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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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theater. Man thut, als hinge das Seelenheil des ganzen Landes daran, ob
schließlich die Republik oder die Monarchie, und wiederum ob im letzteren
Falle das Königthum oder das Kaiserthum siege. Ich erlaube mir der
ketzerischen Ansicht zu sein, daß diese Frage, vom Standpunkte des Landes
und nicht von dem der Partei aus beurtheilt, von höchst untergeordneter
Bedeutung ist. Ob Republik, ob Monarchie, ob Königthum, ob Kaiserthum,
so gewiß die französische Geschichte niemals wieder hinter das Jahr 1789
zurückgeschraubt werden kann, so gewiß wird die herrschende Staatsraison
der von den Bonapartes begründete Cäsarismus bleiben. Das erste Kaiser¬
reich, die Restauration, das Julikönigthum, die Republik von 1848, das zweite
Kaiserreich sind dahingesunken. aber wie ein ehernes Monument stehen noch
heute die fundamentalen Organisationen des ersten Napoleon. Der Neffe
des gewaltigen Imperators hat nichts Anderes gethan, als die Ziele des
Oheims inmitten eines kleineren Geschlechts mit kleineren Mitteln verfolgt.
Was man ihm niemals verzeihen wird, ist die Unfähigkeit und mehr noch
das Unglück seiner auswärtigen Politik; in Betreff der inneren Lage aber
kann es keinem aufmerksamen Beobachter verborgen bleiben, daß sich ganz
Frankreich im Stillen längst nach den Fleischtöpfen des verhöhnten "Bas-
Empire" zurücksehnt. Im Grunde hat es denn auch die gegenwärtig be¬
stehende "Republik" weder unter Thiers noch unter Mac Mahon gewagt,
nicht allein mit den Maximen, sondern nicht einmal mit dem Personal der
napoleonischen Verwaltung zu brechen. Paris, Lyon und Marseille mit
ihrem permanenten Belagerungszustande sind heute sogar rechtloser, als unter
Louis Napoleon. Ein seltsames Gefühl beschleicht den Fremdling, wenn ihm
in den Theatern der Hauptstadt des neuesten "Freistaats", von der großen
Oper bis hinab zu dem unbedeutendsten Volkstheater, und ebenso an den
sonstigen abendlichen Verguügungsorten außer dem Troß der Polizeibeamten
auch die Militärwache mit Gewehr und Bajonett begegnet. Ich habe auch
nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß man in Paris trotz seiner
radicalen Wahlen, in der großen Masse der Bevölkerung wirklich an die
Republik glaube; überall begegnet man dem ausgesprochensten Skepticismus,
der nur insofern variirt, je nachdem der Urtheilende die politischen Dinge
mit einem gewissen cynischen Gleichmuth oder in pessimistischer Weise zu be¬
trachten gewohnt ist. Kurz, es herrscht das Gefühl, daß, was die "Versailler"
auch beschließen mögen, es im Grunde doch beim Alten bleiben wird.

Von ungleich schwerer wiegender Bedeutung, als das lärmende Gezänk
um Staats- und Regierungsform, ist dermalen in Frankreich die großartige
und kühne Action des Ultramontanismus. In unbegreiflicher Verblendung
haben die liberalen Parteien dieselbe heranwachsen lassen, bis sie ihnen eines
schönen Morgens mit dem famosen Gesetz über die "Universitätsfreiheit" den


theater. Man thut, als hinge das Seelenheil des ganzen Landes daran, ob
schließlich die Republik oder die Monarchie, und wiederum ob im letzteren
Falle das Königthum oder das Kaiserthum siege. Ich erlaube mir der
ketzerischen Ansicht zu sein, daß diese Frage, vom Standpunkte des Landes
und nicht von dem der Partei aus beurtheilt, von höchst untergeordneter
Bedeutung ist. Ob Republik, ob Monarchie, ob Königthum, ob Kaiserthum,
so gewiß die französische Geschichte niemals wieder hinter das Jahr 1789
zurückgeschraubt werden kann, so gewiß wird die herrschende Staatsraison
der von den Bonapartes begründete Cäsarismus bleiben. Das erste Kaiser¬
reich, die Restauration, das Julikönigthum, die Republik von 1848, das zweite
Kaiserreich sind dahingesunken. aber wie ein ehernes Monument stehen noch
heute die fundamentalen Organisationen des ersten Napoleon. Der Neffe
des gewaltigen Imperators hat nichts Anderes gethan, als die Ziele des
Oheims inmitten eines kleineren Geschlechts mit kleineren Mitteln verfolgt.
Was man ihm niemals verzeihen wird, ist die Unfähigkeit und mehr noch
das Unglück seiner auswärtigen Politik; in Betreff der inneren Lage aber
kann es keinem aufmerksamen Beobachter verborgen bleiben, daß sich ganz
Frankreich im Stillen längst nach den Fleischtöpfen des verhöhnten „Bas-
Empire" zurücksehnt. Im Grunde hat es denn auch die gegenwärtig be¬
stehende „Republik" weder unter Thiers noch unter Mac Mahon gewagt,
nicht allein mit den Maximen, sondern nicht einmal mit dem Personal der
napoleonischen Verwaltung zu brechen. Paris, Lyon und Marseille mit
ihrem permanenten Belagerungszustande sind heute sogar rechtloser, als unter
Louis Napoleon. Ein seltsames Gefühl beschleicht den Fremdling, wenn ihm
in den Theatern der Hauptstadt des neuesten „Freistaats", von der großen
Oper bis hinab zu dem unbedeutendsten Volkstheater, und ebenso an den
sonstigen abendlichen Verguügungsorten außer dem Troß der Polizeibeamten
auch die Militärwache mit Gewehr und Bajonett begegnet. Ich habe auch
nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß man in Paris trotz seiner
radicalen Wahlen, in der großen Masse der Bevölkerung wirklich an die
Republik glaube; überall begegnet man dem ausgesprochensten Skepticismus,
der nur insofern variirt, je nachdem der Urtheilende die politischen Dinge
mit einem gewissen cynischen Gleichmuth oder in pessimistischer Weise zu be¬
trachten gewohnt ist. Kurz, es herrscht das Gefühl, daß, was die „Versailler"
auch beschließen mögen, es im Grunde doch beim Alten bleiben wird.

