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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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namentlich haben sich aus den Kreisen der Fachmänner mehrfach abwehrende
Stimmen geltend gemacht, da es fast scheint, als sollte die Schuld an jenem
Uebelstande dem Ungeschick der Lehrer zugeschoben werden. Daß eine solche
Ueberbürdung vorhanden, wird von feiner Seite bestritten, der Grund davon
aber theils in den zu hohen Anforderungen des bestehenden Lehrplans, theils
in den veränderten Bedingungen des modernen Lebens gesucht. Die That¬
sache als solche wollen auch wir nicht in Abrede stellen, behaupten aber, daß
jede Ueberbürdung ihrem Wesen nach immer mehr oder weniger relativ
ist. Was der eine von unseren Zöglingen spielend leistet, das vermag mit¬
unter der andere beim besten Willen nicht zu Stande zu bringen; noch an¬
deren wieder kostet dieselbe Leistung einen unverhältnißmäßigen Aufwand an
Zeit und Mühe. Woher kommt es nun, daß das Contingent der letzteren
jetzt so angewachsen ist, daß man von einer allgemeinen Ueberbürdung
sprechen kann? An der Methode kann es nicht liegen, denn diese hat in den
letzten Jahren entschiedene Fortschritte gemacht, auch auf den Gymnasien.
Ich erinnere mich nicht, daß sich irgend einer von unseren Lehrern diese
Mühe gegeben hätte, um uns einen Unterrichtsgegenstand leicht und ange¬
nehm zu machen, wie wir es jetzt mit unseren Schülern thun. Wir mußten
ungleich mehr im Schweiße unsers Angesichts arbeiten. Was wußte man
damals, namentlich auf den Gymnasien, vom sogenannten Anschauungs¬
unterricht, von gruppirender Methode, von zweckmäßig eingerichteten Uebungs¬
büchern und Grammatiker, die den Lernstoff in knappster und faßlichster
Form bieten, kurz von allen jenen Künsten, mit denen man heute der Auf¬
fassung und dem Gedächtniß der Schüler zu Hülfe zu kommen sucht? --
Es ist wahr, die Anforderungen des Lehrplans sind hoch, aber durchschnittlich
nicht höher als früher. Der alte Lehrplan war einfacher, einheitlicher, in
sich geschlossener, da die alten Sprachen in entschiedenster Weise den Mittel-
Punkt bildeten. Heute ist dieser Unterrichtszweig in mehrfacher Hinsicht ent¬
lastet und die dadurch gewonnene Zeit den Realfächern zugewandt, so daß
von einem wirklichen Plus in den Anforderungen nicht die Rede sein kann.
Höchstens kann man sagen, daß die größere Mannigfaltigkeit der Lehrgegen¬
stände leicht geeignet sei, ven jugendlichen Geist zu verwirren; aber diese Ge¬
fahr läuft die Realschule noch mehr als das Gymnasium, welches noch immer
das von rnultg., sha nullum befolgt. Sollte auch darin allein der Grund
der Ueberbürdung liegen? Jedenfalls dürfen die Anforderungen nicht herabgesetzt
werden. Das Gymnasium ist unsere höchste Schule. -- das Wort Schule im
engeren Sinne verstanden, in welchem es die Universitätsstudien nicht mit umfaßt.
Die in Wissenschaft und Kunst, im Staat und in der Gesellschaft gegenwärtig
das Höchste leisten, haben zumeist diese Schule durchlaufen und hier ihre Vor¬
bildung genossen. Eine höhere Vorbildung als das Gymnasium bietet, eine


namentlich haben sich aus den Kreisen der Fachmänner mehrfach abwehrende
Stimmen geltend gemacht, da es fast scheint, als sollte die Schuld an jenem
Uebelstande dem Ungeschick der Lehrer zugeschoben werden. Daß eine solche
Ueberbürdung vorhanden, wird von feiner Seite bestritten, der Grund davon
aber theils in den zu hohen Anforderungen des bestehenden Lehrplans, theils
in den veränderten Bedingungen des modernen Lebens gesucht. Die That¬
sache als solche wollen auch wir nicht in Abrede stellen, behaupten aber, daß
jede Ueberbürdung ihrem Wesen nach immer mehr oder weniger relativ
ist. Was der eine von unseren Zöglingen spielend leistet, das vermag mit¬
unter der andere beim besten Willen nicht zu Stande zu bringen; noch an¬
deren wieder kostet dieselbe Leistung einen unverhältnißmäßigen Aufwand an
Zeit und Mühe. Woher kommt es nun, daß das Contingent der letzteren
jetzt so angewachsen ist, daß man von einer allgemeinen Ueberbürdung
sprechen kann? An der Methode kann es nicht liegen, denn diese hat in den
letzten Jahren entschiedene Fortschritte gemacht, auch auf den Gymnasien.
Ich erinnere mich nicht, daß sich irgend einer von unseren Lehrern diese
Mühe gegeben hätte, um uns einen Unterrichtsgegenstand leicht und ange¬
nehm zu machen, wie wir es jetzt mit unseren Schülern thun. Wir mußten
ungleich mehr im Schweiße unsers Angesichts arbeiten. Was wußte man
damals, namentlich auf den Gymnasien, vom sogenannten Anschauungs¬
unterricht, von gruppirender Methode, von zweckmäßig eingerichteten Uebungs¬
büchern und Grammatiker, die den Lernstoff in knappster und faßlichster
Form bieten, kurz von allen jenen Künsten, mit denen man heute der Auf¬
fassung und dem Gedächtniß der Schüler zu Hülfe zu kommen sucht? —
Es ist wahr, die Anforderungen des Lehrplans sind hoch, aber durchschnittlich
nicht höher als früher. Der alte Lehrplan war einfacher, einheitlicher, in
sich geschlossener, da die alten Sprachen in entschiedenster Weise den Mittel-
Punkt bildeten. Heute ist dieser Unterrichtszweig in mehrfacher Hinsicht ent¬
lastet und die dadurch gewonnene Zeit den Realfächern zugewandt, so daß
von einem wirklichen Plus in den Anforderungen nicht die Rede sein kann.
Höchstens kann man sagen, daß die größere Mannigfaltigkeit der Lehrgegen¬
stände leicht geeignet sei, ven jugendlichen Geist zu verwirren; aber diese Ge¬
fahr läuft die Realschule noch mehr als das Gymnasium, welches noch immer
das von rnultg., sha nullum befolgt. Sollte auch darin allein der Grund
der Ueberbürdung liegen? Jedenfalls dürfen die Anforderungen nicht herabgesetzt
werden. Das Gymnasium ist unsere höchste Schule. — das Wort Schule im
engeren Sinne verstanden, in welchem es die Universitätsstudien nicht mit umfaßt.
Die in Wissenschaft und Kunst, im Staat und in der Gesellschaft gegenwärtig
das Höchste leisten, haben zumeist diese Schule durchlaufen und hier ihre Vor¬
bildung genossen. Eine höhere Vorbildung als das Gymnasium bietet, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/505>, abgerufen am 22.07.2024.