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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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gezollt; 26 Jahre sind es auch her, seitdem die Frage der Coburg- G otha l-
öcher Union zeitweise wie die Seeschlange auftaucht und von der Tages¬
ordnung wieder verschwindet: die hervorragendste Aufgabe, welche dem
Herrn von Seebach bei seiner Berufung gestellt worden war, die vollstän¬
dige staatliche Vereinigung beider Länder diesseits und jen¬
seits des Rennsteigs, vermochte er trotz wiederholter Anläufe nicht zu
lösen. Bald lehnte es "der stolze Franke" ab. sein Heimathland zu einer
"gothaischen Provinz" zu machen, bald weigerte sich der Thüringer, in Güter¬
gemeinschaft mit dem fränkischen Halbbruder zu treten, welchen er für einen
armen, fast ruinirten Mann hielt. So besteht bis auf den heutigen Tag
für die 170 -- 180,000 Seelen ein Verfafsungswerk, welches eines Merzig-
millionenreiches würdig wäre und in der That auch dem Grafen Beust für
die Verfassung von Oestreich-Ungarn als Musterbildchen vorgeschwebt zu
haben scheint. Sowohl Cis- als Transthüringien hat noch heute sein eigenes
Ministerium, seinen eigenen Landtag und Landtagsausschuß, seine eigene Ge¬
setzgebung, seine eigene Finanzverwaltung; für die gemeinschaftlichen Ange¬
legenheiten giebt es aber wieder eine gemeinsame Ministerialabtheilung,
eine gemeinsame Gesetzgebung, einen g emeinsamen Landtag und Land¬
tagsausschuß. Der gemeinsame Landtag zählte 22 Jahre lang 14 gothaische
und 7 coburgische Abgeordnete, welche von und aus den beiden Speztalland-
tagen gewählt wurden; im Drange nach Vereinfachung der Maschine beschloß
man aber vor einem Jahre, daß fortan die beiden Sonderlandtage voll¬
zählig zum gemeinsamen Landtag zusammentreten sollen, so daß dieser
jetzt eine stattliche Versammlung von 30 Mitgliedern bildet, die natürlich
mit den Abgeordneten zum deutschen Reichstag die Diätenlosigkeit nicht ge¬
mein haben.

Man liebt es wohl, die Geschichte der Coburg-Gothaischen Union
wie eine Krähwinkelei zu belachen, die Unlust beider Theile zu einer gänzlichen
Verschmelzung ihrer staatlichen Angelegenheiten für einen Ausfluß pfahlbürger¬
licher Engherzigkeit zu halten; vor 1870 begegnete man sogar der Frage: wie
soll ein einiges Deutschland zu Stande kommen, wenn nicht einmal Co-
burg und Gotha unter einen Hut zu bringen sind? Dergleichen Auffassungen
zeugen von gänzlicher Unkenntnis? der Verhältnisse. Das deutsche Reich lebt
jetzt und gedeiht und die Bewohner beider Herzogthümer gehören ihm mit
Leib und Seele an, aber die "Union" läßt noch immer auf sich warten, --
sie hat weder mit der Einigung Deutschlands noch mit einem particularistisch
befangenen Eigenwillen der beiderseitigen Landesangehörigen, die wir gegen
einen solchen Verdacht entschieden in Schutz nehmen müßten, etwas zu schaffen.
Die Union von Coburg und Gotha ist bisher an der Gering¬
fügigkeit ihres Werthes gescheitert. Bei ihrer räumlich getrennten


gezollt; 26 Jahre sind es auch her, seitdem die Frage der Coburg- G otha l-
öcher Union zeitweise wie die Seeschlange auftaucht und von der Tages¬
ordnung wieder verschwindet: die hervorragendste Aufgabe, welche dem
Herrn von Seebach bei seiner Berufung gestellt worden war, die vollstän¬
dige staatliche Vereinigung beider Länder diesseits und jen¬
seits des Rennsteigs, vermochte er trotz wiederholter Anläufe nicht zu
lösen. Bald lehnte es „der stolze Franke" ab. sein Heimathland zu einer
„gothaischen Provinz" zu machen, bald weigerte sich der Thüringer, in Güter¬
gemeinschaft mit dem fränkischen Halbbruder zu treten, welchen er für einen
armen, fast ruinirten Mann hielt. So besteht bis auf den heutigen Tag
für die 170 — 180,000 Seelen ein Verfafsungswerk, welches eines Merzig-
millionenreiches würdig wäre und in der That auch dem Grafen Beust für
die Verfassung von Oestreich-Ungarn als Musterbildchen vorgeschwebt zu
haben scheint. Sowohl Cis- als Transthüringien hat noch heute sein eigenes
Ministerium, seinen eigenen Landtag und Landtagsausschuß, seine eigene Ge¬
setzgebung, seine eigene Finanzverwaltung; für die gemeinschaftlichen Ange¬
legenheiten giebt es aber wieder eine gemeinsame Ministerialabtheilung,
eine gemeinsame Gesetzgebung, einen g emeinsamen Landtag und Land¬
tagsausschuß. Der gemeinsame Landtag zählte 22 Jahre lang 14 gothaische
und 7 coburgische Abgeordnete, welche von und aus den beiden Speztalland-
tagen gewählt wurden; im Drange nach Vereinfachung der Maschine beschloß
man aber vor einem Jahre, daß fortan die beiden Sonderlandtage voll¬
zählig zum gemeinsamen Landtag zusammentreten sollen, so daß dieser
jetzt eine stattliche Versammlung von 30 Mitgliedern bildet, die natürlich
mit den Abgeordneten zum deutschen Reichstag die Diätenlosigkeit nicht ge¬
mein haben.

Man liebt es wohl, die Geschichte der Coburg-Gothaischen Union
wie eine Krähwinkelei zu belachen, die Unlust beider Theile zu einer gänzlichen
Verschmelzung ihrer staatlichen Angelegenheiten für einen Ausfluß pfahlbürger¬
licher Engherzigkeit zu halten; vor 1870 begegnete man sogar der Frage: wie
soll ein einiges Deutschland zu Stande kommen, wenn nicht einmal Co-
burg und Gotha unter einen Hut zu bringen sind? Dergleichen Auffassungen
zeugen von gänzlicher Unkenntnis? der Verhältnisse. Das deutsche Reich lebt
jetzt und gedeiht und die Bewohner beider Herzogthümer gehören ihm mit
Leib und Seele an, aber die „Union" läßt noch immer auf sich warten, —
sie hat weder mit der Einigung Deutschlands noch mit einem particularistisch
befangenen Eigenwillen der beiderseitigen Landesangehörigen, die wir gegen
einen solchen Verdacht entschieden in Schutz nehmen müßten, etwas zu schaffen.
Die Union von Coburg und Gotha ist bisher an der Gering¬
fügigkeit ihres Werthes gescheitert. Bei ihrer räumlich getrennten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/120>, abgerufen am 29.06.2024.