Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leben etwas anderes veröffentlicht hat als eine einzige, außereinzige Predigt,
z. B. "Das Verlangen nach Aufschluß über die verhängnißvollen Ereignisse
dieser Zeit", einen einzigen "Aufruf zur Entschiedenheit" mit der allerdings
determinirten Aufschrift: "Entweder es giebt einen lebendigen persönlichen
Gott, oder es giebt keinen!", eine einzige "Leichenpredigt bei der Beerdigung
eines von Räuberbanden ermordeten", eine einzige "Rede bei der Glockenweihe
in Dittersbach bei Stolper", eine einzige "Predigt zur Einweihung der neuen
Kanzel- und Altarbekleidung zu Johnsbach", eine einzige "Begräbnißrede am
Grabe des Restaurateurs so und so"; wenn ein Dorfschulmeisterlein weiter
nichts geleistet hat, als eine "Katechese über Matthäus V, 8" oder ein
Heftchen "Conferenzlieder für christliche Lehrer" oder eine "Rede zur Weihe
der neuen Schulfahne am Kinderfest in Markranstädt" -- dann bin ich grau¬
sam genug zu behaupten, daß diese Leute den von Herrn I)r. Haar ihnen
zugeschickten Bogen lieber hätten unausgefüllt lassen sollen, und daß sie nicht
die Ehre beanspruchen dürfen, in einem "Sächsischen Schriftstellerlexikon" zu
stehen, in einem Buche zusammen mit Männern wie Victor Jacobi, Carl
Wilhelm Portius, Müller v. d. Werra, Theodor Grässe, Oskar Klemich,
Oskar Paul, Oskar Mothes. Berthelt Jäckel Petermann <d Thomas, und
andern berühmten sächsischen Schriftstellern.

Indeß dies alles fällt doch immer noch unter den Begriff der Literatur
und ist in Folge dessen aufnahmeberechtigt, obschon die Welt nicht viel ver¬
loren hätte, wenn diese Biedermänner von ihrer schriftstellerischen Thätigkeit
geschwiegen hätten. Aber unser Lexikon hat noch für andre Dinge Raum.
Daß die Herren Schriftsteller auch Wandkarten und Globen nnter ihren "im
Druck erschienenen Schriften" mit aufführen, das läßt man sich noch ge¬
fallen; es sind das doch wenigstens buchhändlerische Erzeugnisse. Daß aber
auch Lesemaschinen, Physikalische Apparate und "Weltgeschichtliche Lottospiele
zum Nutzen und Vergnügen der lernbegierigen Jugend" unter die Literatur
zählen, das war mir gänzlich neu. Herr Lucas z. B., Lehrer in Reinholds-
hain bei Dippoldiswalda, führt als die einzigen von ihm im Druck erschienenen
Schriften aus: erstens "Physikalischer Apparat für Bürgerschulen. Derselbe
enthält: 1) Electrisir-Maschine. 2) Leidner Flasche. 3) Auslader. 4) Electro-
phor. 5) Stahlmagnet. 6) Compaß. 7) Galvanisches Element. 8) Electro-'
magnet u. s. w. -- zweitens "Physikalischer Apparat für Elementarschulen".
