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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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den Fürsten empfahl der sterbende noch junge Herrscher seinen erst 6 Jahr
alten, zum König freilich bereits designirter Sohn und seine Gemahlin, gerade
derjenigen Verbindung, welche die lange vorbereitete Herrschaft nun vollends
übernahm, während nach ihres Gemahles Tode die Kaiserin Agnes an den
Abt von Clugnh schrieb, daß die frommen Mönche, da sie ihren Herrn
und Gemahl nicht haben im Fleische erhalten wollen, wenigstens den Todten
mit ihren Fürbitten der Gnade Gottes empfehlen mögen. Solchen Fetisch¬
glauben zelligem auch jene Tage! Clugny war vor der frommen Einfältig¬
keit wie Gott; und eine solche Dame konnte sicher ihren Sohn nicht mit prak¬
tischem Erfolg in der Regierung vertreten.

Ihre Rettung, der Papst, unternahm es zuerst mehrere nach den Augs¬
burger Annalen wider den Sohn des Kaisers entstandene Factionen zu beseitigen.
Im Zusammenhange damit steht wohl die Kunde, daß andere Fürsten mit
ihrem "Siege" sich so befriedigt zeigten, daß sie der Kaiserin um jene Zeit
sogar ein eidliches Versprechen gaben, sie würden, wenn der junge König
sterben sollte, nicht ohne ihre Einwilligung den Thron besetzen, gewiß ein
hinlänglich sprechendes Symptom der bestehenden großen Gefahr, derjenigen
Sachlage, wonach das Königthum bereits auf das äußerste von der Aristo¬
kratie abhängig geworden war. Als nach dem schnellen Tode auch Victor's II.
10S7 Gottfried der Bärtige, der von Heinrich III. auf dessen Sterbebette Ver¬
zeihung erhalten hatte und in sein Herzogthum wieder eingesetzt worden war,
dazu als Markgraf von Tuscien mit dem Papste die Verwaltung Italiens
theilte, erlebte, daß sein Bruder Friedrich als Stephan X.*) den Papststuhl
bestieg, verbreitete sich gar das Gerücht, der neue Papst werde seinen Bruder
zum Kaiser krönen. In Sachsen, um nun auf dieses zu kommen, ver¬
sammelten sich ganz offen die Großen, um über die Absetzung Heinrich's IV.
zu berathen, und eine Verschwörung scheint es sogar aus das Leben des jungen
Königs abgesehen zu haben. Im Ganzen war die Stimmung, wie ein Zeit¬
genosse sich ausdrückt: "Die Fürsten wollten von einem Weibe oder einem
Kinde sich nicht beherrschen lassen, und das erste, was sie gemeinsam voll¬
brachten, war. daß sie die Freiheiten früherer Zeiten sich gewannen und
sich von der Dienstbarkeit lösten"; ein echtes Vorspiel jenes spätern Anrufs
der "Libertät", womit die Fürsten ihre Selbständigkeit gegenüber der Autorität
von Kaiser und Reich bezeichneten.

Es ist klar, daß Heinrich III.**) bei seinem Ableben sein Söhnlein einem




*) Oder IX, wie Weingarten, Zeittafeln S. 52 zählt. Baur a. a. O. S. 8:; zahl"
Stephan IX. unter den !>S4 unter der Pornotratie erhobenen Päpsten Johann XI., Leo VII.,
Stephan IX,, Marinus II., Agaper II. aus.
Ueber seine Regierung äußert selbst Giesebrecht, der sonst seines Lobes so voll ist. II.
S. 4171 ... Es hätte sich doch erwarten lassen, daß er seine Macht benutzen würde, um
durch neue politische Institutionen die Zukunft der Krone gegen die territorialen Gewalten zu

den Fürsten empfahl der sterbende noch junge Herrscher seinen erst 6 Jahr
alten, zum König freilich bereits designirter Sohn und seine Gemahlin, gerade
derjenigen Verbindung, welche die lange vorbereitete Herrschaft nun vollends
übernahm, während nach ihres Gemahles Tode die Kaiserin Agnes an den
Abt von Clugnh schrieb, daß die frommen Mönche, da sie ihren Herrn
und Gemahl nicht haben im Fleische erhalten wollen, wenigstens den Todten
mit ihren Fürbitten der Gnade Gottes empfehlen mögen. Solchen Fetisch¬
glauben zelligem auch jene Tage! Clugny war vor der frommen Einfältig¬
keit wie Gott; und eine solche Dame konnte sicher ihren Sohn nicht mit prak¬
tischem Erfolg in der Regierung vertreten.

