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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Nur die Unterschrift ist autograph, bei der bekannten Hieroglyphenhand
des Meisters wohl begreiflich, jener Namenszug aber von solcher energischen
Bestimmtheit, daß sich das Ernstgemeinte des ganzen Schriftstücks doppelt
bethätigt.

Die obervormundschaftliche Tagsatzung vom 30. September entschied denn
auch einfach auf Abweisung der Johanna van Beethoven mit ihrem Gesuche.
Allein damit war bei der "kühnen" Frau nicht viel gethan. Ihre Antwort
war der auf jede Art erneute Versuch den Knaben zu allerhand üblen Dingen
gegen den guten Onkel zu verleiten und namentlich ihn gegen denselben als
einen "alten Narren dessen er sich zu schämen habe" einzunehmen. "Borgestern
war ich durch die Erzählungen von Beethovens Haushälterin über die Niedrig¬
keit des Jungen empört und ins Innerste ergriffen." schreibt am 30. Novem¬
ber 1818 jenes Fräulein Giannatasio del Rio in ihr Tagebuch.*) "Das ist
mehr als Leichtsinn! Der Keim des Bösen konnte also durch gutes Beispiel
nicht ausgerottet werden? Ich kann es gar nicht ausdrücken, wie sehr mich
der Undank dieses jungen Menschen ergriff. Es ist aber nothwendig, so wehe
es uns thut und wir bei Beethovens unglücklicher Lage befürchten müssen ihm
zu mißfallen, ihm hier die traurige Wahrheit ganz zu zeigen, in ihrer ganzen
kränkenden Wirklichkeit! Wenn es nur bald geschehen könnte, denn hier
handelt es sich um Großes! Er kennt seinen grenzenlosen Leichtsinn, aber
diese Züge eines verdorbenen Herzens kennt er nicht, muß sie aber kennen
lernen, denn später wäre es gewiß schon zu spät, wenn es nicht jetzt viel¬
leicht schon ist!"

Allein die Frau Mutter, in der That das "böse Princip" in diesem
Lebens-Drama, sorgte dafür, daß ihm bald alles und jedes in dieser Sache
klar ward. Sie ging mit gleicher energischer Consequenz vor wie unser Meister
und -- hatte einstweilen den Sieg. Hören wir, was das Fräulein schon
wenig Tage darauf, am 5. Dezember aufschreibt.

"Seit einigen Tagen," lautet es hier, "bin ich ganz mitgenommen, ganz
ergriffen von Beethovens Geschichte. Nie im Leben werde ich den Augenblick
vergessen, als er kam und uns sagte, daß Karl fort sei, zur Mutter
entlaufen, und seinen Brief uns zeigte zum Beweis seiner Niedrigkeit.
Diesen Mann so leiden, weinen zu sehen, es war sehr ergreifend." Noch
erinnert sich das Fräulein, wie er dabei ausrief: "Er schämt sich meiner."

"Wie zeigt sich hier wieder dieses seltene Wesen!" fährt sie fort. "Das
böse Kind ist nun wieder bei ihm, mit Hülfe der Polizei, -- die Rabenmutter;
Er muß von hier weg oder sie, das ist das Resultat. Beethoven will ihn
fürs erste in unsere Verwahrung geben. Jetzt aber schrieb ich mit Raume



") Dasselbe ist kürzlich veröffentlicht unter dem Titel: "Eine stille Liebe zu Beet¬
hoven." (Leipzig, E. I. Günther).

Nur die Unterschrift ist autograph, bei der bekannten Hieroglyphenhand
des Meisters wohl begreiflich, jener Namenszug aber von solcher energischen
Bestimmtheit, daß sich das Ernstgemeinte des ganzen Schriftstücks doppelt
bethätigt.

Die obervormundschaftliche Tagsatzung vom 30. September entschied denn
auch einfach auf Abweisung der Johanna van Beethoven mit ihrem Gesuche.
Allein damit war bei der „kühnen" Frau nicht viel gethan. Ihre Antwort
war der auf jede Art erneute Versuch den Knaben zu allerhand üblen Dingen
gegen den guten Onkel zu verleiten und namentlich ihn gegen denselben als
einen „alten Narren dessen er sich zu schämen habe" einzunehmen. „Borgestern
war ich durch die Erzählungen von Beethovens Haushälterin über die Niedrig¬
keit des Jungen empört und ins Innerste ergriffen." schreibt am 30. Novem¬
ber 1818 jenes Fräulein Giannatasio del Rio in ihr Tagebuch.*) „Das ist
mehr als Leichtsinn! Der Keim des Bösen konnte also durch gutes Beispiel
nicht ausgerottet werden? Ich kann es gar nicht ausdrücken, wie sehr mich
der Undank dieses jungen Menschen ergriff. Es ist aber nothwendig, so wehe
es uns thut und wir bei Beethovens unglücklicher Lage befürchten müssen ihm
zu mißfallen, ihm hier die traurige Wahrheit ganz zu zeigen, in ihrer ganzen
kränkenden Wirklichkeit! Wenn es nur bald geschehen könnte, denn hier
handelt es sich um Großes! Er kennt seinen grenzenlosen Leichtsinn, aber
diese Züge eines verdorbenen Herzens kennt er nicht, muß sie aber kennen
lernen, denn später wäre es gewiß schon zu spät, wenn es nicht jetzt viel¬
leicht schon ist!"

