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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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eine Zunahme der Verbrechen, namentlich derer, die man unter die Kategorie
der "Brutalitätsstatistik" gebracht hat, ziemlich allgemein klagt. So hatte-
das oberelsässtsche Schwurgericht in seiner letzten Periode nicht weniger als
sieben schwere Verbrechen gegen das Leben (Mord, Mordversuch, Todtschlag,
schwere Körperverletzung u. tgi.) abzuurtheilen, darunter ein Todesurtheil.
Man legt dies, wie auch anderwärts, ob mit Recht oder mit Unrecht, zum
Theil der Milde des deutschen Strafgesetzbuches zur Last, die allerdings von
dem harten Strafsystem des Loäs xvrml grell absticht. Elsäsfische Klatsch¬
basen meinen sogar, seit Einführung des neuen Strafgesetzbuches sei das
Elsaß der Schlupfwinkel für alle Diebe und Mörder geworden von hüben
und von drüben.

Nun -- die Strafrechtsnovelle wird hoffentlich nach dieser Richtung ihre
Wirkung nicht verfehlen. Doch ist dabei zu betonen, wie dies auch Laster
mit beredten Worten auseinandergesetzt hat, daß das deutsche Strafsystem
nicht milde, sondern human sei. und daß der Vorwurf einer allzugroßen
Milde immerhin noch eher zu ertragen ist, als der einer drakonischen Strenge.
Ferner ist hier an die constanten statistischen Gesetze auf dem Gebiete der
Moralstatistik zu erinnern, wie sie z. B. von Engels, Prof. Wagner in
Berlin u. A. aufgestellt worden sind. Endlich ist wohl zu berücksichtigen, daß
auch in andern Ländern, beispielsweise in Frankreich, wo doch eben das
strengere Gesetz in Geltung ist, in den letzten Jahrzehnten die Verbrechens-
Statistik eine steigende Tendenz ausweist. So stellt sich nach einer mir vor¬
liegenden, jüngst veröffentlichten Arbeit im französischen Justizministerium über
diesen Gegenstand bezüglich des Jahres 1873 das Verhältniß der bedeutendern
(bestraften) Verbrechen gegen das Jahr 1869 folgendermaßen: 125 Mord¬
thaten gegen 118; 154 Kindermorde gegen 121; 154 Totschläge gegen 141;
1073 schwere Diebstähle gegen 1030 u. s. w. England zeigt dagegen ein
günstigeres Verhältniß gegen früher. Doch wird dies wohl auch nicht der
/u. Wiedereinführung der Prügelstrafe zu verdanken sein.






Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthel ^ Herrmann in Leipzig.

eine Zunahme der Verbrechen, namentlich derer, die man unter die Kategorie
der „Brutalitätsstatistik" gebracht hat, ziemlich allgemein klagt. So hatte-
das oberelsässtsche Schwurgericht in seiner letzten Periode nicht weniger als
sieben schwere Verbrechen gegen das Leben (Mord, Mordversuch, Todtschlag,
schwere Körperverletzung u. tgi.) abzuurtheilen, darunter ein Todesurtheil.
Man legt dies, wie auch anderwärts, ob mit Recht oder mit Unrecht, zum
Theil der Milde des deutschen Strafgesetzbuches zur Last, die allerdings von
dem harten Strafsystem des Loäs xvrml grell absticht. Elsäsfische Klatsch¬
basen meinen sogar, seit Einführung des neuen Strafgesetzbuches sei das
Elsaß der Schlupfwinkel für alle Diebe und Mörder geworden von hüben
und von drüben.

