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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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nicht so große Eile gehabt haben wird. Noch andere mögen wohl -- und
es giebt ja leider auch solche steinerne Herzen -- das Circular sofort nach
der Eröffnung mit irgend einem Kraftausdrucke in den Papierkorb geworfen
und nie wieder angesehen haben.

Doch das Gute bricht sich ja immer Bahn. Nach einigen Monaten er¬
schien wirklich die erste Lieferung des "Sächsischen Schriftstellerlerikons".

Auch du empfängst dein Exemplar. Hastig überfliegst du das Titelblatt,
wirfst dann einen Blick auf die letzte Seite des Heftes -- welche Freude!
Die erste Lieferung reicht schon bis weit in den Buchstaben I' hinein, dein
Name beginnt "mit dem großen Anfangsbuchstaben D" -- Glücklicher, du
stehst also bereits darin !

Du schneidest auf, du blätterst herüber und hinüber -- wie? du erbleichst?
Zorn und Schrecken bemächtigen sich deiner? Solltest du vielleicht nicht
darin stehen? Sollte der Undankbare dir und deinen sämmtlichen Werken
etwa nicht den gebührenden Platz gegönnt haben? -- Ach. ja wohl stehst du
darin, aber "fragt mich nur nicht, wie!"

In der That ging, als die besagte "erste Lieferung" erschienen war, ein
Schrei des Hohnes und der Entrüstung durch die ganze königlich sächsische
Schriftstellerwelt. Der Herausgeber hatte bewiesen, daß er der erhabenen Auf¬
gabe, die er sich gestellt, nicht im entferntesten gewachsen sei. Man denke sich
nur das eine: Das Buch wimmelte von "Druckfehlern"! Jeder, dessen
Studien sich unglücklicher Weise auf einem Gebiete bewegten, welches dem
Herrn Superintendenten etwas ferner gelegen hatte -- und dies war ja bei
den meisten der Fall -- mußte es erleben, daß von den Büchertiteln, die er
aufgezeichnet hatte, und deren Zusammenstellung für ihn vielleicht keine Kleinig¬
keit gewesen war, von zweien gewiß allemal der eine verdrückt war. Für den
Verfasser einer dereinstigen "Sächsischen Litteraturgeschichte" war also das Buch
entschieden nicht zu brauchen; die Subscribenten verzichteten zum großen Theil
auf die Fortsetzung, und es blieb nichts weiter übrig, als den Rest der Auf¬
lage einzustampfen.

Wer sich freilich einbildete, daß nun damit auch die ganze Idee des
"Sächsischen Schriftstellerlexikons" eingestampft gewesen sei, der irrte sich. Der
Herr Superintendent wartete seine Zeit ab. Als der Sturm sich gelegt hatte
und wieder völlige Windstille eingetreten war, schickte er unverfroren sein Cir¬
cular zum zweiten Male ins Land, und da die menschliche Eitelkeit nun ein¬
mal mächtiger ist, als der menschliche Zorn, so erreichte er wirklich bei vielen
auch zum zweiten Male seinen Zweck; das bereits todt geglaubte "Sächsische
Schriftstellerlexikon" stand wieder auf und erschien alsbald -- ich will mich
so kurz fassen, wie die zweite Verlagshandlung -- nicht in Lieferungen, sondern


nicht so große Eile gehabt haben wird. Noch andere mögen wohl — und
es giebt ja leider auch solche steinerne Herzen — das Circular sofort nach
der Eröffnung mit irgend einem Kraftausdrucke in den Papierkorb geworfen
und nie wieder angesehen haben.

Doch das Gute bricht sich ja immer Bahn. Nach einigen Monaten er¬
schien wirklich die erste Lieferung des „Sächsischen Schriftstellerlerikons".

Auch du empfängst dein Exemplar. Hastig überfliegst du das Titelblatt,
wirfst dann einen Blick auf die letzte Seite des Heftes — welche Freude!
Die erste Lieferung reicht schon bis weit in den Buchstaben I' hinein, dein
Name beginnt „mit dem großen Anfangsbuchstaben D" — Glücklicher, du
stehst also bereits darin !

Du schneidest auf, du blätterst herüber und hinüber — wie? du erbleichst?
Zorn und Schrecken bemächtigen sich deiner? Solltest du vielleicht nicht
darin stehen? Sollte der Undankbare dir und deinen sämmtlichen Werken
etwa nicht den gebührenden Platz gegönnt haben? — Ach. ja wohl stehst du
darin, aber „fragt mich nur nicht, wie!"

In der That ging, als die besagte „erste Lieferung" erschienen war, ein
Schrei des Hohnes und der Entrüstung durch die ganze königlich sächsische
Schriftstellerwelt. Der Herausgeber hatte bewiesen, daß er der erhabenen Auf¬
gabe, die er sich gestellt, nicht im entferntesten gewachsen sei. Man denke sich
nur das eine: Das Buch wimmelte von „Druckfehlern"! Jeder, dessen
Studien sich unglücklicher Weise auf einem Gebiete bewegten, welches dem
Herrn Superintendenten etwas ferner gelegen hatte — und dies war ja bei
den meisten der Fall — mußte es erleben, daß von den Büchertiteln, die er
aufgezeichnet hatte, und deren Zusammenstellung für ihn vielleicht keine Kleinig¬
keit gewesen war, von zweien gewiß allemal der eine verdrückt war. Für den
Verfasser einer dereinstigen „Sächsischen Litteraturgeschichte" war also das Buch
entschieden nicht zu brauchen; die Subscribenten verzichteten zum großen Theil
auf die Fortsetzung, und es blieb nichts weiter übrig, als den Rest der Auf¬
lage einzustampfen.

Wer sich freilich einbildete, daß nun damit auch die ganze Idee des
„Sächsischen Schriftstellerlexikons" eingestampft gewesen sei, der irrte sich. Der
Herr Superintendent wartete seine Zeit ab. Als der Sturm sich gelegt hatte
und wieder völlige Windstille eingetreten war, schickte er unverfroren sein Cir¬
cular zum zweiten Male ins Land, und da die menschliche Eitelkeit nun ein¬
mal mächtiger ist, als der menschliche Zorn, so erreichte er wirklich bei vielen
auch zum zweiten Male seinen Zweck; das bereits todt geglaubte „Sächsische
Schriftstellerlexikon" stand wieder auf und erschien alsbald — ich will mich
so kurz fassen, wie die zweite Verlagshandlung — nicht in Lieferungen, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/130>, abgerufen am 29.06.2024.