Ihre Rettung, der Papst, unternahm es zuerst mehrere nach den Augs¬
burger Annalen wider den Sohn des Kaisers entstandene Factionen zu beseitigen.
Im Zusammenhange damit steht wohl die Kunde, daß andere Fürsten mit
ihrem „Siege" sich so befriedigt zeigten, daß sie der Kaiserin um jene Zeit
sogar ein eidliches Versprechen gaben, sie würden, wenn der junge König
sterben sollte, nicht ohne ihre Einwilligung den Thron besetzen, gewiß ein
hinlänglich sprechendes Symptom der bestehenden großen Gefahr, derjenigen
Sachlage, wonach das Königthum bereits auf das äußerste von der Aristo¬
kratie abhängig geworden war. Als nach dem schnellen Tode auch Victor's II.
10S7 Gottfried der Bärtige, der von Heinrich III. auf dessen Sterbebette Ver¬
zeihung erhalten hatte und in sein Herzogthum wieder eingesetzt worden war,
dazu als Markgraf von Tuscien mit dem Papste die Verwaltung Italiens
theilte, erlebte, daß sein Bruder Friedrich als Stephan X.*) den Papststuhl
bestieg, verbreitete sich gar das Gerücht, der neue Papst werde seinen Bruder
zum Kaiser krönen. In Sachsen, um nun auf dieses zu kommen, ver¬
sammelten sich ganz offen die Großen, um über die Absetzung Heinrich's IV.
zu berathen, und eine Verschwörung scheint es sogar aus das Leben des jungen
Königs abgesehen zu haben. Im Ganzen war die Stimmung, wie ein Zeit¬
genosse sich ausdrückt: „Die Fürsten wollten von einem Weibe oder einem
Kinde sich nicht beherrschen lassen, und das erste, was sie gemeinsam voll¬
brachten, war. daß sie die Freiheiten früherer Zeiten sich gewannen und
sich von der Dienstbarkeit lösten"; ein echtes Vorspiel jenes spätern Anrufs
der „Libertät", womit die Fürsten ihre Selbständigkeit gegenüber der Autorität
von Kaiser und Reich bezeichneten.

Es ist klar, daß Heinrich III.**) bei seinem Ableben sein Söhnlein einem




*) Oder IX, wie Weingarten, Zeittafeln S. 52 zählt. Baur a. a. O. S. 8:; zahl«
Stephan IX. unter den !>S4 unter der Pornotratie erhobenen Päpsten Johann XI., Leo VII.,
Stephan IX,, Marinus II., Agaper II. aus.
Ueber seine Regierung äußert selbst Giesebrecht, der sonst seines Lobes so voll ist. II.
S. 4171 ... Es hätte sich doch erwarten lassen, daß er seine Macht benutzen würde, um
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[0149] den Fürsten empfahl der sterbende noch junge Herrscher seinen erst 6 Jahr alten, zum König freilich bereits designirter Sohn und seine Gemahlin, gerade derjenigen Verbindung, welche die lange vorbereitete Herrschaft nun vollends übernahm, während nach ihres Gemahles Tode die Kaiserin Agnes an den Abt von Clugnh schrieb, daß die frommen Mönche, da sie ihren Herrn und Gemahl nicht haben im Fleische erhalten wollen, wenigstens den Todten mit ihren Fürbitten der Gnade Gottes empfehlen mögen. Solchen Fetisch¬ glauben zelligem auch jene Tage! Clugny war vor der frommen Einfältig¬ keit wie Gott; und eine solche Dame konnte sicher ihren Sohn nicht mit prak¬ tischem Erfolg in der Regierung vertreten. Ihre Rettung, der Papst, unternahm es zuerst mehrere nach den Augs¬ burger Annalen wider den Sohn des Kaisers entstandene Factionen zu beseitigen. Im Zusammenhange damit steht wohl die Kunde, daß andere Fürsten mit ihrem „Siege" sich so befriedigt zeigten, daß sie der Kaiserin um jene Zeit sogar ein eidliches Versprechen gaben, sie würden, wenn der junge König sterben sollte, nicht ohne ihre Einwilligung den Thron besetzen, gewiß ein hinlänglich sprechendes Symptom der bestehenden großen Gefahr, derjenigen Sachlage, wonach das Königthum bereits auf das äußerste von der Aristo¬ kratie abhängig geworden war. Als nach dem schnellen Tode auch Victor's II. 10S7 Gottfried der Bärtige, der von Heinrich III. auf dessen Sterbebette Ver¬ zeihung erhalten hatte und in sein Herzogthum wieder eingesetzt worden war, dazu als Markgraf von Tuscien mit dem Papste die Verwaltung Italiens theilte, erlebte, daß sein Bruder Friedrich als Stephan X.*) den Papststuhl bestieg, verbreitete sich gar das Gerücht, der neue Papst werde seinen Bruder zum Kaiser krönen. In Sachsen, um nun auf dieses zu kommen, ver¬ sammelten sich ganz offen die Großen, um über die Absetzung Heinrich's IV. zu berathen, und eine Verschwörung scheint es sogar aus das Leben des jungen Königs abgesehen zu haben. Im Ganzen war die Stimmung, wie ein Zeit¬ genosse sich ausdrückt: „Die Fürsten wollten von einem Weibe oder einem Kinde sich nicht beherrschen lassen, und das erste, was sie gemeinsam voll¬ brachten, war. daß sie die Freiheiten früherer Zeiten sich gewannen und sich von der Dienstbarkeit lösten"; ein echtes Vorspiel jenes spätern Anrufs der „Libertät", womit die Fürsten ihre Selbständigkeit gegenüber der Autorität von Kaiser und Reich bezeichneten. Es ist klar, daß Heinrich III.**) bei seinem Ableben sein Söhnlein einem *) Oder IX, wie Weingarten, Zeittafeln S. 52 zählt. Baur a. a. O. S. 8:; zahl« Stephan IX. unter den !>S4 unter der Pornotratie erhobenen Päpsten Johann XI., Leo VII., Stephan IX,, Marinus II., Agaper II. aus. Ueber seine Regierung äußert selbst Giesebrecht, der sonst seines Lobes so voll ist. II. S. 4171 ... Es hätte sich doch erwarten lassen, daß er seine Macht benutzen würde, um durch neue politische Institutionen die Zukunft der Krone gegen die territorialen Gewalten zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/149>, abgerufen am 29.06.2024.