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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Gymnasium dienen sie nur als Hemmschuh und drücken den Durchschnitt
der Leistungen herab. Aus diesen Kreisen stammen auch die Klagen wegen
Ueberbürdung. Soll der Lehrer ihnen allemal nachgeben, so kann er es
nur auf Kosten der mehr begabten, der eigentlichen Gymnasialschüler,
d. h. das Gymnasium giebt seine hervorragende Stellung auf. Trotzdem ist
das Bestreben, welches heutzutage auch die minder gebildeten Stände beherrscht,
ihren Kindern eine höhere, wenn möglich, eine Gymnasialbildung zu geben,
entschieden ein lobenswerthes; auch soll nicht geleugnet werden, daß durch die
Nöthigung. die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienste auf einem
Gymnasium oder einer Realschule 1. Ordn, zu erwerben, eine Menge idealer
Bildungselemente unter Volksklassen verbreitet werden, die sich sonst wenig
um dergleichen bekümmern würden. Aber es geschieht auf Kosten der wahr¬
haften höheren Bildung, des geistigen Fortschritts der Nation, denn es wer¬
den diejenigen dadurch geschädigt, welche dazu berufen sind, dereinst denselben för¬
dern zu helfen. Das Gymnasium darf in diesem Streite nicht nachgeben, es
darf sich und seinen Lehrplan nicht verkürzen lassen, aber es muß entlastet
werden von den unbrauchbaren Elementen, die es schon seit Jahren in seiner
Entwickelung hemmen. Die Schule ist überbürdet, nicht die Schüler. Eine Ent¬
lastung kann aber nur geschehen durch Reorganistrung der Mittelschulen resp,
durch Einrichtung höherer Bürgerschulen, denen Berechtigung zur Ausstellung
von Zeugnissen zum einjährig-freiwilligen Dienste ertheilt werden muß. Diese
müssen eine allgemeine Bildung, auch in den fremden, namentlich neueren
Sprachen gewähren, wie sie für einen jungen Menschen erforderlich ist, der
sich der subalternen Beamtencarriere oder einer kaufmännisch-industriellen
Branche widmen will. Es ist dies ein Lieblingsgedanke des bisherigen Ber¬
liner Stadtschulraths Dr. Hofmann, eines unserer einsichtsvollsten und sach¬
verständigsten Schulmänner. Mit Durchführung dieses Gedankens würde
nicht nur einem allgemein gefühlten Bedürfnisse genügt, sondern es würden
auch die höheren Schulen entlastet werden von jenen retardirenden Elementen,
die ihnen die Erreichung ihres Zweckes, eine wissenschaftliche Vorbildung zu
geben, so sehr erschweren. Auch die Klagen wegen Ueberbürdung der Schüler,
Ueberfüllung der Klassen, mangelhafter Durcharbeitung des Lehrstoffes und,
was sonst damit zusammenhängt, würden verschwinden, denn jener ganze
Bodensatz geringerer Geister, der jetzt vor der Thür der Obersecunda oder
schon etwas früher niederfällt, würde von vornherein nach den Mittelschulen
abfließen, wo derlei Köpfe in ihrer Art immer noch etwas Tüchtiges leisten
kö sehen. nnen.




Gymnasium dienen sie nur als Hemmschuh und drücken den Durchschnitt
der Leistungen herab. Aus diesen Kreisen stammen auch die Klagen wegen
Ueberbürdung. Soll der Lehrer ihnen allemal nachgeben, so kann er es
nur auf Kosten der mehr begabten, der eigentlichen Gymnasialschüler,
d. h. das Gymnasium giebt seine hervorragende Stellung auf. Trotzdem ist
das Bestreben, welches heutzutage auch die minder gebildeten Stände beherrscht,
ihren Kindern eine höhere, wenn möglich, eine Gymnasialbildung zu geben,
entschieden ein lobenswerthes; auch soll nicht geleugnet werden, daß durch die
Nöthigung. die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienste auf einem
Gymnasium oder einer Realschule 1. Ordn, zu erwerben, eine Menge idealer
Bildungselemente unter Volksklassen verbreitet werden, die sich sonst wenig
um dergleichen bekümmern würden. Aber es geschieht auf Kosten der wahr¬
haften höheren Bildung, des geistigen Fortschritts der Nation, denn es wer¬
den diejenigen dadurch geschädigt, welche dazu berufen sind, dereinst denselben för¬
dern zu helfen. Das Gymnasium darf in diesem Streite nicht nachgeben, es
darf sich und seinen Lehrplan nicht verkürzen lassen, aber es muß entlastet
werden von den unbrauchbaren Elementen, die es schon seit Jahren in seiner
Entwickelung hemmen. Die Schule ist überbürdet, nicht die Schüler. Eine Ent¬