Nun — die Strafrechtsnovelle wird hoffentlich nach dieser Richtung ihre
Wirkung nicht verfehlen. Doch ist dabei zu betonen, wie dies auch Laster
mit beredten Worten auseinandergesetzt hat, daß das deutsche Strafsystem
nicht milde, sondern human sei. und daß der Vorwurf einer allzugroßen
Milde immerhin noch eher zu ertragen ist, als der einer drakonischen Strenge.
Ferner ist hier an die constanten statistischen Gesetze auf dem Gebiete der
Moralstatistik zu erinnern, wie sie z. B. von Engels, Prof. Wagner in
Berlin u. A. aufgestellt worden sind. Endlich ist wohl zu berücksichtigen, daß
auch in andern Ländern, beispielsweise in Frankreich, wo doch eben das
strengere Gesetz in Geltung ist, in den letzten Jahrzehnten die Verbrechens-
Statistik eine steigende Tendenz ausweist. So stellt sich nach einer mir vor¬
liegenden, jüngst veröffentlichten Arbeit im französischen Justizministerium über
diesen Gegenstand bezüglich des Jahres 1873 das Verhältniß der bedeutendern
(bestraften) Verbrechen gegen das Jahr 1869 folgendermaßen: 125 Mord¬
thaten gegen 118; 154 Kindermorde gegen 121; 154 Totschläge gegen 141;
1073 schwere Diebstähle gegen 1030 u. s. w. England zeigt dagegen ein
günstigeres Verhältniß gegen früher. Doch wird dies wohl auch nicht der
/u. Wiedereinführung der Prügelstrafe zu verdanken sein.






Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel ^ Herrmann in Leipzig.
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[0524] eine Zunahme der Verbrechen, namentlich derer, die man unter die Kategorie der „Brutalitätsstatistik" gebracht hat, ziemlich allgemein klagt. So hatte- das oberelsässtsche Schwurgericht in seiner letzten Periode nicht weniger als sieben schwere Verbrechen gegen das Leben (Mord, Mordversuch, Todtschlag, schwere Körperverletzung u. tgi.) abzuurtheilen, darunter ein Todesurtheil. Man legt dies, wie auch anderwärts, ob mit Recht oder mit Unrecht, zum Theil der Milde des deutschen Strafgesetzbuches zur Last, die allerdings von dem harten Strafsystem des Loäs xvrml grell absticht. Elsäsfische Klatsch¬ basen meinen sogar, seit Einführung des neuen Strafgesetzbuches sei das Elsaß der Schlupfwinkel für alle Diebe und Mörder geworden von hüben und von drüben. Nun — die Strafrechtsnovelle wird hoffentlich nach dieser Richtung ihre Wirkung nicht verfehlen. Doch ist dabei zu betonen, wie dies auch Laster mit beredten Worten auseinandergesetzt hat, daß das deutsche Strafsystem nicht milde, sondern human sei. und daß der Vorwurf einer allzugroßen Milde immerhin noch eher zu ertragen ist, als der einer drakonischen Strenge. Ferner ist hier an die constanten statistischen Gesetze auf dem Gebiete der Moralstatistik zu erinnern, wie sie z. B. von Engels, Prof. Wagner in Berlin u. A. aufgestellt worden sind. Endlich ist wohl zu berücksichtigen, daß auch in andern Ländern, beispielsweise in Frankreich, wo doch eben das strengere Gesetz in Geltung ist, in den letzten Jahrzehnten die Verbrechens- Statistik eine steigende Tendenz ausweist. So stellt sich nach einer mir vor¬ liegenden, jüngst veröffentlichten Arbeit im französischen Justizministerium über diesen Gegenstand bezüglich des Jahres 1873 das Verhältniß der bedeutendern (bestraften) Verbrechen gegen das Jahr 1869 folgendermaßen: 125 Mord¬ thaten gegen 118; 154 Kindermorde gegen 121; 154 Totschläge gegen 141; 1073 schwere Diebstähle gegen 1030 u. s. w. England zeigt dagegen ein günstigeres Verhältniß gegen früher. Doch wird dies wohl auch nicht der /u. Wiedereinführung der Prügelstrafe zu verdanken sein. Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel ^ Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/524>, abgerufen am 22.07.2024.