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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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oder Erwerbung von Wohlwollen und Ehre? welche Gesandtschaft, welcher
Dienst, durch den die Stadt angesehener wäre? was in den heimischen oder
den hellenischen und auswärtigen Angelegenheiten, womit du dich befaßt hast,
ist besser gemacht worden? welche Dreiruderer? welche Waffen? welche Schiffs-
werfte? welche Ausbesserung der Mauern? welche Reiterei ? -- -- Aber, mein
Lieber, wenn nichts hiervon, so doch patriotische Gesinnung und redlicher
Eifer. Wo? wann? der du sogar damals, als alle die jemals auf der Redner-
bühne ihren Mund aufgethan hatten, zur Rettung beisteuerten" -- er meint
wohl nach Thebens Zerstörung -- "auch damals weder hervortratest noch,
irgend beisteuertest, nicht aus Dürftigkeit, sondern indem du dich in Acht
nahmest, denen irgend zuwider zu handeln, in deren Dienst du alles thust."
Wenn nun auch die makedonische Partei, als Friedenspartei, wirklich eine
Berechtigung in Athen gehabt hätte, so mußten doch nach Erklärung des
Krieges auch die Männer des Friedens alles in ihren Kräften Stehende
thun, um für den Staat den Sieg zu erringen, und diesem Grundsatze ist
Phokton in der That gefolgt, Aischines aber hat geschwiegen und geruht,
so lange es kein Unheil anzustiften gab. Seine größte Leistung aber ist, daß
er den sogenannten zweiten heiligen Krieg entzündete, durch den Philipp
zum zweitenmal nach Hellas hineingeführt wurde; wie Demosthenes wohl mit
Recht behauptet, war er dazu von Philipp erkauft, und er selber hat nichts
gethan noch gesagt, woraus man schließen könnte, daß ihm der Sieg des
Makedoniers bei Chaironeia und die Bezwingung Athens, was Alles aus
jenem heiligen Krieg hervorging, irgend Schmerzen verursacht hätte. Was
verschlägt es nun eigentlich, ob Habsucht oder Eitelkeit ihn so zum Partei¬
gänger des fremden Unterdrückers und zum Verräther des eignen Vaterlandes
werden ließ? In der That scheint weniger von der ersteren, dafür desto mehr
von der letzteren in ihm gewesen zu sein, so viel sogar, daß diese Eitelkeit
hauptsächlich sein Wesen charakterisirt. Aischines stammte aus niedrigen
Kreisen, wenn er uns gleich einen alten Adel seiner Familie glauben machen
will; auch dies ist schon ein Stück von der Eitelkeit. Er wurde dann zunächst
Schreiber -- Subalternbeamter wie wir sagen --, wobei er sich Geschäfts¬
kenntniß und die Gunst des damals mächtigsten Staatsmannes, des Eubulos,
erwarb. Dann wurde er Schauspieler und bildete sein von Natur schon klang¬
volles und vorzügliches Organ noch weiter aus, so daß er von hier aus end¬
lich in den Stand gesetzt wurde, als Berather des Volkes aufzutreten. So¬
weit ist sein Emporstreben noch ohne Tadel, und seine ersten Volksreden
waren auch recht patriotisch und voll klarer Erkenntniß von Philipp's Gefähr¬
lichkeit, weswegen man ihn eben auch zum Gesandten wählte. In Make¬
donien aber empfing er nun einen ganz überwältigenden Eindruck von Macht,
von Große, von Reichthum, wogegen ihm die heimischen Verhältnisse elend,


oder Erwerbung von Wohlwollen und Ehre? welche Gesandtschaft, welcher
Dienst, durch den die Stadt angesehener wäre? was in den heimischen oder
den hellenischen und auswärtigen Angelegenheiten, womit du dich befaßt hast,
ist besser gemacht worden? welche Dreiruderer? welche Waffen? welche Schiffs-
werfte? welche Ausbesserung der Mauern? welche Reiterei ? — — Aber, mein
Lieber, wenn nichts hiervon, so doch patriotische Gesinnung und redlicher
Eifer. Wo? wann? der du sogar damals, als alle die jemals auf der Redner-
bühne ihren Mund aufgethan hatten, zur Rettung beisteuerten" — er meint
wohl nach Thebens Zerstörung — „auch damals weder hervortratest noch,
irgend beisteuertest, nicht aus Dürftigkeit, sondern indem du dich in Acht
nahmest, denen irgend zuwider zu handeln, in deren Dienst du alles thust."
