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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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geschweige ein allgemeines Recht des Verbotes der Priesterehe erwuchs. Nur
die Bischöfe von Rom steigerten mehr und mehr diese sündhafte Forderung,
aber es bildet sich nun auch schon der Gegensatz gegen den römischen Katholi¬
cismus in der griechischen Kirche, erscheint und behauptet sich lange im Abend¬
lande (alt-brittische Kirche), und der Cölibat konnte nicht durchgesetzt werden,
da bis auf Karl den Großen die alten freien Metropoliten des Abendlandes
dem römischen Bischöfe theils gar keine Vorrechte, theils nur sehr beschränkte
(seeunäum canones) zugestanden. Und selbst nachdem durch Karl den Großen
(gegen seinen Willen) und unter Nicolaus I. 8L8 -- 867 die Macht des
römischen Stuhls einen weiteren Umfang und größere Stärke erlangt
hatte, kommen überall im Abendlande verheirathete Geistliche (besonders
geachtet, wie ihre Frauen, die ehrbaren pi'<Z8d?terissg,ö), ja selbst verheirathete
Bischöfe vor.

Erst Gregor VII. gab in hierarchischen Interesse das entscheidende Ver¬
bot der Priesterehe: non libsrari pvrest eedesia g, servitute laieorum, "ihl
liderentur eleriei ad uxorikus *).

Aber seitdem wird das Leben der Geistlichen ein Meer von Verbrechen.
In England ließen sich die Bischöfe von den Geistlichen eine Taxe bezahlen,
für welche sie sich Concubinen halten durften, die Bischöfe selbst aber hielten
an ihren Höfen förmliche Harems. Wer zählt aber die Verbrechen, die nun
in den Männer- und Frauenklöstern Statt fanden, und noch mehr in den
Pfarrhäusern, und von den Geistlichen an Frauen und Mädchen in der Ge¬
meinde verübt wurden? Das ist, außer der Grausamkeit in der Verfolgung
und dem Morde der angeblichen Ketzer (Scheiterhaufen :e.), die größte Sünde,
der Fluch des Papstthums, den die Geschichte der gemarterten und gemordeten
Menschheit über dasselbe ausspricht; die Folge aber war ein Meer von Ver¬
brechen, nicht nur der Untergang der vermeinten angeblichen höheren Tugend,
sondern aller Tugend, die scheußlichste Unzucht, von welcher gerade die soge¬
nannten heiligen Väter, die Päpste selbst die grauenhaftesten Bilder liefern
(Sergius III. 904 --Hurenregiment in Rom, Joh. XII., Alexand. VI. ?c.-c.)

Die Protestanten warfen die Verirrung ab**), die römischen Theologen ver¬
suchten dagegen, freilich vergeblich, den Coelibat in der vovkuwtio (angebliche
Widerlegung der Augsburg. Confession) zu rechtfertigen, und das Tridentinum
schmuggelte das Verbot der Priesterehe in die of-mores ac nah über die Ehe
überhaupt ein, ebenso der Sache nach christlich überhaupt als katholisch im




') Gregor VII. exist. III, 7.
"
) Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts, 13. Ausg. 1861. dz. 213. stellt die protestantische
Ansicht in ein ganz falsches Licht, indem er eine einzelne Aeußerung einer reformirten Be-
kenntnißschrift für die allgemeine protestantische Ansicht ausgiebt, wie sein ganzer Standpunkt ein
schlechthin in den Banden der römischen Ansicht befangener ist.

geschweige ein allgemeines Recht des Verbotes der Priesterehe erwuchs. Nur
die Bischöfe von Rom steigerten mehr und mehr diese sündhafte Forderung,
aber es bildet sich nun auch schon der Gegensatz gegen den römischen Katholi¬
cismus in der griechischen Kirche, erscheint und behauptet sich lange im Abend¬
lande (alt-brittische Kirche), und der Cölibat konnte nicht durchgesetzt werden,
da bis auf Karl den Großen die alten freien Metropoliten des Abendlandes
dem römischen Bischöfe theils gar keine Vorrechte, theils nur sehr beschränkte
(seeunäum canones) zugestanden. Und selbst nachdem durch Karl den Großen
(gegen seinen Willen) und unter Nicolaus I. 8L8 — 867 die Macht des
römischen Stuhls einen weiteren Umfang und größere Stärke erlangt
hatte, kommen überall im Abendlande verheirathete Geistliche (besonders
geachtet, wie ihre Frauen, die ehrbaren pi'<Z8d?terissg,ö), ja selbst verheirathete
Bischöfe vor.

Erst Gregor VII. gab in hierarchischen Interesse das entscheidende Ver¬
bot der Priesterehe: non libsrari pvrest eedesia g, servitute laieorum, »ihl
liderentur eleriei ad uxorikus *).

