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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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und Bezwingers der Barbaren, zu welchen Leistungen ihm Athen weder die
Kraft noch den Willen zu haben schien, und wiederum war es möglich, aus
ehrlicher Ueberzeugung von einem zuletzt doch vergeblichen Widerstande abzu-
rathen, was der wackere Phokion that. Es hat freilich ein solches Abrathen
von jedem mannhaften Handeln und die Empfehlung feiger Verzichtleistung
nicht mit Unrecht einen üblen Schein, auch wenn der Erfolg hinterdrein den
Verzagten Recht giebt; denn alsdann gerade trifft der Tadel, daß der vor¬
aussichtige Mann durch sein Abrathen und Widerstreben an dem unglücklichen
Ausgange selber mitschuldig ist. Aber mit Phokion, der zunächst Feldherr
war, und mit Jsokrates, der nie vor dem Volke redete, haben wir es hier
nicht zu thun; die Redner jedenfalls, die Philipp's und Alexander's Partei
hielten, hatten weder panhellenische Sympathien, noch tiefe politische Einsichten,
welche, wenn vorhanden, doch irgendwo in ihren Werken hervortreten müßten,
sondern sie richteten sich nach dem eignen Interesse und gaben für dieses die
Ehre und Stellung Athens bereitwillig Preis. Soviel zur Begründung, wenn
wir den Demosthenes und Aischines, welcher letztere sich immer noch eines
viel zu günstigen Rufes erfreut, von vornherein ungleich würdigen, und
dem einen Achtung und Vertrauen, dem andern Verdacht und Mißtrauen
entgegenbringen.

Unter Demosthenes Genossen kann an Hoheit und Reinheit des Charak¬
ters, an Verdiensten um Athen niemand mit Lykurgos verglichen werden,
und mit Recht sind diesem, wenngleich erst ein halbes Jahrhundert nach
seinem Tode, ebenso wie dem Demosthenes die höchsten bürgerlichen Ehren,
nämlich ein Standbild auf dem Markte und die erbliche Speisung im Pryta-
neion, vom Volke zuerkannt worden. Der uns erhaltene Bolksbeschluß zählt
ausführlich auf, was im einzelnen der Staat dem Lykurgos verdankte; die
Seite, welche hier zurücktritt, nämlich seine Betheiligung an der auswärtigen
Politik, wird warm und beredt gewürdigt in dem dritten demosthenischen
Briefe, welcher vor dem Volke die Sache von Lykurg's Söhnen vertritt, die
nach des Vaters Tode auf Verläumdungen der Gegner hin, als habe er sich
im Besitze von Staatsgeldern befunden, ins Gefängniß geworfen waren. In
diesem Briefe, den die Neueren ohne zureichenden Grund als eine Fälschung
ansehen, heißt es von Lykurg folgendermaßen: "Jener hatte sich zu Anfang
dem die Finanzwirthschaft betreffenden Theile der Staatsverwaltung gewidmet,
und pflegte über hellenische und Bundesangelegenheiten keine Anträge zu
stellen; damals aber, als auch von denen, die sich zuvor für Patrioten aus¬
gaben, die Mehrzahl euch verließ" -- d. i. nach der Schlacht von Chairo-
neta -- "da stellte er sich auf die Seite der vaterländischen Sache, nicht weil
sich hieraus Geschenke und Einkünfte erlangen ließen, denn von dem'entgegen-
gesetzten Thun kam alles derartige, auch nicht weil er diese Stellung als die


und Bezwingers der Barbaren, zu welchen Leistungen ihm Athen weder die
Kraft noch den Willen zu haben schien, und wiederum war es möglich, aus
ehrlicher Ueberzeugung von einem zuletzt doch vergeblichen Widerstande abzu-
rathen, was der wackere Phokion that. Es hat freilich ein solches Abrathen
von jedem mannhaften Handeln und die Empfehlung feiger Verzichtleistung
nicht mit Unrecht einen üblen Schein, auch wenn der Erfolg hinterdrein den
Verzagten Recht giebt; denn alsdann gerade trifft der Tadel, daß der vor¬
aussichtige Mann durch sein Abrathen und Widerstreben an dem unglücklichen
Ausgange selber mitschuldig ist. Aber mit Phokion, der zunächst Feldherr
war, und mit Jsokrates, der nie vor dem Volke redete, haben wir es hier
nicht zu thun; die Redner jedenfalls, die Philipp's und Alexander's Partei
hielten, hatten weder panhellenische Sympathien, noch tiefe politische Einsichten,
welche, wenn vorhanden, doch irgendwo in ihren Werken hervortreten müßten,
sondern sie richteten sich nach dem eignen Interesse und gaben für dieses die
Ehre und Stellung Athens bereitwillig Preis. Soviel zur Begründung, wenn
wir den Demosthenes und Aischines, welcher letztere sich immer noch eines
viel zu günstigen Rufes erfreut, von vornherein ungleich würdigen, und
dem einen Achtung und Vertrauen, dem andern Verdacht und Mißtrauen
entgegenbringen.

Unter Demosthenes Genossen kann an Hoheit und Reinheit des Charak¬
ters, an Verdiensten um Athen niemand mit Lykurgos verglichen werden,
und mit Recht sind diesem, wenngleich erst ein halbes Jahrhundert nach
seinem Tode, ebenso wie dem Demosthenes die höchsten bürgerlichen Ehren,
nämlich ein Standbild auf dem Markte und die erbliche Speisung im Pryta-
neion, vom Volke zuerkannt worden. Der uns erhaltene Bolksbeschluß zählt
ausführlich auf, was im einzelnen der Staat dem Lykurgos verdankte; die
Seite, welche hier zurücktritt, nämlich seine Betheiligung an der auswärtigen
Politik, wird warm und beredt gewürdigt in dem dritten demosthenischen
Briefe, welcher vor dem Volke die Sache von Lykurg's Söhnen vertritt, die
nach des Vaters Tode auf Verläumdungen der Gegner hin, als habe er sich
im Besitze von Staatsgeldern befunden, ins Gefängniß geworfen waren. In
diesem Briefe, den die Neueren ohne zureichenden Grund als eine Fälschung
ansehen, heißt es von Lykurg folgendermaßen: „Jener hatte sich zu Anfang
dem die Finanzwirthschaft betreffenden Theile der Staatsverwaltung gewidmet,
und pflegte über hellenische und Bundesangelegenheiten keine Anträge zu
stellen; damals aber, als auch von denen, die sich zuvor für Patrioten aus¬
gaben, die Mehrzahl euch verließ" — d. i. nach der Schlacht von Chairo-
neta — „da stellte er sich auf die Seite der vaterländischen Sache, nicht weil
sich hieraus Geschenke und Einkünfte erlangen ließen, denn von dem'entgegen-
gesetzten Thun kam alles derartige, auch nicht weil er diese Stellung als die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/10>, abgerufen am 26.06.2024.