Wenn nun auch die makedonische Partei, als Friedenspartei, wirklich eine
Berechtigung in Athen gehabt hätte, so mußten doch nach Erklärung des
Krieges auch die Männer des Friedens alles in ihren Kräften Stehende
thun, um für den Staat den Sieg zu erringen, und diesem Grundsatze ist
Phokton in der That gefolgt, Aischines aber hat geschwiegen und geruht,
so lange es kein Unheil anzustiften gab. Seine größte Leistung aber ist, daß
er den sogenannten zweiten heiligen Krieg entzündete, durch den Philipp
zum zweitenmal nach Hellas hineingeführt wurde; wie Demosthenes wohl mit
Recht behauptet, war er dazu von Philipp erkauft, und er selber hat nichts
gethan noch gesagt, woraus man schließen könnte, daß ihm der Sieg des
Makedoniers bei Chaironeia und die Bezwingung Athens, was Alles aus
jenem heiligen Krieg hervorging, irgend Schmerzen verursacht hätte. Was
verschlägt es nun eigentlich, ob Habsucht oder Eitelkeit ihn so zum Partei¬
gänger des fremden Unterdrückers und zum Verräther des eignen Vaterlandes
werden ließ? In der That scheint weniger von der ersteren, dafür desto mehr
von der letzteren in ihm gewesen zu sein, so viel sogar, daß diese Eitelkeit
hauptsächlich sein Wesen charakterisirt. Aischines stammte aus niedrigen
Kreisen, wenn er uns gleich einen alten Adel seiner Familie glauben machen
will; auch dies ist schon ein Stück von der Eitelkeit. Er wurde dann zunächst
Schreiber — Subalternbeamter wie wir sagen —, wobei er sich Geschäfts¬
kenntniß und die Gunst des damals mächtigsten Staatsmannes, des Eubulos,
erwarb. Dann wurde er Schauspieler und bildete sein von Natur schon klang¬
volles und vorzügliches Organ noch weiter aus, so daß er von hier aus end¬
lich in den Stand gesetzt wurde, als Berather des Volkes aufzutreten. So¬
weit ist sein Emporstreben noch ohne Tadel, und seine ersten Volksreden
waren auch recht patriotisch und voll klarer Erkenntniß von Philipp's Gefähr¬
lichkeit, weswegen man ihn eben auch zum Gesandten wählte. In Make¬
donien aber empfing er nun einen ganz überwältigenden Eindruck von Macht,
von Große, von Reichthum, wogegen ihm die heimischen Verhältnisse elend,


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[0026] oder Erwerbung von Wohlwollen und Ehre? welche Gesandtschaft, welcher Dienst, durch den die Stadt angesehener wäre? was in den heimischen oder den hellenischen und auswärtigen Angelegenheiten, womit du dich befaßt hast, ist besser gemacht worden? welche Dreiruderer? welche Waffen? welche Schiffs- werfte? welche Ausbesserung der Mauern? welche Reiterei ? — — Aber, mein Lieber, wenn nichts hiervon, so doch patriotische Gesinnung und redlicher Eifer. Wo? wann? der du sogar damals, als alle die jemals auf der Redner- bühne ihren Mund aufgethan hatten, zur Rettung beisteuerten" — er meint wohl nach Thebens Zerstörung — „auch damals weder hervortratest noch, irgend beisteuertest, nicht aus Dürftigkeit, sondern indem du dich in Acht nahmest, denen irgend zuwider zu handeln, in deren Dienst du alles thust." Wenn nun auch die makedonische Partei, als Friedenspartei, wirklich eine Berechtigung in Athen gehabt hätte, so mußten doch nach Erklärung des Krieges auch die Männer des Friedens alles in ihren Kräften Stehende thun, um für den Staat den Sieg zu erringen, und diesem Grundsatze ist Phokton in der That gefolgt, Aischines aber hat geschwiegen und geruht, so lange es kein Unheil anzustiften gab. Seine größte Leistung aber ist, daß er den sogenannten zweiten heiligen Krieg entzündete, durch den Philipp zum zweitenmal nach Hellas hineingeführt wurde; wie Demosthenes wohl mit Recht behauptet, war er dazu von Philipp erkauft, und er selber hat nichts gethan noch gesagt, woraus man schließen könnte, daß ihm der Sieg des Makedoniers bei Chaironeia und die Bezwingung Athens, was Alles aus jenem heiligen Krieg hervorging, irgend Schmerzen verursacht hätte. Was verschlägt es nun eigentlich, ob Habsucht oder Eitelkeit ihn so zum Partei¬ gänger des fremden Unterdrückers und zum Verräther des eignen Vaterlandes werden ließ? In der That scheint weniger von der ersteren, dafür desto mehr von der letzteren in ihm gewesen zu sein, so viel sogar, daß diese Eitelkeit hauptsächlich sein Wesen charakterisirt. Aischines stammte aus niedrigen Kreisen, wenn er uns gleich einen alten Adel seiner Familie glauben machen will; auch dies ist schon ein Stück von der Eitelkeit. Er wurde dann zunächst Schreiber — Subalternbeamter wie wir sagen —, wobei er sich Geschäfts¬ kenntniß und die Gunst des damals mächtigsten Staatsmannes, des Eubulos, erwarb. Dann wurde er Schauspieler und bildete sein von Natur schon klang¬ volles und vorzügliches Organ noch weiter aus, so daß er von hier aus end¬ lich in den Stand gesetzt wurde, als Berather des Volkes aufzutreten. So¬ weit ist sein Emporstreben noch ohne Tadel, und seine ersten Volksreden waren auch recht patriotisch und voll klarer Erkenntniß von Philipp's Gefähr¬ lichkeit, weswegen man ihn eben auch zum Gesandten wählte. In Make¬ donien aber empfing er nun einen ganz überwältigenden Eindruck von Macht, von Große, von Reichthum, wogegen ihm die heimischen Verhältnisse elend,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/26>, abgerufen am 28.09.2024.