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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Hütten kaufen, es schleifen, bemalen, vergolden lassen undIihrerseits dann in
den Handel bringen. Wo die Wasserader dazu reich genug ist, da hat man
sicher eine Glasschleifmühle daran erbaut, und fast in jedem der schmucken Berg¬
häuschen wird Glas bemalt und Glas polirt. Das Glas ist es zunächst, was
ringsum die Ortschaften gegründet hat, oder ihnen doch ihren hauptsächlichen
Lebensunterhalt gewährt; nur einzelne der unmittelbar an oder in den Wald
gerückten Häuserbündel beherbergen eine anderer Hantirung obliegende Be¬
wohnerschaft, das Völklein der Holzfäller und Holzsahrer, einen derben, aber
wackern Menschenschlag, dessen saures Handwerk einen ganz erträglichen Bo¬
den hat, so daß hier zwischen den rauhen hohen Bergen die Noth selten
so grimm an die Thüre pocht wie im fruchtbaren Flachlande und in den Ort¬
schaften der Ebene. Mit den Glashütten stockt freilich auch die Industrie der
Holzarbeiter, die jenen ihr Brennmaterial Herrichten, und wie man in den
Bädern und Fremdenorten des Gebirgs für die Unergiebigkeit der heurigen
Saison immer zunächst den "großen Krach" verantwortlich macht, so führt
auch wohl der Holzhauer die leidige Allerweltsschwindelepoche der jüngsten
Jahre als Ursache seines spärlichen Verdienstes im Munde.

In schmalem Waldgrunde, der forellenreichen Mummel zur Seite, läuft
unser Weg gen Süden weiter, bis wir nach halbstündigen Marsche die von
Westen kommende mächtige Jser erreichen und auf einer stattlichen Brücke
von hell schimmerndem Granit überschreiten. Zur Rechten strecken sich
wiederum die rauchgeschwärzten Baulichkeiten einer Glashütte am Wasser hin,
von gewaltigen Haufen geschnittener Holzklaftern flankirt, denn das Glas ist
ein arger Waldverwüster, vor uns zeichnen sich die weißen Mauern einer
tiesigen Spinnmühle vom stahlblauen Fichtenhintergrunde ab, schräg über an
der Straße winkt ein freundliches kleines Wirthshaus -- wir sind an unserm
nächsten Ziele angelangt, in Wurzelsdorf. Das überaus romantisch
gelegene Dorf ist neuerdings als ländlicher Curort in einige Aufnahme ge¬
kommen und vereinigt in Wahrheit viele der Eigenschaften in sich, die ein
^ad- und Sommerfrischort in den Bergen besitzen soll. Wir erwählen es
darum fürs Erste zum Standquartiere, schlagen in dem vor zwei Jahren
errichteten schmucken Badehause unser Zelt aus und streifen von hier in die
an schönen und interessanten Punkten überreiche und allenthalben lebensvoll
staffirte Landschaft hinaus.




Hütten kaufen, es schleifen, bemalen, vergolden lassen undIihrerseits dann in
den Handel bringen. Wo die Wasserader dazu reich genug ist, da hat man
sicher eine Glasschleifmühle daran erbaut, und fast in jedem der schmucken Berg¬
häuschen wird Glas bemalt und Glas polirt. Das Glas ist es zunächst, was
ringsum die Ortschaften gegründet hat, oder ihnen doch ihren hauptsächlichen
Lebensunterhalt gewährt; nur einzelne der unmittelbar an oder in den Wald
gerückten Häuserbündel beherbergen eine anderer Hantirung obliegende Be¬
wohnerschaft, das Völklein der Holzfäller und Holzsahrer, einen derben, aber
wackern Menschenschlag, dessen saures Handwerk einen ganz erträglichen Bo¬
den hat, so daß hier zwischen den rauhen hohen Bergen die Noth selten
so grimm an die Thüre pocht wie im fruchtbaren Flachlande und in den Ort¬
schaften der Ebene. Mit den Glashütten stockt freilich auch die Industrie der
Holzarbeiter, die jenen ihr Brennmaterial Herrichten, und wie man in den
Bädern und Fremdenorten des Gebirgs für die Unergiebigkeit der heurigen
Saison immer zunächst den „großen Krach" verantwortlich macht, so führt
auch wohl der Holzhauer die leidige Allerweltsschwindelepoche der jüngsten
Jahre als Ursache seines spärlichen Verdienstes im Munde.

