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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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ohne Kampf aufzurichten, bis zum Tode kämpfen will. Für den Fall, daß
ich mich meinem Eide ungetreu erweisen sollte, willige ich ein, daß meine guten
Vettern, die großen Auserwählten, mich erschlagen, mich nackt an das Kreuz
in einer Loge schlagen, nachdem sie mich mit Dornen gekrönt haben, mir den
Leib aufreißen, und mir Herz und Eingeweide herausnehmen, um sie in alle
Winde zu zerstreuen. Das sind unsre Bedingungen. SchwörtI" Die guten
Vettern erwidern: "Wir schwören!" Das klingt ziemlich furchtbar und sieht
daneben etwas theatralisch aus. Es wird aber seine Wirkung nicht verfehlt
haben, zumal in der spätern Zeit nicht, wo man wußte, daß gebrochne Eide
vom Bunde in der angegebnen Weise gerochen worden waren -- eine That¬
sache, die wir für erwiesen halten dürfen.

Der höchste Grad des Carbonarismus war der des "Großmeisters der
großen Auserwählten", zu dem nur solche gelangten, die Proben ungewöhn¬
licher Intelligenz und Entschlossenheit abgelegt hatten. Die Aufnahme in
denselben vollzog sich unter folgenden Ceremonien. Nachdem sich die guten
Vettern in der Loge versammelt haben, wird der Candidat mit verbundenen
Augen hereingeführt. Zwei Mitglieder, welche die Schächer vorstellen, schlep¬
pen Kreuze herzu, welche fest in den Boden gerammt werden. Einer der an¬
geblichen Schächer wird dann als Verräther der guten Sache bezeichnet und
verurthetlc, am Kreuze zu sterben. Er ergiebt sich in sein Schicksal als in
ein wohlverdientes und wird mit seidnen Stricken an das Kreuz befestigt,
worauf er, um den noch immer mit verbundenen Augen dastehenden Candi-
daten zu schrecken, lautes Gestöhn ausstößt. Der Großmeister verurtheilt so¬
dann den andern Schächer zu demselben Loose, der aber, als der unbußfertige,
mit Drohungen stirbt, indem er ausruft: "Ich werde mein Schicksal erdul¬
den, aber indem ich Euch verfluche und mich mit dem Gedanken tröste, daß
ich gerächt werde, und daß Fremdlinge Euch ausrotten werden bis zum letzten
Carbonaro. Wisset, daß ich Euern Schlupfwinkel den Führern der feindlichen
Armee verrathen habe, und daß Ihr binnen Kurzem in ihre Hände fallen
werdet. Thut mit mir, was Euch beliebt." Der Großmeister wendet sich
hierauf zu dem Candidaten, um ihn zu benachrichtigen, daß er gleichfalls
an das Kreuz befestigt werden müsse, um hier an seinem Körper die Zeichen
zu empfangen, an denen die Mitglieder dieses höchsten Grades sich erkennen,
den Eid zu leisten und dann herabzusteigen, das Licht zu empfangen und mit
den Jnsignien des Großmeisters der großen Auserwählten bekleidet zu werden.
Der Candidat wird darauf an das Kreuz gebunden und mit einer Nadel ge¬
ritzt, dreimal auf den rechten, siebenmal auf den linken Arm und wieder
dreimal unter die linke Brustwarze. Die Vetter umstehen dabei das in der
Mitte der Höhle aufgerichrete Kreuz, richten, während dem Candidaten die
Binde von den Augen genommen wird, ihre Degen und Dolche auf seine


Grenzboten IV. 1875. 59

ohne Kampf aufzurichten, bis zum Tode kämpfen will. Für den Fall, daß
ich mich meinem Eide ungetreu erweisen sollte, willige ich ein, daß meine guten
Vettern, die großen Auserwählten, mich erschlagen, mich nackt an das Kreuz
in einer Loge schlagen, nachdem sie mich mit Dornen gekrönt haben, mir den
Leib aufreißen, und mir Herz und Eingeweide herausnehmen, um sie in alle
Winde zu zerstreuen. Das sind unsre Bedingungen. SchwörtI" Die guten
Vettern erwidern: „Wir schwören!" Das klingt ziemlich furchtbar und sieht
daneben etwas theatralisch aus. Es wird aber seine Wirkung nicht verfehlt
haben, zumal in der spätern Zeit nicht, wo man wußte, daß gebrochne Eide
vom Bunde in der angegebnen Weise gerochen worden waren — eine That¬
sache, die wir für erwiesen halten dürfen.