lastung kann aber nur geschehen durch Reorganistrung der Mittelschulen resp,
durch Einrichtung höherer Bürgerschulen, denen Berechtigung zur Ausstellung
von Zeugnissen zum einjährig-freiwilligen Dienste ertheilt werden muß. Diese
müssen eine allgemeine Bildung, auch in den fremden, namentlich neueren
Sprachen gewähren, wie sie für einen jungen Menschen erforderlich ist, der
sich der subalternen Beamtencarriere oder einer kaufmännisch-industriellen
Branche widmen will. Es ist dies ein Lieblingsgedanke des bisherigen Ber¬
liner Stadtschulraths Dr. Hofmann, eines unserer einsichtsvollsten und sach¬
verständigsten Schulmänner. Mit Durchführung dieses Gedankens würde
nicht nur einem allgemein gefühlten Bedürfnisse genügt, sondern es würden
auch die höheren Schulen entlastet werden von jenen retardirenden Elementen,
die ihnen die Erreichung ihres Zweckes, eine wissenschaftliche Vorbildung zu
geben, so sehr erschweren. Auch die Klagen wegen Ueberbürdung der Schüler,
Ueberfüllung der Klassen, mangelhafter Durcharbeitung des Lehrstoffes und,
was sonst damit zusammenhängt, würden verschwinden, denn jener ganze
Bodensatz geringerer Geister, der jetzt vor der Thür der Obersecunda oder
schon etwas früher niederfällt, würde von vornherein nach den Mittelschulen
abfließen, wo derlei Köpfe in ihrer Art immer noch etwas Tüchtiges leisten
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[0507] Gymnasium dienen sie nur als Hemmschuh und drücken den Durchschnitt der Leistungen herab. Aus diesen Kreisen stammen auch die Klagen wegen Ueberbürdung. Soll der Lehrer ihnen allemal nachgeben, so kann er es nur auf Kosten der mehr begabten, der eigentlichen Gymnasialschüler, d. h. das Gymnasium giebt seine hervorragende Stellung auf. Trotzdem ist das Bestreben, welches heutzutage auch die minder gebildeten Stände beherrscht, ihren Kindern eine höhere, wenn möglich, eine Gymnasialbildung zu geben, entschieden ein lobenswerthes; auch soll nicht geleugnet werden, daß durch die Nöthigung. die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Dienste auf einem Gymnasium oder einer Realschule 1. Ordn, zu erwerben, eine Menge idealer Bildungselemente unter Volksklassen verbreitet werden, die sich sonst wenig um dergleichen bekümmern würden. Aber es geschieht auf Kosten der wahr¬ haften höheren Bildung, des geistigen Fortschritts der Nation, denn es wer¬ den diejenigen dadurch geschädigt, welche dazu berufen sind, dereinst denselben för¬ dern zu helfen. Das Gymnasium darf in diesem Streite nicht nachgeben, es darf sich und seinen Lehrplan nicht verkürzen lassen, aber es muß entlastet werden von den unbrauchbaren Elementen, die es schon seit Jahren in seiner Entwickelung hemmen. Die Schule ist überbürdet, nicht die Schüler. Eine Ent¬ lastung kann aber nur geschehen durch Reorganistrung der Mittelschulen resp, durch Einrichtung höherer Bürgerschulen, denen Berechtigung zur Ausstellung von Zeugnissen zum einjährig-freiwilligen Dienste ertheilt werden muß. Diese müssen eine allgemeine Bildung, auch in den fremden, namentlich neueren Sprachen gewähren, wie sie für einen jungen Menschen erforderlich ist, der sich der subalternen Beamtencarriere oder einer kaufmännisch-industriellen Branche widmen will. Es ist dies ein Lieblingsgedanke des bisherigen Ber¬ liner Stadtschulraths Dr. Hofmann, eines unserer einsichtsvollsten und sach¬ verständigsten Schulmänner. Mit Durchführung dieses Gedankens würde nicht nur einem allgemein gefühlten Bedürfnisse genügt, sondern es würden auch die höheren Schulen entlastet werden von jenen retardirenden Elementen, die ihnen die Erreichung ihres Zweckes, eine wissenschaftliche Vorbildung zu geben, so sehr erschweren. Auch die Klagen wegen Ueberbürdung der Schüler, Ueberfüllung der Klassen, mangelhafter Durcharbeitung des Lehrstoffes und, was sonst damit zusammenhängt, würden verschwinden, denn jener ganze Bodensatz geringerer Geister, der jetzt vor der Thür der Obersecunda oder schon etwas früher niederfällt, würde von vornherein nach den Mittelschulen abfließen, wo derlei Köpfe in ihrer Art immer noch etwas Tüchtiges leisten kö sehen. nnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/507>, abgerufen am 25.08.2024.