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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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entschiedenen Siege des Fürstentums über die Reichsgewalt überantwortete,
und es sich nur noch darum handelte, welcher Theil unter den Fürsten über
den andern Theil den Sieg davon tragen würde.

Zuerst gab die Kaiserin Agnes viel bedingungsloser als zur Zeit ihr
Gemahl ein Herzogthum nach dem andern an Günstlinge, gewaltthätige An¬
dränger wieder hinaus: Baiern an einen Grafen Otto von Nordheim aus
Sachsen (bei Göttingen). Schwaben an Graf Rudolf von Rheinfelden, der
noch dazu der Kaiserin halberwachsene Tochter aus dem Klosterpensionat
entführte und ehelichte, Kärnthen an Berthold von Zähringen. Daß Gott¬
fried längst Lothringen wieder erhalten, ist schon erwähnt. Dann bemächtigte
sich eine Fürsten-Verschwörung, zum Theil aus jenen neudotirten Herzogen
bestehend, mit Erzbischof Hanno von Köln an der Spitze, auf einem Besuche,
den die Kaiserin auf der Insel Kaiserswerth im Rheine dem Erzbischof
machte, der Person des königlichen Prinzen, um in seinem Namen direkt die
Reichsregierung zu führen. Es ist nicht berichtet, daß die Kaiserin eine
Hand ob dieses alles monarchische Ansehen vernichtenden Raubes rührte.
Freilich fehlte es nicht an Erbitterung und Opposition in andern nicht an
dieser Reichsregierung betheiligten Kreisen, und diese Erbitterung veranlaßte
Hanno einen Theil der Verantwortung auf den von ihm herangezogenen
Erzbischof von Bremen, Adalbert (von Wisecke) zuwälzen. Allein für
Heinrich's IV. königliche Stellung war das nicht einmal eine günstige Ver¬
änderung. Wie vorher Hanno den königlichen Knaben in finstrer Ascetik
gepeinigt, das Kind zur Verheimlichung seines fürstlichen Trotzes, zur Heuchelei
gelenkt hatte, so ließ im Gegentheil Adalbert von Bremen nunmehr dem
Prinzen jeden Zügel schießen und ihn zum Wüstling werden, dem jeder
Wink erfüllt werde, wenn es nur Adalbert's Pläne förderte. Und dessen
Pläne, ebenfalls schon angedeutet, gingen auf die Erwerbung der Herzogs¬
rechte in Sachsen für den sich immer weiter ausdehnenden Sprengel des
Erzbisthums. Darüber erfüllte sich, während der junge König in Lüste,
Willkürlichkeit der Regierungshandlungen, roheste Handhabung der Simonie,
versank und unbedachteste Herrschergelüste wider die verhaßten Sachsen in


sichern, "der daß er mindestens durch eine konsequente Politik im Innern die weitere Ent¬
wicklung der Reichsgewalt unterstützen würde. Aber auch diese Erwartungen hat er nicht er¬
füllt. Das Herzogthum, das sein Vater nahezu beseitigt hatte, stellte er überall her: aber er
that es, indem er zugleich die Marken gegen das Herzogthum stärkte, indem er ihm überdies
durch die Einsetzung Fremder die nationale Bedeutung entzog, indem er endlich durch die
Wahl von Männern ohne männliche Nachkommenschaft der Vercrblichung vorzubeugen suchte.
Heinrich zeigt hier eine Politik des Mistrcmens, in der sich kein gesunder und fruchtbarer Ge¬
danke erkennen läßt und die keine bessere Frucht zeitigte, als die meist aus der Saat des Mis-
trauens aufleimt." Giesebrecht tadelt noch, daß Heinrich die Begünstigung der Vasallen nicht
fortgesetzt habe. (Priesterliche Erziehung hat ihn offenbar voreingenommen.)

entschiedenen Siege des Fürstentums über die Reichsgewalt überantwortete,
und es sich nur noch darum handelte, welcher Theil unter den Fürsten über
den andern Theil den Sieg davon tragen würde.

Zuerst gab die Kaiserin Agnes viel bedingungsloser als zur Zeit ihr
Gemahl ein Herzogthum nach dem andern an Günstlinge, gewaltthätige An¬
dränger wieder hinaus: Baiern an einen Grafen Otto von Nordheim aus
Sachsen (bei Göttingen). Schwaben an Graf Rudolf von Rheinfelden, der
noch dazu der Kaiserin halberwachsene Tochter aus dem Klosterpensionat
entführte und ehelichte, Kärnthen an Berthold von Zähringen. Daß Gott¬
fried längst Lothringen wieder erhalten, ist schon erwähnt. Dann bemächtigte
sich eine Fürsten-Verschwörung, zum Theil aus jenen neudotirten Herzogen
bestehend, mit Erzbischof Hanno von Köln an der Spitze, auf einem Besuche,
den die Kaiserin auf der Insel Kaiserswerth im Rheine dem Erzbischof
machte, der Person des königlichen Prinzen, um in seinem Namen direkt die
Reichsregierung zu führen. Es ist nicht berichtet, daß die Kaiserin eine
Hand ob dieses alles monarchische Ansehen vernichtenden Raubes rührte.
Freilich fehlte es nicht an Erbitterung und Opposition in andern nicht an
dieser Reichsregierung betheiligten Kreisen, und diese Erbitterung veranlaßte
Hanno einen Theil der Verantwortung auf den von ihm herangezogenen
Erzbischof von Bremen, Adalbert (von Wisecke) zuwälzen. Allein für
Heinrich's IV. königliche Stellung war das nicht einmal eine günstige Ver¬
änderung. Wie vorher Hanno den königlichen Knaben in finstrer Ascetik
gepeinigt, das Kind zur Verheimlichung seines fürstlichen Trotzes, zur Heuchelei
gelenkt hatte, so ließ im Gegentheil Adalbert von Bremen nunmehr dem
Prinzen jeden Zügel schießen und ihn zum Wüstling werden, dem jeder
Wink erfüllt werde, wenn es nur Adalbert's Pläne förderte. Und dessen
Pläne, ebenfalls schon angedeutet, gingen auf die Erwerbung der Herzogs¬
rechte in Sachsen für den sich immer weiter ausdehnenden Sprengel des
Erzbisthums. Darüber erfüllte sich, während der junge König in Lüste,
Willkürlichkeit der Regierungshandlungen, roheste Handhabung der Simonie,
versank und unbedachteste Herrschergelüste wider die verhaßten Sachsen in