Der höchste Grad des Carbonarismus war der des „Großmeisters der
großen Auserwählten", zu dem nur solche gelangten, die Proben ungewöhn¬
licher Intelligenz und Entschlossenheit abgelegt hatten. Die Aufnahme in
denselben vollzog sich unter folgenden Ceremonien. Nachdem sich die guten
Vettern in der Loge versammelt haben, wird der Candidat mit verbundenen
Augen hereingeführt. Zwei Mitglieder, welche die Schächer vorstellen, schlep¬
pen Kreuze herzu, welche fest in den Boden gerammt werden. Einer der an¬
geblichen Schächer wird dann als Verräther der guten Sache bezeichnet und
verurthetlc, am Kreuze zu sterben. Er ergiebt sich in sein Schicksal als in
ein wohlverdientes und wird mit seidnen Stricken an das Kreuz befestigt,
worauf er, um den noch immer mit verbundenen Augen dastehenden Candi-
daten zu schrecken, lautes Gestöhn ausstößt. Der Großmeister verurtheilt so¬
dann den andern Schächer zu demselben Loose, der aber, als der unbußfertige,
mit Drohungen stirbt, indem er ausruft: „Ich werde mein Schicksal erdul¬
den, aber indem ich Euch verfluche und mich mit dem Gedanken tröste, daß
ich gerächt werde, und daß Fremdlinge Euch ausrotten werden bis zum letzten
Carbonaro. Wisset, daß ich Euern Schlupfwinkel den Führern der feindlichen
Armee verrathen habe, und daß Ihr binnen Kurzem in ihre Hände fallen
werdet. Thut mit mir, was Euch beliebt." Der Großmeister wendet sich
hierauf zu dem Candidaten, um ihn zu benachrichtigen, daß er gleichfalls
an das Kreuz befestigt werden müsse, um hier an seinem Körper die Zeichen
zu empfangen, an denen die Mitglieder dieses höchsten Grades sich erkennen,
den Eid zu leisten und dann herabzusteigen, das Licht zu empfangen und mit
den Jnsignien des Großmeisters der großen Auserwählten bekleidet zu werden.
Der Candidat wird darauf an das Kreuz gebunden und mit einer Nadel ge¬
ritzt, dreimal auf den rechten, siebenmal auf den linken Arm und wieder
dreimal unter die linke Brustwarze. Die Vetter umstehen dabei das in der
Mitte der Höhle aufgerichrete Kreuz, richten, während dem Candidaten die
Binde von den Augen genommen wird, ihre Degen und Dolche auf seine


Grenzboten IV. 1875. 59
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[0469] ohne Kampf aufzurichten, bis zum Tode kämpfen will. Für den Fall, daß ich mich meinem Eide ungetreu erweisen sollte, willige ich ein, daß meine guten Vettern, die großen Auserwählten, mich erschlagen, mich nackt an das Kreuz in einer Loge schlagen, nachdem sie mich mit Dornen gekrönt haben, mir den Leib aufreißen, und mir Herz und Eingeweide herausnehmen, um sie in alle Winde zu zerstreuen. Das sind unsre Bedingungen. SchwörtI" Die guten Vettern erwidern: „Wir schwören!" Das klingt ziemlich furchtbar und sieht daneben etwas theatralisch aus. Es wird aber seine Wirkung nicht verfehlt haben, zumal in der spätern Zeit nicht, wo man wußte, daß gebrochne Eide vom Bunde in der angegebnen Weise gerochen worden waren — eine That¬ sache, die wir für erwiesen halten dürfen. Der höchste Grad des Carbonarismus war der des „Großmeisters der großen Auserwählten", zu dem nur solche gelangten, die Proben ungewöhn¬ licher Intelligenz und Entschlossenheit abgelegt hatten. Die Aufnahme in denselben vollzog sich unter folgenden Ceremonien. Nachdem sich die guten Vettern in der Loge versammelt haben, wird der Candidat mit verbundenen Augen hereingeführt. Zwei Mitglieder, welche die Schächer vorstellen, schlep¬ pen Kreuze herzu, welche fest in den Boden gerammt werden. Einer der an¬ geblichen Schächer wird dann als Verräther der guten Sache bezeichnet und verurthetlc, am Kreuze zu sterben. Er ergiebt sich in sein Schicksal als in ein wohlverdientes und wird mit seidnen Stricken an das Kreuz befestigt, worauf er, um den noch immer mit verbundenen Augen dastehenden Candi- daten zu schrecken, lautes Gestöhn ausstößt. Der Großmeister verurtheilt so¬ dann den andern Schächer zu demselben Loose, der aber, als der unbußfertige, mit Drohungen stirbt, indem er ausruft: „Ich werde mein Schicksal erdul¬ den, aber indem ich Euch verfluche und mich mit dem Gedanken tröste, daß ich gerächt werde, und daß Fremdlinge Euch ausrotten werden bis zum letzten Carbonaro. Wisset, daß ich Euern Schlupfwinkel den Führern der feindlichen Armee verrathen habe, und daß Ihr binnen Kurzem in ihre Hände fallen werdet. Thut mit mir, was Euch beliebt." Der Großmeister wendet sich hierauf zu dem Candidaten, um ihn zu benachrichtigen, daß er gleichfalls an das Kreuz befestigt werden müsse, um hier an seinem Körper die Zeichen zu empfangen, an denen die Mitglieder dieses höchsten Grades sich erkennen, den Eid zu leisten und dann herabzusteigen, das Licht zu empfangen und mit den Jnsignien des Großmeisters der großen Auserwählten bekleidet zu werden. Der Candidat wird darauf an das Kreuz gebunden und mit einer Nadel ge¬ ritzt, dreimal auf den rechten, siebenmal auf den linken Arm und wieder dreimal unter die linke Brustwarze. Die Vetter umstehen dabei das in der Mitte der Höhle aufgerichrete Kreuz, richten, während dem Candidaten die Binde von den Augen genommen wird, ihre Degen und Dolche auf seine Grenzboten IV. 1875. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/469>, abgerufen am 22.07.2024.