In schmalem Waldgrunde, der forellenreichen Mummel zur Seite, läuft
unser Weg gen Süden weiter, bis wir nach halbstündigen Marsche die von
Westen kommende mächtige Jser erreichen und auf einer stattlichen Brücke
von hell schimmerndem Granit überschreiten. Zur Rechten strecken sich
wiederum die rauchgeschwärzten Baulichkeiten einer Glashütte am Wasser hin,
von gewaltigen Haufen geschnittener Holzklaftern flankirt, denn das Glas ist
ein arger Waldverwüster, vor uns zeichnen sich die weißen Mauern einer
tiesigen Spinnmühle vom stahlblauen Fichtenhintergrunde ab, schräg über an
der Straße winkt ein freundliches kleines Wirthshaus — wir sind an unserm
nächsten Ziele angelangt, in Wurzelsdorf. Das überaus romantisch
gelegene Dorf ist neuerdings als ländlicher Curort in einige Aufnahme ge¬
kommen und vereinigt in Wahrheit viele der Eigenschaften in sich, die ein
^ad- und Sommerfrischort in den Bergen besitzen soll. Wir erwählen es
darum fürs Erste zum Standquartiere, schlagen in dem vor zwei Jahren
errichteten schmucken Badehause unser Zelt aus und streifen von hier in die
an schönen und interessanten Punkten überreiche und allenthalben lebensvoll
staffirte Landschaft hinaus.




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[0083] Hütten kaufen, es schleifen, bemalen, vergolden lassen undIihrerseits dann in den Handel bringen. Wo die Wasserader dazu reich genug ist, da hat man sicher eine Glasschleifmühle daran erbaut, und fast in jedem der schmucken Berg¬ häuschen wird Glas bemalt und Glas polirt. Das Glas ist es zunächst, was ringsum die Ortschaften gegründet hat, oder ihnen doch ihren hauptsächlichen Lebensunterhalt gewährt; nur einzelne der unmittelbar an oder in den Wald gerückten Häuserbündel beherbergen eine anderer Hantirung obliegende Be¬ wohnerschaft, das Völklein der Holzfäller und Holzsahrer, einen derben, aber wackern Menschenschlag, dessen saures Handwerk einen ganz erträglichen Bo¬ den hat, so daß hier zwischen den rauhen hohen Bergen die Noth selten so grimm an die Thüre pocht wie im fruchtbaren Flachlande und in den Ort¬ schaften der Ebene. Mit den Glashütten stockt freilich auch die Industrie der Holzarbeiter, die jenen ihr Brennmaterial Herrichten, und wie man in den Bädern und Fremdenorten des Gebirgs für die Unergiebigkeit der heurigen Saison immer zunächst den „großen Krach" verantwortlich macht, so führt auch wohl der Holzhauer die leidige Allerweltsschwindelepoche der jüngsten Jahre als Ursache seines spärlichen Verdienstes im Munde. In schmalem Waldgrunde, der forellenreichen Mummel zur Seite, läuft unser Weg gen Süden weiter, bis wir nach halbstündigen Marsche die von Westen kommende mächtige Jser erreichen und auf einer stattlichen Brücke von hell schimmerndem Granit überschreiten. Zur Rechten strecken sich wiederum die rauchgeschwärzten Baulichkeiten einer Glashütte am Wasser hin, von gewaltigen Haufen geschnittener Holzklaftern flankirt, denn das Glas ist ein arger Waldverwüster, vor uns zeichnen sich die weißen Mauern einer tiesigen Spinnmühle vom stahlblauen Fichtenhintergrunde ab, schräg über an der Straße winkt ein freundliches kleines Wirthshaus — wir sind an unserm nächsten Ziele angelangt, in Wurzelsdorf. Das überaus romantisch gelegene Dorf ist neuerdings als ländlicher Curort in einige Aufnahme ge¬ kommen und vereinigt in Wahrheit viele der Eigenschaften in sich, die ein ^ad- und Sommerfrischort in den Bergen besitzen soll. Wir erwählen es darum fürs Erste zum Standquartiere, schlagen in dem vor zwei Jahren errichteten schmucken Badehause unser Zelt aus und streifen von hier in die an schönen und interessanten Punkten überreiche und allenthalben lebensvoll staffirte Landschaft hinaus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/83>, abgerufen am 22.07.2024.