Allein die Frau Mutter, in der That das „böse Princip" in diesem
Lebens-Drama, sorgte dafür, daß ihm bald alles und jedes in dieser Sache
klar ward. Sie ging mit gleicher energischer Consequenz vor wie unser Meister
und — hatte einstweilen den Sieg. Hören wir, was das Fräulein schon
wenig Tage darauf, am 5. Dezember aufschreibt.

„Seit einigen Tagen," lautet es hier, „bin ich ganz mitgenommen, ganz
ergriffen von Beethovens Geschichte. Nie im Leben werde ich den Augenblick
vergessen, als er kam und uns sagte, daß Karl fort sei, zur Mutter
entlaufen, und seinen Brief uns zeigte zum Beweis seiner Niedrigkeit.
Diesen Mann so leiden, weinen zu sehen, es war sehr ergreifend." Noch
erinnert sich das Fräulein, wie er dabei ausrief: „Er schämt sich meiner."

„Wie zeigt sich hier wieder dieses seltene Wesen!" fährt sie fort. „Das
böse Kind ist nun wieder bei ihm, mit Hülfe der Polizei, — die Rabenmutter;
Er muß von hier weg oder sie, das ist das Resultat. Beethoven will ihn
fürs erste in unsere Verwahrung geben. Jetzt aber schrieb ich mit Raume



") Dasselbe ist kürzlich veröffentlicht unter dem Titel: „Eine stille Liebe zu Beet¬
hoven." (Leipzig, E. I. Günther).
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[0032] Nur die Unterschrift ist autograph, bei der bekannten Hieroglyphenhand des Meisters wohl begreiflich, jener Namenszug aber von solcher energischen Bestimmtheit, daß sich das Ernstgemeinte des ganzen Schriftstücks doppelt bethätigt. Die obervormundschaftliche Tagsatzung vom 30. September entschied denn auch einfach auf Abweisung der Johanna van Beethoven mit ihrem Gesuche. Allein damit war bei der „kühnen" Frau nicht viel gethan. Ihre Antwort war der auf jede Art erneute Versuch den Knaben zu allerhand üblen Dingen gegen den guten Onkel zu verleiten und namentlich ihn gegen denselben als einen „alten Narren dessen er sich zu schämen habe" einzunehmen. „Borgestern war ich durch die Erzählungen von Beethovens Haushälterin über die Niedrig¬ keit des Jungen empört und ins Innerste ergriffen." schreibt am 30. Novem¬ ber 1818 jenes Fräulein Giannatasio del Rio in ihr Tagebuch.*) „Das ist mehr als Leichtsinn! Der Keim des Bösen konnte also durch gutes Beispiel nicht ausgerottet werden? Ich kann es gar nicht ausdrücken, wie sehr mich der Undank dieses jungen Menschen ergriff. Es ist aber nothwendig, so wehe es uns thut und wir bei Beethovens unglücklicher Lage befürchten müssen ihm zu mißfallen, ihm hier die traurige Wahrheit ganz zu zeigen, in ihrer ganzen kränkenden Wirklichkeit! Wenn es nur bald geschehen könnte, denn hier handelt es sich um Großes! Er kennt seinen grenzenlosen Leichtsinn, aber diese Züge eines verdorbenen Herzens kennt er nicht, muß sie aber kennen lernen, denn später wäre es gewiß schon zu spät, wenn es nicht jetzt viel¬ leicht schon ist!" Allein die Frau Mutter, in der That das „böse Princip" in diesem Lebens-Drama, sorgte dafür, daß ihm bald alles und jedes in dieser Sache klar ward. Sie ging mit gleicher energischer Consequenz vor wie unser Meister und — hatte einstweilen den Sieg. Hören wir, was das Fräulein schon wenig Tage darauf, am 5. Dezember aufschreibt. „Seit einigen Tagen," lautet es hier, „bin ich ganz mitgenommen, ganz ergriffen von Beethovens Geschichte. Nie im Leben werde ich den Augenblick vergessen, als er kam und uns sagte, daß Karl fort sei, zur Mutter entlaufen, und seinen Brief uns zeigte zum Beweis seiner Niedrigkeit. Diesen Mann so leiden, weinen zu sehen, es war sehr ergreifend." Noch erinnert sich das Fräulein, wie er dabei ausrief: „Er schämt sich meiner." „Wie zeigt sich hier wieder dieses seltene Wesen!" fährt sie fort. „Das böse Kind ist nun wieder bei ihm, mit Hülfe der Polizei, — die Rabenmutter; Er muß von hier weg oder sie, das ist das Resultat. Beethoven will ihn fürs erste in unsere Verwahrung geben. Jetzt aber schrieb ich mit Raume ") Dasselbe ist kürzlich veröffentlicht unter dem Titel: „Eine stille Liebe zu Beet¬ hoven." (Leipzig, E. I. Günther).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/32>, abgerufen am 26.06.2024.