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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Haus, auch Wissenschaft wird verehrt wie ein andres Priesterthum, weniger
hoch vielleicht, aber nicht weniger nothwendig. Der Priester ist nicht länger
eine Verneinung des Menschen, der Bischof kann Vater sein, ohne Tyrann
zu scheinen, der Papst kann friedlich neben dem Könige leben. Der Glaube
geht Hand in Hand mit der Vernunft und die Vernunft beugt sich vor dem
Glauben, und die Strahlen der Beiden verschwistern sich, trösten und erleuchten
die Welt. Die erneute Menschheit feiert die heilige Verbindung des Ver¬
standes mit der Frömmigkeit, des Vaterlandes mit der Familie, der Erde
mit dem Himmel.

Es wird Euch als Illusion erscheinen, aber ich lebe dieses Glaubens und
mir scheint, daß wann ich die Erde verlassen werde, dieser Glaube wenigstens
schon Hoffnung geworden sein wird, und ich werde mich fröhlich und beinahe
stolz vor meinen Richter stellen."

Der stirbt jung, den die Götter lieben, sang Menandro, und
dieser begeisterte italienische Apostel eines neuen Glaubens, einer neuen, katho¬
lischen Religion, sollte nicht nur die Erfüllung seines Strebens nicht erleben,
sondern er konnte selbst seine Gefährten im Clerus nicht zu jener nothwendigen
Bewegung veranlassen, die jeder großen Reform vorhergehen muß. Die Ver-
urtheilung des Katholicismus durch den Abade Polo bleibt nur zu gerecht,
und seine Hoffnung, ihn zu reformiren, um ihn in ein neues, ideales und
mächtiges Leben zu rufen, ist zu nichte geworden. Und wir finden uns einem
zum größten Theil rohen, unwissenden und lasterhaften Clerus gegenüber;
einer ecclesiastischen Hierarchie, die alle Gebrechen einer stabilen Regierung
besitzt und der die zu regierenden Unterthanen zu fehlen beginnen; einem
Papstthum gegenüber, das, jemehr es von ferne die Gedanken beschäftigt, die
Gewissen beunruhigt und die Diplomaten in Bewegung setzt, um so verein¬
samter, ohnmächtiger, nutzloser, gleichgültiger zwischen uns lebt, die wir das
wenig zu bereitende Glück haben, es zu beherbergen.

Es gibt wohl auch in Italien eine Frage, die das Verhältniß zwischen
Kirche und Staat behandelt. Von dieser unsrer innern Frage wird in
Deutschland viel gesprochen und Fürst Bismarck läßt um so mehr davon
sprechen, und nur im Hinblick darauf, was man außerhalb Italiens darüber
denken und sagen werde, mußte sich auch unser Parlament mehrmals ernstlich
damit beschäftigen, nicht, weil uns Italiener die Lage des Papstthums sehr
drückt, denn wir wissen sehr gut, auch ohne dasselbe fertig zu werden, sondern
weil wir. wenn wir uns nicht den Schein geben, als interessirten wir uns für
das Wohlergehn des Papstes und die eifersüchtige Behütung des Katholicis-
mus. wir uns die Mißbilligung der ganzen skeptischen, aber klugen und sehr
nützlichen Diplomatie und den Haß einiger benachbarter katholischer Mächte
zuziehen würden, die unter dem Vorwand, den Papst zu vertheidigen, ins Land


Grcnzvoten III. IK75. 43

Haus, auch Wissenschaft wird verehrt wie ein andres Priesterthum, weniger
hoch vielleicht, aber nicht weniger nothwendig. Der Priester ist nicht länger
eine Verneinung des Menschen, der Bischof kann Vater sein, ohne Tyrann
zu scheinen, der Papst kann friedlich neben dem Könige leben. Der Glaube
geht Hand in Hand mit der Vernunft und die Vernunft beugt sich vor dem
Glauben, und die Strahlen der Beiden verschwistern sich, trösten und erleuchten
die Welt. Die erneute Menschheit feiert die heilige Verbindung des Ver¬
standes mit der Frömmigkeit, des Vaterlandes mit der Familie, der Erde
mit dem Himmel.

Es wird Euch als Illusion erscheinen, aber ich lebe dieses Glaubens und
mir scheint, daß wann ich die Erde verlassen werde, dieser Glaube wenigstens
schon Hoffnung geworden sein wird, und ich werde mich fröhlich und beinahe
stolz vor meinen Richter stellen."