Derselbe enthält . . ., und dann folgen nochmals 27 Nummern und auch
gleich der Preis mit Emballage unter Nachnahme. Nun weiß ich recht wohl,
daß der Buchhandel heutzutage, wenn's verlangt wird, auch den Vertrieb von
physikalischen Apparaten übernimmt, wie man denn thatsächlich bereits Mine¬
ralien- und Jnsektensammlungen, Seidenraupenpräparate, Krystallformen aus
Holz oder Pappe, Rechenmaschinen und sonstiges Unterrichtsmaterial durch


Leben etwas anderes veröffentlicht hat als eine einzige, außereinzige Predigt,
z. B. „Das Verlangen nach Aufschluß über die verhängnißvollen Ereignisse
dieser Zeit", einen einzigen „Aufruf zur Entschiedenheit" mit der allerdings
determinirten Aufschrift: „Entweder es giebt einen lebendigen persönlichen
Gott, oder es giebt keinen!", eine einzige „Leichenpredigt bei der Beerdigung
eines von Räuberbanden ermordeten", eine einzige „Rede bei der Glockenweihe
in Dittersbach bei Stolper", eine einzige „Predigt zur Einweihung der neuen
Kanzel- und Altarbekleidung zu Johnsbach", eine einzige „Begräbnißrede am
Grabe des Restaurateurs so und so"; wenn ein Dorfschulmeisterlein weiter
nichts geleistet hat, als eine „Katechese über Matthäus V, 8" oder ein
Heftchen „Conferenzlieder für christliche Lehrer" oder eine „Rede zur Weihe
der neuen Schulfahne am Kinderfest in Markranstädt" — dann bin ich grau¬
sam genug zu behaupten, daß diese Leute den von Herrn I)r. Haar ihnen
zugeschickten Bogen lieber hätten unausgefüllt lassen sollen, und daß sie nicht
die Ehre beanspruchen dürfen, in einem „Sächsischen Schriftstellerlexikon" zu
stehen, in einem Buche zusammen mit Männern wie Victor Jacobi, Carl
Wilhelm Portius, Müller v. d. Werra, Theodor Grässe, Oskar Klemich,
Oskar Paul, Oskar Mothes. Berthelt Jäckel Petermann <d Thomas, und
andern berühmten sächsischen Schriftstellern.

Indeß dies alles fällt doch immer noch unter den Begriff der Literatur
und ist in Folge dessen aufnahmeberechtigt, obschon die Welt nicht viel ver¬
loren hätte, wenn diese Biedermänner von ihrer schriftstellerischen Thätigkeit
geschwiegen hätten. Aber unser Lexikon hat noch für andre Dinge Raum.
Daß die Herren Schriftsteller auch Wandkarten und Globen nnter ihren „im
Druck erschienenen Schriften" mit aufführen, das läßt man sich noch ge¬
fallen; es sind das doch wenigstens buchhändlerische Erzeugnisse. Daß aber
auch Lesemaschinen, Physikalische Apparate und „Weltgeschichtliche Lottospiele
zum Nutzen und Vergnügen der lernbegierigen Jugend" unter die Literatur
zählen, das war mir gänzlich neu. Herr Lucas z. B., Lehrer in Reinholds-
hain bei Dippoldiswalda, führt als die einzigen von ihm im Druck erschienenen
Schriften aus: erstens „Physikalischer Apparat für Bürgerschulen. Derselbe
enthält: 1) Electrisir-Maschine. 2) Leidner Flasche. 3) Auslader. 4) Electro-
phor. 5) Stahlmagnet. 6) Compaß. 7) Galvanisches Element. 8) Electro-'
magnet u. s. w. — zweitens „Physikalischer Apparat für Elementarschulen".
