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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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kleinlich, dürftig erschienen; der König selbst behandelte ihn mit größter Leut¬
seligkeit und schmeichelhaftester Freundlichkeit, und von da ab war Aischines
an Makedonien verkauft. Freund und Gastfreund, das waren die Titel, mit
denen Philipp seine Parteigänger, so lange er sie gebrauchte, ehrte, und so
sagt Aischines selber in seiner Rede gegen Ktesiphon, mit der er dem Demo-
sthenes die Bekränzung bestritt, von diesem: "er der mir die Gastfreundschaft
mit Alexander zum Borwurf macht." Besser und gerechter freilich ist niemals
einem gedient worden, als es Demosthenes in seiner Entgegnung auf diese
Worte thut: "ich dir die Gastfreundschaft mit Alexander? woher hättest du
die bekommen oder wie wärest du deren gewürdigt? weder einen Gastfreund
Philipps noch einen Freund Alexanders nenne ich dich, so verrückt bin ich nicht,
hörst müßte man 1" auch die Schnitter und die, welche sonst etwas um Lohn
thun, Freunde und Gastfreunde derer nennen, die sie gemiethet haben." Wer
als Bürger einer solchen Stadt wie Athen seine Ehre in einem Verhältniß
zu einem auswärtigen Herrscher suchen konnte, welches doch augenscheinlich
nie und nimmer ein Freundschaftsverhältniß, sondern ein Dienstverhältniß
war, der hatte für wahre Ehre kein Gefühl, sondern nur für den Schein von
Ehre, und so ist in Aischines' ganzem Leben und Thun, wie auch in seinen
Reden nicht minder, inwendig Leere und Fäulniß. auswendig freilich Geziert¬
heit und Putz genug. Denn auch mit seiner Bildung ist es nicht anders
bestellt: während er das Wort immer im Munde führt und seine Rede mit
schönen Dichterstellen ausschmückt -- "um euch Widersachern zu zeigen," sagt
er, "daß auch wir etwas gehört und gelernt haben" -- so ist doch sogar
sein Geschmack so wenig geläutert und rein, daß er zum Beispiel am Schlüsse
seiner Anklagerede gegen Ktesiphon von der höchsten Höhe pathetischer Bered¬
samkeit den schmählichsten Fall ins Lächerliche thut, beispiellos fast, wie Lord
Brougham bemerkt, in der ganzen Geschichte der Beredsamkeit. Nachdem er
eben wundervoll und glänzend gesagt: "Themistokles aber und die bei Mara¬
thon Gefallenen und die bei Platäa und die Gräber selbst der Borfahren
müssen sie nicht aufseufzen, wenn der, welcher geständig ist. im Bunde mit den
Barbaren gegen die Hellenen gewirkt zu haben, jetzt bekränzt wird?" -- nach
diesem höchsten Aufschwung leitet er das kurze Schlußwort also ein: "Ich
nun, o Erde und Sonne und Tugend und Einsicht und Bildung, durch welche
wir das Schöne und das Schimpfliche unterscheiden, habe das Meinige gethan
und gesprochen." Dieses Selbstzeugniß des Aischines gegen seine Bildung
möge der hier versuchten Charakterisirung ihren Abschluß geben.




kleinlich, dürftig erschienen; der König selbst behandelte ihn mit größter Leut¬
seligkeit und schmeichelhaftester Freundlichkeit, und von da ab war Aischines
an Makedonien verkauft. Freund und Gastfreund, das waren die Titel, mit
denen Philipp seine Parteigänger, so lange er sie gebrauchte, ehrte, und so
sagt Aischines selber in seiner Rede gegen Ktesiphon, mit der er dem Demo-
sthenes die Bekränzung bestritt, von diesem: „er der mir die Gastfreundschaft
mit Alexander zum Borwurf macht." Besser und gerechter freilich ist niemals
einem gedient worden, als es Demosthenes in seiner Entgegnung auf diese
Worte thut: „ich dir die Gastfreundschaft mit Alexander? woher hättest du
die bekommen oder wie wärest du deren gewürdigt? weder einen Gastfreund
Philipps noch einen Freund Alexanders nenne ich dich, so verrückt bin ich nicht,
hörst müßte man 1« auch die Schnitter und die, welche sonst etwas um Lohn
thun, Freunde und Gastfreunde derer nennen, die sie gemiethet haben." Wer
als Bürger einer solchen Stadt wie Athen seine Ehre in einem Verhältniß
zu einem auswärtigen Herrscher suchen konnte, welches doch augenscheinlich
nie und nimmer ein Freundschaftsverhältniß, sondern ein Dienstverhältniß
war, der hatte für wahre Ehre kein Gefühl, sondern nur für den Schein von
Ehre, und so ist in Aischines' ganzem Leben und Thun, wie auch in seinen
Reden nicht minder, inwendig Leere und Fäulniß. auswendig freilich Geziert¬
heit und Putz genug. Denn auch mit seiner Bildung ist es nicht anders
bestellt: während er das Wort immer im Munde führt und seine Rede mit
schönen Dichterstellen ausschmückt — „um euch Widersachern zu zeigen," sagt
er, „daß auch wir etwas gehört und gelernt haben" — so ist doch sogar
sein Geschmack so wenig geläutert und rein, daß er zum Beispiel am Schlüsse
seiner Anklagerede gegen Ktesiphon von der höchsten Höhe pathetischer Bered¬
samkeit den schmählichsten Fall ins Lächerliche thut, beispiellos fast, wie Lord
Brougham bemerkt, in der ganzen Geschichte der Beredsamkeit. Nachdem er
eben wundervoll und glänzend gesagt: „Themistokles aber und die bei Mara¬
thon Gefallenen und die bei Platäa und die Gräber selbst der Borfahren
müssen sie nicht aufseufzen, wenn der, welcher geständig ist. im Bunde mit den
Barbaren gegen die Hellenen gewirkt zu haben, jetzt bekränzt wird?" — nach
diesem höchsten Aufschwung leitet er das kurze Schlußwort also ein: „Ich
nun, o Erde und Sonne und Tugend und Einsicht und Bildung, durch welche
wir das Schöne und das Schimpfliche unterscheiden, habe das Meinige gethan
und gesprochen." Dieses Selbstzeugniß des Aischines gegen seine Bildung
möge der hier versuchten Charakterisirung ihren Abschluß geben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/27>, abgerufen am 26.06.2024.