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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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vielmehr die "patriotische" Haltung des Handelsgerichts anerkennen und die
Verzögerung oder Vertheurung als ein nothwendiges Uebel hinnehmen.
Sobald dagegen die Unterwerfung unter das Handelsgericht eine freiwillige ist,
dieses aber fortfahren wollte zu amten, als ob kein deutsches Recht im Lande
gälte, würden sich die Betheiligten der vernünftigen Einsicht nicht verschließen,
daß es keinen Werth, rssx. keinen Sinn habe, einen Proceß in I. Instanz zu
gewinnen, um ihn in II. Instanz zu verlieren, oder denselben zuerst zu ver¬
lieren und erst in einem zweiten Gang zu gewinnen, -- und die Folge wäre
daß sich die Hallen des undeutschen Handelsgerichtes sehr schnell leeren würden.
Das reichsländische Handelsschiedsgericht wäre also, wenn es sich nicht
selbst lahm legen will, gezwungen rückhaltslos das Reichsrecht zur Anwendung
zu bringen, und würde zu einem -- wenn auch halb unfreiwilligen -- Träger
deutscher Kultur; und wenn die Handelsgerichte dem reichsländischen Handels¬
stand so sehr ans Herz gewachsen sind, wie uns versichert wird, so wird der¬
selbe lieber auf den Opah av eommLreL als auf das Handelsgericht verzichten.
" Wir sind soeben von der Voraussetzung ausgegangen, der Satz, daß in
Geldsachen die Gemüthlichkeit aufhöre, finde auch im Reichsland seine An¬
wendung; es fragt sich, ob dieser Satz nicht auch der Einrichtung der von
uns vorgeschlagenen Handelsschiedsgerichte im Weg steht; allein gerade in
Bezug auf Elsaß-Lothringen wird man diese Frage verneinen dürfen. Im
übrigen Deutschland hört freilich leider vielfach, sobald der Geldbeutel in Frage
kommt, nicht bloß die Gemüthlichkeit, sondern auch der Patriotismus auf,
man begeistert sich zwar für alles mögliche Schöne und Gute, aber nur soll
es nichts kosten; freiwillig für irgend eine Idee größere Opfer zu bringen,
dazu besteht bei uns nirgends übergroße Neigung. So werden denn auch
die deutschen Kaufleute nicht müde, die Vortrefflichkeit der Handelsgerichte zu
rühmen; aber aus eigenen Mitteln solche zu unterhalten, dazu wird die
Mehrzahl wenig Lust haben, wenigstens haben wir bisher noch von keiner
Seite ein derartiges Anerbieten vernommen, und glauben wir. daß unser Vor¬
schlag, der Handelswelt die Errichtung von Handelsschiedsgerichten auf eigene
Kosten anheim zu geben, bei derselben keine große Sympathie gefunden hat;
allein daraus folgern wir, daß eben die Handelsgerichte keineswegs ein so
großes und allgemeines Bedürfniß sind, daß vielmehr das Motiv, welches
selbst an kleineren Orten solche verlangen läßt, zu einem guten Theil nichts
Anderes ist als -- Eitelkeit, d. h. das Vergnügen, ein eigenes Gericht --
vor der übrigen Menschheit etwas voraus zu haben; sobald die Kosten für
das Standesgericht anstatt vom Staat von dem Stand selbst getragen werden
sollen, wird die Begeisterung für das Institut vielfach herabgestimmt werden.
-- Wo dagegen ein wirkliches Bedürfniß für Handelsgerichte besteht, da
wird es dem Handelsstand auch nicht schwer fallen, die verhältnißmäßig nicht


vielmehr die „patriotische" Haltung des Handelsgerichts anerkennen und die
Verzögerung oder Vertheurung als ein nothwendiges Uebel hinnehmen.
Sobald dagegen die Unterwerfung unter das Handelsgericht eine freiwillige ist,
dieses aber fortfahren wollte zu amten, als ob kein deutsches Recht im Lande
gälte, würden sich die Betheiligten der vernünftigen Einsicht nicht verschließen,
daß es keinen Werth, rssx. keinen Sinn habe, einen Proceß in I. Instanz zu
gewinnen, um ihn in II. Instanz zu verlieren, oder denselben zuerst zu ver¬
lieren und erst in einem zweiten Gang zu gewinnen, — und die Folge wäre
daß sich die Hallen des undeutschen Handelsgerichtes sehr schnell leeren würden.
Das reichsländische Handelsschiedsgericht wäre also, wenn es sich nicht
selbst lahm legen will, gezwungen rückhaltslos das Reichsrecht zur Anwendung
zu bringen, und würde zu einem — wenn auch halb unfreiwilligen — Träger
deutscher Kultur; und wenn die Handelsgerichte dem reichsländischen Handels¬
stand so sehr ans Herz gewachsen sind, wie uns versichert wird, so wird der¬
selbe lieber auf den Opah av eommLreL als auf das Handelsgericht verzichten.
» Wir sind soeben von der Voraussetzung ausgegangen, der Satz, daß in
Geldsachen die Gemüthlichkeit aufhöre, finde auch im Reichsland seine An¬
wendung; es fragt sich, ob dieser Satz nicht auch der Einrichtung der von
uns vorgeschlagenen Handelsschiedsgerichte im Weg steht; allein gerade in
Bezug auf Elsaß-Lothringen wird man diese Frage verneinen dürfen. Im
übrigen Deutschland hört freilich leider vielfach, sobald der Geldbeutel in Frage
kommt, nicht bloß die Gemüthlichkeit, sondern auch der Patriotismus auf,
man begeistert sich zwar für alles mögliche Schöne und Gute, aber nur soll
es nichts kosten; freiwillig für irgend eine Idee größere Opfer zu bringen,
dazu besteht bei uns nirgends übergroße Neigung. So werden denn auch
die deutschen Kaufleute nicht müde, die Vortrefflichkeit der Handelsgerichte zu
rühmen; aber aus eigenen Mitteln solche zu unterhalten, dazu wird die
Mehrzahl wenig Lust haben, wenigstens haben wir bisher noch von keiner
Seite ein derartiges Anerbieten vernommen, und glauben wir. daß unser Vor¬
schlag, der Handelswelt die Errichtung von Handelsschiedsgerichten auf eigene
Kosten anheim zu geben, bei derselben keine große Sympathie gefunden hat;
allein daraus folgern wir, daß eben die Handelsgerichte keineswegs ein so
großes und allgemeines Bedürfniß sind, daß vielmehr das Motiv, welches
selbst an kleineren Orten solche verlangen läßt, zu einem guten Theil nichts
Anderes ist als — Eitelkeit, d. h. das Vergnügen, ein eigenes Gericht —
vor der übrigen Menschheit etwas voraus zu haben; sobald die Kosten für
das Standesgericht anstatt vom Staat von dem Stand selbst getragen werden
sollen, wird die Begeisterung für das Institut vielfach herabgestimmt werden.
— Wo dagegen ein wirkliches Bedürfniß für Handelsgerichte besteht, da
wird es dem Handelsstand auch nicht schwer fallen, die verhältnißmäßig nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/175>, abgerufen am 29.06.2024.