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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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gemahnt der Zwirnknäuel?" -- "An die Mutter Gottes, die ihn spann." --
"Was bedeutet die Krone von Weißdorn?" -- "Die Schmerzen und Kämpfe
der guten Vettern." -- "Was ist der Meiler?" -- "Die Schule der guten
Vettern." -- "Was sagt uns der Baum mit den Wurzeln, die nach oben in
die Luft gekehrt sind?" -- "Daß, wenn alle Bäume wie dieser wären, es der
Arbeit der guten Vettern nicht bedürfte."

Der Katechismus ist viel länger, aber es mag an diesen Proben genügen.
Sie zeigen hinreichend, wie viel man den Novizen zu Anfang wissen ließ oder
wie wenig. Die eigentliche Bedeutung der Symbole war eine andere, die
der Carbonaro erst in höheren Graden erfahren konnte und oft niemals er¬
fuhr. Doch verräth sich uns der wahre Inhalt derselben bei einigen der
"Basen" ohne viel Nachdenken. Das Feuer ist die heilige Flamme der Frei¬
heit, der Meiler das Bild der gemeinschaftlichen Arbeit am Werke der Car-
bonari, die Kohle enthält verborgenes Licht und latente Wärme, der Wald
stellt Italien vor, die Wildniß Dante's, erfüllt von Raubthieren, den frem¬
den Unterdrückern. Der Baum endlich, der auf dem Wipfel steht und die
Wurzeln in die Luft streckt, ist ein Gleichniß der Königreiche und Throne, die
man umstürzen will. Anspielungen auf Gegenstände und Persönlichkeiten der
christlichen Religion, auf Jesus z. B.. den "guten Vetter aller Menschen",
waren in den Katechismus nur aufgenommen, um der Sache eine gewisse
mystische Weihe zu geben; denn die Mehrzahl der Wissenden waren Frei¬
denker.

Im zweiten Grade nehmen diese Anspielungen einen breiteren Raum ein,
ja das Märtyrerthum Christi spielt hier die Hauptrolle, wodurch der Kate¬
chismus hier einen düsteren Charakter erhält, darauf berechnet, den Candidaten
Zu überraschen und zu erschrecken. Die im Vorigen angeführten Sinnbilder er¬
halten einen ganz andern Inhalt, sodaß Feinde des Bundes, die, nachdem sie durch
Verstellung bis zu diesem Grade gelangt sind, irre werden und dieSpur der Grund¬
idee des Carbonarismus verlieren. In der steten Bezugnahme auf das Leiden und
Sterben des "guten Vetters Jesu", die hier stattfindet, entdecken wir vorzüg¬
lich zwei Zwecke: einen wesentlich erziehenden, die Befreundung des Novizen
mit der Idee des Opfers, selbst des Lebens, und einen politischen, die Absicht.
Proselyten unter den Gläubigen. den zur Mystik Geneigter. den, wenn auch
Vorurtheilsvollen, doch im Grunde Guten, weil Jdealdenkenden und der Liebe
Fähigen, zu werben, deren es damals in Italien mehr gab als heutzutage.
Die Symbole auf dem Holzblöcke bedeuten hier alle etwas auf die Passion
Bezügliches. Der Meiler ist das heilige Grab, das Rascheln des dürren
Zweiges erinnert an die Geißelung des "guten Vetters, welcher der Gro߬
meister des Universums war". Der Candidat. gebunden von einem Beamten
der Vendtta zum andern geführt, repräsentirt Christum, während der Stuhl-


gemahnt der Zwirnknäuel?" — „An die Mutter Gottes, die ihn spann." —
„Was bedeutet die Krone von Weißdorn?" — „Die Schmerzen und Kämpfe
der guten Vettern." — „Was ist der Meiler?" — „Die Schule der guten
Vettern." — „Was sagt uns der Baum mit den Wurzeln, die nach oben in
die Luft gekehrt sind?" — „Daß, wenn alle Bäume wie dieser wären, es der
Arbeit der guten Vettern nicht bedürfte."

Der Katechismus ist viel länger, aber es mag an diesen Proben genügen.
Sie zeigen hinreichend, wie viel man den Novizen zu Anfang wissen ließ oder
wie wenig. Die eigentliche Bedeutung der Symbole war eine andere, die
der Carbonaro erst in höheren Graden erfahren konnte und oft niemals er¬
fuhr. Doch verräth sich uns der wahre Inhalt derselben bei einigen der
„Basen" ohne viel Nachdenken. Das Feuer ist die heilige Flamme der Frei¬
heit, der Meiler das Bild der gemeinschaftlichen Arbeit am Werke der Car-
bonari, die Kohle enthält verborgenes Licht und latente Wärme, der Wald
stellt Italien vor, die Wildniß Dante's, erfüllt von Raubthieren, den frem¬
den Unterdrückern. Der Baum endlich, der auf dem Wipfel steht und die
Wurzeln in die Luft streckt, ist ein Gleichniß der Königreiche und Throne, die
man umstürzen will. Anspielungen auf Gegenstände und Persönlichkeiten der
christlichen Religion, auf Jesus z. B.. den „guten Vetter aller Menschen",
waren in den Katechismus nur aufgenommen, um der Sache eine gewisse
mystische Weihe zu geben; denn die Mehrzahl der Wissenden waren Frei¬
denker.

Im zweiten Grade nehmen diese Anspielungen einen breiteren Raum ein,
ja das Märtyrerthum Christi spielt hier die Hauptrolle, wodurch der Kate¬
chismus hier einen düsteren Charakter erhält, darauf berechnet, den Candidaten
Zu überraschen und zu erschrecken. Die im Vorigen angeführten Sinnbilder er¬
halten einen ganz andern Inhalt, sodaß Feinde des Bundes, die, nachdem sie durch
Verstellung bis zu diesem Grade gelangt sind, irre werden und dieSpur der Grund¬
idee des Carbonarismus verlieren. In der steten Bezugnahme auf das Leiden und
Sterben des „guten Vetters Jesu", die hier stattfindet, entdecken wir vorzüg¬
lich zwei Zwecke: einen wesentlich erziehenden, die Befreundung des Novizen
mit der Idee des Opfers, selbst des Lebens, und einen politischen, die Absicht.
Proselyten unter den Gläubigen. den zur Mystik Geneigter. den, wenn auch
Vorurtheilsvollen, doch im Grunde Guten, weil Jdealdenkenden und der Liebe
Fähigen, zu werben, deren es damals in Italien mehr gab als heutzutage.
Die Symbole auf dem Holzblöcke bedeuten hier alle etwas auf die Passion
Bezügliches. Der Meiler ist das heilige Grab, das Rascheln des dürren
Zweiges erinnert an die Geißelung des „guten Vetters, welcher der Gro߬
meister des Universums war". Der Candidat. gebunden von einem Beamten
der Vendtta zum andern geführt, repräsentirt Christum, während der Stuhl-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/467>, abgerufen am 22.07.2024.