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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Formen gaben, die der religiösen Organisation entlehnt waren. Wo der
Souverän als Repräsentant der Gottheit gilt, kann es zu keiner Freiheit
kommen, weil die Macht dessen, der im Namen Gottes spricht und handelt,
nothwendig unbeschränkt sein muß. Ueber die Befehle Gottes discutirt man
nicht. In den alten asiatischen Reichen, in den muhamedanischen Sultanaten,
in den Monarchien nach dem Muster des Königthums Ludwig's des Vier¬
zehnten, wo die Fürsten kraft göttlichen Rechtes regierten, war das Volk voll¬
ständig unfrei. Das Urchristenthum mußte die Aufrichtung freier Institutionen
begünstigen." Es lenkte zwar die Menschen von irdischen Interessen ab und
trieb sie nicht an, ihre Rechte als Bürger in Anspruch zu nehmen. Aber in¬
dem es ihre Sitten läuterte und erhob, indem es das Gewissen weckte und
die Selbstsucht verbannte, befähigte es sie, sich selbst zu regieren. Im Schooße
der ersten Christengemeinden herrschte eine große Gleichheit, und alle Gewalt
ging vom Volke aus. Diese Gemeinden waren demokratische Republiken, und
so fanden sich die Presbyterianer, als sie im sechzehnten Jahrhundert die alte
Organisation der Kirche wieder herstellten, bewogen, republikanische Institu¬
tionen auf den Staat zu übertragen.

Sowohl die Vertheidiger als die Gegner der römischen Kirche verwechseln
oder vermischen das Christenthum mit dem Katholicismus. Die, welche das
Christenthum angreifen, schreiben ihm die Grundsätze, die Mißbräuche und die
Verbrechen der römischen Kirche zu, und die, welche die Kirche vertheidigen,
berufen sich dabei auf die Verdienste, die Tugenden und die Wohlthaten des
Christenthums. Beide Theile irren. Das Christenthum ist der Freiheit günstig,
der Katholicismus ist ihr Todfeind, das haben wir aus dem Munde seines
unfehlbaren Oberhauptes selbst. Die Geschichte der kirchlichen Einrichtungen
zeigt uns ein stetes Hinstreben auf eine immer größere Concentration der Ge¬
walten. Sie hat die Gleichheit der ersten christlichen Gemeinden und das
Repräsentativsystem der alten Zeit immer mehr verlassen, um endlich im neun¬
zehnten Jahrhundert mit der Verkündigung der Unfehlbarkeit des Papstes bei
dem unbeschränktesten Despotismus, den man sich denken kann, anzulangen.
Anfangs eine demokratische Republik, wurde die Kirche, als die Bischöfe ihre
Macht ausdehnten, ohne ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Papste zu ver¬
lieren, eine aristokratisch-constitutionelle Monarchie, und sie blieb dieß, so
lange der Schwerpunkt in den Concilien lag. Heutzutage verwirklicht sie das
Ideal der theokratischen Despotie. Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich nach
der religiösen zu bilden strebt, wie die Thatsachen es zeigen, so muß sie sich
hier einer rein despotischen Regierung unterwerfen. So haben es auch die
Parteigänger der Kirche aufgefaßt, und zwar nicht erst jetzt, wo der spanische
Prätendent ihr Günstling ist. Bossuet, in seiner "?o1it,i<Mo tires I'Not-
n-
ur<z seüntv" zeichnet uns die Verhältnisse, die sich für ein katholisches Land


Formen gaben, die der religiösen Organisation entlehnt waren. Wo der
Souverän als Repräsentant der Gottheit gilt, kann es zu keiner Freiheit
kommen, weil die Macht dessen, der im Namen Gottes spricht und handelt,
nothwendig unbeschränkt sein muß. Ueber die Befehle Gottes discutirt man
nicht. In den alten asiatischen Reichen, in den muhamedanischen Sultanaten,
in den Monarchien nach dem Muster des Königthums Ludwig's des Vier¬
zehnten, wo die Fürsten kraft göttlichen Rechtes regierten, war das Volk voll¬
ständig unfrei. Das Urchristenthum mußte die Aufrichtung freier Institutionen
begünstigen." Es lenkte zwar die Menschen von irdischen Interessen ab und
trieb sie nicht an, ihre Rechte als Bürger in Anspruch zu nehmen. Aber in¬
dem es ihre Sitten läuterte und erhob, indem es das Gewissen weckte und
die Selbstsucht verbannte, befähigte es sie, sich selbst zu regieren. Im Schooße
der ersten Christengemeinden herrschte eine große Gleichheit, und alle Gewalt
ging vom Volke aus. Diese Gemeinden waren demokratische Republiken, und
so fanden sich die Presbyterianer, als sie im sechzehnten Jahrhundert die alte
Organisation der Kirche wieder herstellten, bewogen, republikanische Institu¬
tionen auf den Staat zu übertragen.

Sowohl die Vertheidiger als die Gegner der römischen Kirche verwechseln
oder vermischen das Christenthum mit dem Katholicismus. Die, welche das
Christenthum angreifen, schreiben ihm die Grundsätze, die Mißbräuche und die
Verbrechen der römischen Kirche zu, und die, welche die Kirche vertheidigen,
berufen sich dabei auf die Verdienste, die Tugenden und die Wohlthaten des
Christenthums. Beide Theile irren. Das Christenthum ist der Freiheit günstig,
der Katholicismus ist ihr Todfeind, das haben wir aus dem Munde seines
unfehlbaren Oberhauptes selbst. Die Geschichte der kirchlichen Einrichtungen
zeigt uns ein stetes Hinstreben auf eine immer größere Concentration der Ge¬
walten. Sie hat die Gleichheit der ersten christlichen Gemeinden und das
Repräsentativsystem der alten Zeit immer mehr verlassen, um endlich im neun¬
zehnten Jahrhundert mit der Verkündigung der Unfehlbarkeit des Papstes bei
dem unbeschränktesten Despotismus, den man sich denken kann, anzulangen.
Anfangs eine demokratische Republik, wurde die Kirche, als die Bischöfe ihre
Macht ausdehnten, ohne ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Papste zu ver¬
lieren, eine aristokratisch-constitutionelle Monarchie, und sie blieb dieß, so
lange der Schwerpunkt in den Concilien lag. Heutzutage verwirklicht sie das
Ideal der theokratischen Despotie. Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich nach
der religiösen zu bilden strebt, wie die Thatsachen es zeigen, so muß sie sich
hier einer rein despotischen Regierung unterwerfen. So haben es auch die
Parteigänger der Kirche aufgefaßt, und zwar nicht erst jetzt, wo der spanische
Prätendent ihr Günstling ist. Bossuet, in seiner „?o1it,i<Mo tires I'Not-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/55>, abgerufen am 03.07.2024.