Derselbe enthält . . ., und dann folgen nochmals 27 Nummern und auch
gleich der Preis mit Emballage unter Nachnahme. Nun weiß ich recht wohl,
daß der Buchhandel heutzutage, wenn's verlangt wird, auch den Vertrieb von
physikalischen Apparaten übernimmt, wie man denn thatsächlich bereits Mine¬
ralien- und Jnsektensammlungen, Seidenraupenpräparate, Krystallformen aus
Holz oder Pappe, Rechenmaschinen und sonstiges Unterrichtsmaterial durch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133954"/>
          <p xml:id="ID_468" prev="#ID_467"> Leben etwas anderes veröffentlicht hat als eine einzige, außereinzige Predigt,<lb/>
z. B. &#x201E;Das Verlangen nach Aufschluß über die verhängnißvollen Ereignisse<lb/>
dieser Zeit", einen einzigen &#x201E;Aufruf zur Entschiedenheit" mit der allerdings<lb/>
determinirten Aufschrift: &#x201E;Entweder es giebt einen lebendigen persönlichen<lb/>
Gott, oder es giebt keinen!", eine einzige &#x201E;Leichenpredigt bei der Beerdigung<lb/>
eines von Räuberbanden ermordeten", eine einzige &#x201E;Rede bei der Glockenweihe<lb/>
in Dittersbach bei Stolper", eine einzige &#x201E;Predigt zur Einweihung der neuen<lb/>
Kanzel- und Altarbekleidung zu Johnsbach", eine einzige &#x201E;Begräbnißrede am<lb/>
Grabe des Restaurateurs so und so"; wenn ein Dorfschulmeisterlein weiter<lb/>
nichts geleistet hat, als eine &#x201E;Katechese über Matthäus V, 8" oder ein<lb/>
Heftchen &#x201E;Conferenzlieder für christliche Lehrer" oder eine &#x201E;Rede zur Weihe<lb/>
der neuen Schulfahne am Kinderfest in Markranstädt" &#x2014; dann bin ich grau¬<lb/>
sam genug zu behaupten, daß diese Leute den von Herrn I)r. Haar ihnen<lb/>
zugeschickten Bogen lieber hätten unausgefüllt lassen sollen, und daß sie nicht<lb/>
die Ehre beanspruchen dürfen, in einem &#x201E;Sächsischen Schriftstellerlexikon" zu<lb/>
stehen, in einem Buche zusammen mit Männern wie Victor Jacobi, Carl<lb/>
Wilhelm Portius, Müller v. d. Werra, Theodor Grässe, Oskar Klemich,<lb/>
Oskar Paul, Oskar Mothes. Berthelt Jäckel Petermann &lt;d Thomas, und<lb/>
andern berühmten sächsischen Schriftstellern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_469" next="#ID_470"> Indeß dies alles fällt doch immer noch unter den Begriff der Literatur<lb/>
und ist in Folge dessen aufnahmeberechtigt, obschon die Welt nicht viel ver¬<lb/>
loren hätte, wenn diese Biedermänner von ihrer schriftstellerischen Thätigkeit<lb/>
geschwiegen hätten. Aber unser Lexikon hat noch für andre Dinge Raum.<lb/>
Daß die Herren Schriftsteller auch Wandkarten und Globen nnter ihren &#x201E;im<lb/>
Druck erschienenen Schriften" mit aufführen, das läßt man sich noch ge¬<lb/>
fallen; es sind das doch wenigstens buchhändlerische Erzeugnisse. Daß aber<lb/>
auch Lesemaschinen, Physikalische Apparate und &#x201E;Weltgeschichtliche Lottospiele<lb/>
zum Nutzen und Vergnügen der lernbegierigen Jugend" unter die Literatur<lb/>
zählen, das war mir gänzlich neu. Herr Lucas z. B., Lehrer in Reinholds-<lb/>
hain bei Dippoldiswalda, führt als die einzigen von ihm im Druck erschienenen<lb/>
Schriften aus: erstens &#x201E;Physikalischer Apparat für Bürgerschulen. Derselbe<lb/>
enthält: 1) Electrisir-Maschine. 2) Leidner Flasche. 3) Auslader. 4) Electro-<lb/>
phor. 5) Stahlmagnet. 6) Compaß. 7) Galvanisches Element. 8) Electro-'<lb/>
magnet u. s. w. &#x2014; zweitens &#x201E;Physikalischer Apparat für Elementarschulen".<lb/>
Derselbe enthält . . ., und dann folgen nochmals 27 Nummern und auch<lb/>
