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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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amten. als dem Eingebornen das gegenseitige wohlwollende Verständniß und
ein billigdenkendes "Einander-Fügen", wie nöthig dem lange genug aufge¬
regten Lande überhaupt die Ruhe auf allen Gebieten ist. Wer aber bloß
ab und zu einmal "die Nase hineinsteckt" - sit venia vordo! - und von
einzelnen persönlich unangenehmen Erfahrungen, die übrigens jeder Fremde
im fremden Lande machen kann, nun einen Schluß auf das Ganze ziehen,
gute Rathschläge ertheilen und Maßregeln empfehlen will, die seiner subiec-
twen Empfindung als die angemessensten erscheinen möchten, - dessen UrtyeU
kann gewiß kein competentes genannt werden.

Dazu gehört denn n. A. auch die Empfehlung. das strammere und
straffere norddeutsche Element im Elsaß zu verstärken. Warum acht gar?
Etwa, weil das süddeutsche Element sich besser mit den Anschauungen des
Landes zu vertragen und dessen Sitten sich anzuschmiegen vermag? Was
man damit für Früchte erzielt, davon wissen wir. die längere Zeit hier an¬
sässig sind, manches rührende Geschichtchen zu erzählen. Wir meinen umge¬
kehrt, es sei jetzt an der Zeit, den Reichsländer das neue Regiment, welches
ohnehin sehr viel straffer ist. als das frühere französische. liebgewinnen zu
lassen. Nur der Tyrann kann empfehlen, zuerst mit Geißeln und dann mit
Scorpionen zu züchtigen. Deutsche Milde und Gemüthlichkeit ist deshalb im
jetzigen Zeitpunkte eher zu empfehlen, als Strenge und Barschheit. Uebri-
gens wird unsere weise Landesverwaltung darin schon die richtigen Mittel
und Wege zu finden wissen. Und gerade in Kleinigkeiten sollte man fich nicht
gar so kleinlich zeigen und hier und da etwas durch die Finger sehen, wo es
dem Ganzen nicht schaden kann. So existirt z. B. ein älteres französisches
Gesetz, welches verbietet auf dem platten Lande, in Dörfern und Weilern, die
Strohdächer zu renoviren. Statt dessen sollen Schiefer oder Dachpfannen
angewandt werden. Jedermann leuchtet der Nutzen eines solchen auch sonst
w Deutschland in den meisten Bezirken geltenden Gesetzes ein. Wenn man
nun aber den Wortlaut dieses Gesetzes auch auf das biedere Völkchen der
Hochvogesen. das meist 800 -- 900 Meter über dem Meeresspiegel in einzeln
zerstreut liegenden Ferner haust, die lebhaft an die Schweizer Sennhütten
erinnern, in seiner ganzen Strenge anwenden will, so hat das absolut keinen
Sinn und keinen denkbaren Nutzen. Umgekehrt ist dabei zu berücksichtigen,
daß die meisten dieser Ferner und Melkerhütten, die oft Viertelstunden weit
auseinander liegen. durch ihre eigenthümliche Bauart gar nicht einmal im
Stande sind, ein schweres Schieferdach zu tragen und daß sie namentlich im
Winter gar zu ungastlich und unwohnlich sein würden. wenn ihnen das
wärmende Strohdach fehlte. -- der Romantik gar nicht zu gedenken. Man
möchte fast solch heißspornigen Herren empfehlen, sich einmal einen kalten
Winter lang hoch oben in eine solche Fern mit Schieferdach zwischen hohen


amten. als dem Eingebornen das gegenseitige wohlwollende Verständniß und
ein billigdenkendes „Einander-Fügen", wie nöthig dem lange genug aufge¬
regten Lande überhaupt die Ruhe auf allen Gebieten ist. Wer aber bloß
ab und zu einmal „die Nase hineinsteckt" - sit venia vordo! - und von
einzelnen persönlich unangenehmen Erfahrungen, die übrigens jeder Fremde
im fremden Lande machen kann, nun einen Schluß auf das Ganze ziehen,
gute Rathschläge ertheilen und Maßregeln empfehlen will, die seiner subiec-
twen Empfindung als die angemessensten erscheinen möchten, - dessen UrtyeU
kann gewiß kein competentes genannt werden.

Dazu gehört denn n. A. auch die Empfehlung. das strammere und
straffere norddeutsche Element im Elsaß zu verstärken. Warum acht gar?
Etwa, weil das süddeutsche Element sich besser mit den Anschauungen des
Landes zu vertragen und dessen Sitten sich anzuschmiegen vermag? Was
man damit für Früchte erzielt, davon wissen wir. die längere Zeit hier an¬
sässig sind, manches rührende Geschichtchen zu erzählen. Wir meinen umge¬
kehrt, es sei jetzt an der Zeit, den Reichsländer das neue Regiment, welches
ohnehin sehr viel straffer ist. als das frühere französische. liebgewinnen zu
lassen. Nur der Tyrann kann empfehlen, zuerst mit Geißeln und dann mit
Scorpionen zu züchtigen. Deutsche Milde und Gemüthlichkeit ist deshalb im
jetzigen Zeitpunkte eher zu empfehlen, als Strenge und Barschheit. Uebri-
gens wird unsere weise Landesverwaltung darin schon die richtigen Mittel
und Wege zu finden wissen. Und gerade in Kleinigkeiten sollte man fich nicht
gar so kleinlich zeigen und hier und da etwas durch die Finger sehen, wo es
dem Ganzen nicht schaden kann. So existirt z. B. ein älteres französisches
Gesetz, welches verbietet auf dem platten Lande, in Dörfern und Weilern, die
Strohdächer zu renoviren. Statt dessen sollen Schiefer oder Dachpfannen
angewandt werden. Jedermann leuchtet der Nutzen eines solchen auch sonst
w Deutschland in den meisten Bezirken geltenden Gesetzes ein. Wenn man
nun aber den Wortlaut dieses Gesetzes auch auf das biedere Völkchen der
Hochvogesen. das meist 800 — 900 Meter über dem Meeresspiegel in einzeln
zerstreut liegenden Ferner haust, die lebhaft an die Schweizer Sennhütten
erinnern, in seiner ganzen Strenge anwenden will, so hat das absolut keinen
Sinn und keinen denkbaren Nutzen. Umgekehrt ist dabei zu berücksichtigen,
daß die meisten dieser Ferner und Melkerhütten, die oft Viertelstunden weit
auseinander liegen. durch ihre eigenthümliche Bauart gar nicht einmal im
Stande sind, ein schweres Schieferdach zu tragen und daß sie namentlich im
Winter gar zu ungastlich und unwohnlich sein würden. wenn ihnen das
wärmende Strohdach fehlte. — der Romantik gar nicht zu gedenken. Man
möchte fast solch heißspornigen Herren empfehlen, sich einmal einen kalten
Winter lang hoch oben in eine solche Fern mit Schieferdach zwischen hohen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/41>, abgerufen am 01.07.2024.