Von ungleich schwerer wiegender Bedeutung, als das lärmende Gezänk
um Staats- und Regierungsform, ist dermalen in Frankreich die großartige
und kühne Action des Ultramontanismus. In unbegreiflicher Verblendung
haben die liberalen Parteien dieselbe heranwachsen lassen, bis sie ihnen eines
schönen Morgens mit dem famosen Gesetz über die „Universitätsfreiheit" den


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[0512] theater. Man thut, als hinge das Seelenheil des ganzen Landes daran, ob schließlich die Republik oder die Monarchie, und wiederum ob im letzteren Falle das Königthum oder das Kaiserthum siege. Ich erlaube mir der ketzerischen Ansicht zu sein, daß diese Frage, vom Standpunkte des Landes und nicht von dem der Partei aus beurtheilt, von höchst untergeordneter Bedeutung ist. Ob Republik, ob Monarchie, ob Königthum, ob Kaiserthum, so gewiß die französische Geschichte niemals wieder hinter das Jahr 1789 zurückgeschraubt werden kann, so gewiß wird die herrschende Staatsraison der von den Bonapartes begründete Cäsarismus bleiben. Das erste Kaiser¬ reich, die Restauration, das Julikönigthum, die Republik von 1848, das zweite Kaiserreich sind dahingesunken. aber wie ein ehernes Monument stehen noch heute die fundamentalen Organisationen des ersten Napoleon. Der Neffe des gewaltigen Imperators hat nichts Anderes gethan, als die Ziele des Oheims inmitten eines kleineren Geschlechts mit kleineren Mitteln verfolgt. Was man ihm niemals verzeihen wird, ist die Unfähigkeit und mehr noch das Unglück seiner auswärtigen Politik; in Betreff der inneren Lage aber kann es keinem aufmerksamen Beobachter verborgen bleiben, daß sich ganz Frankreich im Stillen längst nach den Fleischtöpfen des verhöhnten „Bas- Empire" zurücksehnt. Im Grunde hat es denn auch die gegenwärtig be¬ stehende „Republik" weder unter Thiers noch unter Mac Mahon gewagt, nicht allein mit den Maximen, sondern nicht einmal mit dem Personal der napoleonischen Verwaltung zu brechen. Paris, Lyon und Marseille mit ihrem permanenten Belagerungszustande sind heute sogar rechtloser, als unter Louis Napoleon. Ein seltsames Gefühl beschleicht den Fremdling, wenn ihm in den Theatern der Hauptstadt des neuesten „Freistaats", von der großen Oper bis hinab zu dem unbedeutendsten Volkstheater, und ebenso an den sonstigen abendlichen Verguügungsorten außer dem Troß der Polizeibeamten auch die Militärwache mit Gewehr und Bajonett begegnet. Ich habe auch nicht die Ueberzeugung gewinnen können, daß man in Paris trotz seiner radicalen Wahlen, in der großen Masse der Bevölkerung wirklich an die Republik glaube; überall begegnet man dem ausgesprochensten Skepticismus, der nur insofern variirt, je nachdem der Urtheilende die politischen Dinge mit einem gewissen cynischen Gleichmuth oder in pessimistischer Weise zu be¬ trachten gewohnt ist. Kurz, es herrscht das Gefühl, daß, was die „Versailler" auch beschließen mögen, es im Grunde doch beim Alten bleiben wird. Von ungleich schwerer wiegender Bedeutung, als das lärmende Gezänk um Staats- und Regierungsform, ist dermalen in Frankreich die großartige und kühne Action des Ultramontanismus. In unbegreiflicher Verblendung haben die liberalen Parteien dieselbe heranwachsen lassen, bis sie ihnen eines schönen Morgens mit dem famosen Gesetz über die „Universitätsfreiheit" den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/512>, abgerufen am 29.06.2024.