Aber seitdem wird das Leben der Geistlichen ein Meer von Verbrechen.
In England ließen sich die Bischöfe von den Geistlichen eine Taxe bezahlen,
für welche sie sich Concubinen halten durften, die Bischöfe selbst aber hielten
an ihren Höfen förmliche Harems. Wer zählt aber die Verbrechen, die nun
in den Männer- und Frauenklöstern Statt fanden, und noch mehr in den
Pfarrhäusern, und von den Geistlichen an Frauen und Mädchen in der Ge¬
meinde verübt wurden? Das ist, außer der Grausamkeit in der Verfolgung
und dem Morde der angeblichen Ketzer (Scheiterhaufen :e.), die größte Sünde,
der Fluch des Papstthums, den die Geschichte der gemarterten und gemordeten
Menschheit über dasselbe ausspricht; die Folge aber war ein Meer von Ver¬
brechen, nicht nur der Untergang der vermeinten angeblichen höheren Tugend,
sondern aller Tugend, die scheußlichste Unzucht, von welcher gerade die soge¬
nannten heiligen Väter, die Päpste selbst die grauenhaftesten Bilder liefern
(Sergius III. 904 —Hurenregiment in Rom, Joh. XII., Alexand. VI. ?c.-c.)

Die Protestanten warfen die Verirrung ab**), die römischen Theologen ver¬
suchten dagegen, freilich vergeblich, den Coelibat in der vovkuwtio (angebliche
Widerlegung der Augsburg. Confession) zu rechtfertigen, und das Tridentinum
schmuggelte das Verbot der Priesterehe in die of-mores ac nah über die Ehe
überhaupt ein, ebenso der Sache nach christlich überhaupt als katholisch im




') Gregor VII. exist. III, 7.
"
) Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts, 13. Ausg. 1861. dz. 213. stellt die protestantische
Ansicht in ein ganz falsches Licht, indem er eine einzelne Aeußerung einer reformirten Be-
kenntnißschrift für die allgemeine protestantische Ansicht ausgiebt, wie sein ganzer Standpunkt ein
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[0410] geschweige ein allgemeines Recht des Verbotes der Priesterehe erwuchs. Nur die Bischöfe von Rom steigerten mehr und mehr diese sündhafte Forderung, aber es bildet sich nun auch schon der Gegensatz gegen den römischen Katholi¬ cismus in der griechischen Kirche, erscheint und behauptet sich lange im Abend¬ lande (alt-brittische Kirche), und der Cölibat konnte nicht durchgesetzt werden, da bis auf Karl den Großen die alten freien Metropoliten des Abendlandes dem römischen Bischöfe theils gar keine Vorrechte, theils nur sehr beschränkte (seeunäum canones) zugestanden. Und selbst nachdem durch Karl den Großen (gegen seinen Willen) und unter Nicolaus I. 8L8 — 867 die Macht des römischen Stuhls einen weiteren Umfang und größere Stärke erlangt hatte, kommen überall im Abendlande verheirathete Geistliche (besonders geachtet, wie ihre Frauen, die ehrbaren pi'<Z8d?terissg,ö), ja selbst verheirathete Bischöfe vor. Erst Gregor VII. gab in hierarchischen Interesse das entscheidende Ver¬ bot der Priesterehe: non libsrari pvrest eedesia g, servitute laieorum, »ihl liderentur eleriei ad uxorikus *). Aber seitdem wird das Leben der Geistlichen ein Meer von Verbrechen. In England ließen sich die Bischöfe von den Geistlichen eine Taxe bezahlen, für welche sie sich Concubinen halten durften, die Bischöfe selbst aber hielten an ihren Höfen förmliche Harems. Wer zählt aber die Verbrechen, die nun in den Männer- und Frauenklöstern Statt fanden, und noch mehr in den Pfarrhäusern, und von den Geistlichen an Frauen und Mädchen in der Ge¬ meinde verübt wurden? Das ist, außer der Grausamkeit in der Verfolgung und dem Morde der angeblichen Ketzer (Scheiterhaufen :e.), die größte Sünde, der Fluch des Papstthums, den die Geschichte der gemarterten und gemordeten Menschheit über dasselbe ausspricht; die Folge aber war ein Meer von Ver¬ brechen, nicht nur der Untergang der vermeinten angeblichen höheren Tugend, sondern aller Tugend, die scheußlichste Unzucht, von welcher gerade die soge¬ nannten heiligen Väter, die Päpste selbst die grauenhaftesten Bilder liefern (Sergius III. 904 —Hurenregiment in Rom, Joh. XII., Alexand. VI. ?c.-c.) Die Protestanten warfen die Verirrung ab**), die römischen Theologen ver¬ suchten dagegen, freilich vergeblich, den Coelibat in der vovkuwtio (angebliche Widerlegung der Augsburg. Confession) zu rechtfertigen, und das Tridentinum schmuggelte das Verbot der Priesterehe in die of-mores ac nah über die Ehe überhaupt ein, ebenso der Sache nach christlich überhaupt als katholisch im ') Gregor VII. exist. III, 7. " ) Walter, Lehrbuch des Kirchenrechts, 13. Ausg. 1861. dz. 213. stellt die protestantische Ansicht in ein ganz falsches Licht, indem er eine einzelne Aeußerung einer reformirten Be- kenntnißschrift für die allgemeine protestantische Ansicht ausgiebt, wie sein ganzer Standpunkt ein schlechthin in den Banden der römischen Ansicht befangener ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/410>, abgerufen am 22.07.2024.