Neffen Carl van Beethoven."

wirken gestrebt, ihn zu einem guten Menschen und tüchtigen Staatsbürger zu
bilden und ihn die nöthigen Kenntnisse erwerben zu lassen.

Ich gab ihn daher anfangs in das Institut des Herrn von Giannatasio
del Rio, das mir jedoch in der Folge nicht genügen konnte, um zu meinem
Zwecke vorzuschreiten. Im vergangenen Sommer nahm ich demnach meinen
Mündel unter der Aufficht eines braven Lehrers auf meine Kosten zu mir
ins Haus und da der Zeitpunkt heranrückte, wo für den künftigen Stand
entschieden werden muß, zu mir auf das Land, um wahrnehmen zu können,
wie weit seine Neigung zur Musik unter meiner eigenen Leitung sich ent¬
wickeln würde, ohne daß seine Schulstudien bei Seite gesetzt wurden, wie die
Zeugnisse darthun, denn auch hier hielt ich ihm einen Lehrer. Wiewohl er
keine geringen Anlagen dazu zeigte, so entschied sich seine Neigung doch
mehr für die Wissenschaften, und meine Absicht war von diesem Augenblicke
an, ihn den öffentlichen Schulunterricht genießen zu lassen.

Nach der Stadt zurückgekehrt, ließ ich ihn sofort die öffentlichen Schulen
besuchen und zu Hause den nöthigen Privatunterricht sowohl als Vorbereitung
für die Schule als auch in der Musik, im Französischen und im Zeichnen
genießen. Nach der letzten traurigen Unterbrechung durch die Mutter gab ich
ihn augenblicklich in das Giannatasiosche Institut.

Gegenwärtig da er seinen Fehler einsieht und bereut und nur bittet bei
mir bleiben zu dürfen, befindet er sich wieder bei mir in meinem Hause unter
der Leitung eines erfahrenen Lehrers und von mir, der ihn in und aus der
Schule begleitet und zu Hause unausgesetzt den Unterricht und die Aufsicht
gemeinschaftlich mit mir besorgt, wobei ich die bedeutende Auslage von jährlich
600 si. ohne die übrigen Emolumente für diesen Lehrer in Anschlag zu bringen
nicht schone.

Den Herren Professoren und Präfecten ist er übrigens aufs beste empfoh¬
len und die besondere Aufsicht in der Schule über ihn streng. Mehr kann
der sorgenvollste Vater nicht für sein Kind thun.

Und so werde ich auch fortfahren alle Hindernisse, die mir noch gelegt
werden könnten, ferner zu besiegen, nur das Beste meines Mündels vor Augen
habend und der Bitten meines verstorbenen Bruders eingedenk sowie der
Pflicht, die mir die gesetzmäßig ertheilte Vormundschaft, meine Verwandtschaft
und die Menschlichkeit bei diesen schwierigen Geschäften auflegen, wobei ich
jedennoch bei meinem redlichen Bestreben, bei der Reinheit meiner Absicht und
meines Willens jeden Augenblick bereit sein werde, dem hochlöblichen k. k. U.
Oe. Landrecht als der Obervormundschaft auf das befriedigendste Rechen¬
schaft zu legen.

Wien den Is. Dezember 18l8,


Ludwig van Beethoven
Vormund meines Neffen Carl van Beethoven."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/35>, abgerufen am 26.06.2024.