sichern, »der daß er mindestens durch eine konsequente Politik im Innern die weitere Ent¬
wicklung der Reichsgewalt unterstützen würde. Aber auch diese Erwartungen hat er nicht er¬
füllt. Das Herzogthum, das sein Vater nahezu beseitigt hatte, stellte er überall her: aber er
that es, indem er zugleich die Marken gegen das Herzogthum stärkte, indem er ihm überdies
durch die Einsetzung Fremder die nationale Bedeutung entzog, indem er endlich durch die
Wahl von Männern ohne männliche Nachkommenschaft der Vercrblichung vorzubeugen suchte.
Heinrich zeigt hier eine Politik des Mistrcmens, in der sich kein gesunder und fruchtbarer Ge¬
danke erkennen läßt und die keine bessere Frucht zeitigte, als die meist aus der Saat des Mis-
trauens aufleimt." Giesebrecht tadelt noch, daß Heinrich die Begünstigung der Vasallen nicht
fortgesetzt habe. (Priesterliche Erziehung hat ihn offenbar voreingenommen.)
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[0150] entschiedenen Siege des Fürstentums über die Reichsgewalt überantwortete, und es sich nur noch darum handelte, welcher Theil unter den Fürsten über den andern Theil den Sieg davon tragen würde. Zuerst gab die Kaiserin Agnes viel bedingungsloser als zur Zeit ihr Gemahl ein Herzogthum nach dem andern an Günstlinge, gewaltthätige An¬ dränger wieder hinaus: Baiern an einen Grafen Otto von Nordheim aus Sachsen (bei Göttingen). Schwaben an Graf Rudolf von Rheinfelden, der noch dazu der Kaiserin halberwachsene Tochter aus dem Klosterpensionat entführte und ehelichte, Kärnthen an Berthold von Zähringen. Daß Gott¬ fried längst Lothringen wieder erhalten, ist schon erwähnt. Dann bemächtigte sich eine Fürsten-Verschwörung, zum Theil aus jenen neudotirten Herzogen bestehend, mit Erzbischof Hanno von Köln an der Spitze, auf einem Besuche, den die Kaiserin auf der Insel Kaiserswerth im Rheine dem Erzbischof machte, der Person des königlichen Prinzen, um in seinem Namen direkt die Reichsregierung zu führen. Es ist nicht berichtet, daß die Kaiserin eine Hand ob dieses alles monarchische Ansehen vernichtenden Raubes rührte. Freilich fehlte es nicht an Erbitterung und Opposition in andern nicht an dieser Reichsregierung betheiligten Kreisen, und diese Erbitterung veranlaßte Hanno einen Theil der Verantwortung auf den von ihm herangezogenen Erzbischof von Bremen, Adalbert (von Wisecke) zuwälzen. Allein für Heinrich's IV. königliche Stellung war das nicht einmal eine günstige Ver¬ änderung. Wie vorher Hanno den königlichen Knaben in finstrer Ascetik gepeinigt, das Kind zur Verheimlichung seines fürstlichen Trotzes, zur Heuchelei gelenkt hatte, so ließ im Gegentheil Adalbert von Bremen nunmehr dem Prinzen jeden Zügel schießen und ihn zum Wüstling werden, dem jeder Wink erfüllt werde, wenn es nur Adalbert's Pläne förderte. Und dessen Pläne, ebenfalls schon angedeutet, gingen auf die Erwerbung der Herzogs¬ rechte in Sachsen für den sich immer weiter ausdehnenden Sprengel des Erzbisthums. Darüber erfüllte sich, während der junge König in Lüste, Willkürlichkeit der Regierungshandlungen, roheste Handhabung der Simonie, versank und unbedachteste Herrschergelüste wider die verhaßten Sachsen in sichern, »der daß er mindestens durch eine konsequente Politik im Innern die weitere Ent¬ wicklung der Reichsgewalt unterstützen würde. Aber auch diese Erwartungen hat er nicht er¬ füllt. Das Herzogthum, das sein Vater nahezu beseitigt hatte, stellte er überall her: aber er that es, indem er zugleich die Marken gegen das Herzogthum stärkte, indem er ihm überdies durch die Einsetzung Fremder die nationale Bedeutung entzog, indem er endlich durch die Wahl von Männern ohne männliche Nachkommenschaft der Vercrblichung vorzubeugen suchte. Heinrich zeigt hier eine Politik des Mistrcmens, in der sich kein gesunder und fruchtbarer Ge¬ danke erkennen läßt und die keine bessere Frucht zeitigte, als die meist aus der Saat des Mis- trauens aufleimt." Giesebrecht tadelt noch, daß Heinrich die Begünstigung der Vasallen nicht fortgesetzt habe. (Priesterliche Erziehung hat ihn offenbar voreingenommen.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/150>, abgerufen am 29.06.2024.