gleich der Preis mit Emballage unter Nachnahme. Nun weiß ich recht wohl,<lb/>
daß der Buchhandel heutzutage, wenn's verlangt wird, auch den Vertrieb von<lb/>
physikalischen Apparaten übernimmt, wie man denn thatsächlich bereits Mine¬<lb/>
ralien- und Jnsektensammlungen, Seidenraupenpräparate, Krystallformen aus<lb/>
Holz oder Pappe, Rechenmaschinen und sonstiges Unterrichtsmaterial durch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0136] Leben etwas anderes veröffentlicht hat als eine einzige, außereinzige Predigt, z. B. „Das Verlangen nach Aufschluß über die verhängnißvollen Ereignisse dieser Zeit", einen einzigen „Aufruf zur Entschiedenheit" mit der allerdings determinirten Aufschrift: „Entweder es giebt einen lebendigen persönlichen Gott, oder es giebt keinen!", eine einzige „Leichenpredigt bei der Beerdigung eines von Räuberbanden ermordeten", eine einzige „Rede bei der Glockenweihe in Dittersbach bei Stolper", eine einzige „Predigt zur Einweihung der neuen Kanzel- und Altarbekleidung zu Johnsbach", eine einzige „Begräbnißrede am Grabe des Restaurateurs so und so"; wenn ein Dorfschulmeisterlein weiter nichts geleistet hat, als eine „Katechese über Matthäus V, 8" oder ein Heftchen „Conferenzlieder für christliche Lehrer" oder eine „Rede zur Weihe der neuen Schulfahne am Kinderfest in Markranstädt" — dann bin ich grau¬ sam genug zu behaupten, daß diese Leute den von Herrn I)r. Haar ihnen zugeschickten Bogen lieber hätten unausgefüllt lassen sollen, und daß sie nicht die Ehre beanspruchen dürfen, in einem „Sächsischen Schriftstellerlexikon" zu stehen, in einem Buche zusammen mit Männern wie Victor Jacobi, Carl Wilhelm Portius, Müller v. d. Werra, Theodor Grässe, Oskar Klemich, Oskar Paul, Oskar Mothes. Berthelt Jäckel Petermann <d Thomas, und andern berühmten sächsischen Schriftstellern. Indeß dies alles fällt doch immer noch unter den Begriff der Literatur und ist in Folge dessen aufnahmeberechtigt, obschon die Welt nicht viel ver¬ loren hätte, wenn diese Biedermänner von ihrer schriftstellerischen Thätigkeit geschwiegen hätten. Aber unser Lexikon hat noch für andre Dinge Raum. Daß die Herren Schriftsteller auch Wandkarten und Globen nnter ihren „im Druck erschienenen Schriften" mit aufführen, das läßt man sich noch ge¬ fallen; es sind das doch wenigstens buchhändlerische Erzeugnisse. Daß aber auch Lesemaschinen, Physikalische Apparate und „Weltgeschichtliche Lottospiele zum Nutzen und Vergnügen der lernbegierigen Jugend" unter die Literatur zählen, das war mir gänzlich neu. Herr Lucas z. B., Lehrer in Reinholds- hain bei Dippoldiswalda, führt als die einzigen von ihm im Druck erschienenen Schriften aus: erstens „Physikalischer Apparat für Bürgerschulen. Derselbe enthält: 1) Electrisir-Maschine. 2) Leidner Flasche. 3) Auslader. 4) Electro- phor. 5) Stahlmagnet. 6) Compaß. 7) Galvanisches Element. 8) Electro-' magnet u. s. w. — zweitens „Physikalischer Apparat für Elementarschulen". Derselbe enthält . . ., und dann folgen nochmals 27 Nummern und auch gleich der Preis mit Emballage unter Nachnahme. Nun weiß ich recht wohl, daß der Buchhandel heutzutage, wenn's verlangt wird, auch den Vertrieb von physikalischen Apparaten übernimmt, wie man denn thatsächlich bereits Mine¬ ralien- und Jnsektensammlungen, Seidenraupenpräparate, Krystallformen aus Holz oder Pappe, Rechenmaschinen und sonstiges Unterrichtsmaterial durch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/136
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/136>, abgerufen am 29.06.2024.