Der stirbt jung, den die Götter lieben, sang Menandro, und
dieser begeisterte italienische Apostel eines neuen Glaubens, einer neuen, katho¬
lischen Religion, sollte nicht nur die Erfüllung seines Strebens nicht erleben,
sondern er konnte selbst seine Gefährten im Clerus nicht zu jener nothwendigen
Bewegung veranlassen, die jeder großen Reform vorhergehen muß. Die Ver-
urtheilung des Katholicismus durch den Abade Polo bleibt nur zu gerecht,
und seine Hoffnung, ihn zu reformiren, um ihn in ein neues, ideales und
mächtiges Leben zu rufen, ist zu nichte geworden. Und wir finden uns einem
zum größten Theil rohen, unwissenden und lasterhaften Clerus gegenüber;
einer ecclesiastischen Hierarchie, die alle Gebrechen einer stabilen Regierung
besitzt und der die zu regierenden Unterthanen zu fehlen beginnen; einem
Papstthum gegenüber, das, jemehr es von ferne die Gedanken beschäftigt, die
Gewissen beunruhigt und die Diplomaten in Bewegung setzt, um so verein¬
samter, ohnmächtiger, nutzloser, gleichgültiger zwischen uns lebt, die wir das
wenig zu bereitende Glück haben, es zu beherbergen.

Es gibt wohl auch in Italien eine Frage, die das Verhältniß zwischen
Kirche und Staat behandelt. Von dieser unsrer innern Frage wird in
Deutschland viel gesprochen und Fürst Bismarck läßt um so mehr davon
sprechen, und nur im Hinblick darauf, was man außerhalb Italiens darüber
denken und sagen werde, mußte sich auch unser Parlament mehrmals ernstlich
damit beschäftigen, nicht, weil uns Italiener die Lage des Papstthums sehr
drückt, denn wir wissen sehr gut, auch ohne dasselbe fertig zu werden, sondern
weil wir. wenn wir uns nicht den Schein geben, als interessirten wir uns für
das Wohlergehn des Papstes und die eifersüchtige Behütung des Katholicis-
mus. wir uns die Mißbilligung der ganzen skeptischen, aber klugen und sehr
nützlichen Diplomatie und den Haß einiger benachbarter katholischer Mächte
zuziehen würden, die unter dem Vorwand, den Papst zu vertheidigen, ins Land


Grcnzvoten III. IK75. 43
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[0345] Haus, auch Wissenschaft wird verehrt wie ein andres Priesterthum, weniger hoch vielleicht, aber nicht weniger nothwendig. Der Priester ist nicht länger eine Verneinung des Menschen, der Bischof kann Vater sein, ohne Tyrann zu scheinen, der Papst kann friedlich neben dem Könige leben. Der Glaube geht Hand in Hand mit der Vernunft und die Vernunft beugt sich vor dem Glauben, und die Strahlen der Beiden verschwistern sich, trösten und erleuchten die Welt. Die erneute Menschheit feiert die heilige Verbindung des Ver¬ standes mit der Frömmigkeit, des Vaterlandes mit der Familie, der Erde mit dem Himmel. Es wird Euch als Illusion erscheinen, aber ich lebe dieses Glaubens und mir scheint, daß wann ich die Erde verlassen werde, dieser Glaube wenigstens schon Hoffnung geworden sein wird, und ich werde mich fröhlich und beinahe stolz vor meinen Richter stellen." Der stirbt jung, den die Götter lieben, sang Menandro, und dieser begeisterte italienische Apostel eines neuen Glaubens, einer neuen, katho¬ lischen Religion, sollte nicht nur die Erfüllung seines Strebens nicht erleben, sondern er konnte selbst seine Gefährten im Clerus nicht zu jener nothwendigen Bewegung veranlassen, die jeder großen Reform vorhergehen muß. Die Ver- urtheilung des Katholicismus durch den Abade Polo bleibt nur zu gerecht, und seine Hoffnung, ihn zu reformiren, um ihn in ein neues, ideales und mächtiges Leben zu rufen, ist zu nichte geworden. Und wir finden uns einem zum größten Theil rohen, unwissenden und lasterhaften Clerus gegenüber; einer ecclesiastischen Hierarchie, die alle Gebrechen einer stabilen Regierung besitzt und der die zu regierenden Unterthanen zu fehlen beginnen; einem Papstthum gegenüber, das, jemehr es von ferne die Gedanken beschäftigt, die Gewissen beunruhigt und die Diplomaten in Bewegung setzt, um so verein¬ samter, ohnmächtiger, nutzloser, gleichgültiger zwischen uns lebt, die wir das wenig zu bereitende Glück haben, es zu beherbergen. Es gibt wohl auch in Italien eine Frage, die das Verhältniß zwischen Kirche und Staat behandelt. Von dieser unsrer innern Frage wird in Deutschland viel gesprochen und Fürst Bismarck läßt um so mehr davon sprechen, und nur im Hinblick darauf, was man außerhalb Italiens darüber denken und sagen werde, mußte sich auch unser Parlament mehrmals ernstlich damit beschäftigen, nicht, weil uns Italiener die Lage des Papstthums sehr drückt, denn wir wissen sehr gut, auch ohne dasselbe fertig zu werden, sondern weil wir. wenn wir uns nicht den Schein geben, als interessirten wir uns für das Wohlergehn des Papstes und die eifersüchtige Behütung des Katholicis- mus. wir uns die Mißbilligung der ganzen skeptischen, aber klugen und sehr nützlichen Diplomatie und den Haß einiger benachbarter katholischer Mächte zuziehen würden, die unter dem Vorwand, den Papst zu vertheidigen, ins Land Grcnzvoten III. IK75. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/345>, abgerufen am 26.06.2024.