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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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bringen, ist Hypothese und Schlußfolgerung aus Analogien. Aus natürlicher
Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein sollen die Naturwesen sich fortwährend
zu Besserem verändern und ihre Modification erblich übertragen können,
woraus sich der Formenreichthum der jetzigen Welt erklären soll. Dagegen be¬
hauptet Agassiz eine auf Erhaltung der ursprünglichen Typen gerichtete Ten¬
denz der Natur, wobei er sich auf das beruft, was man in neuester Zeit
über die Entwickelung des Thieres in Erfahrung gebracht hat, "daß nämlich
alles thierische Leben zuletzt sich auf das El zurückführt und durch dieses fort¬
gepflanzt wird, und daß das El selbst schon das neue Wesen ist. mit einer
Individualität, d. h. mit einem typischen Charakter begabt, so entschieden,
daß nie und nimmer von Anbeginn der Welt an das El irgend eines Thieres
ein Thier erzeugt hat, welches im Wesentlichen sich von der Mutter unter¬
schied, oder daß das Samenkorn wesentlich abgewichen wäre von der Pflanze,
welche eben jenes Samenkorn erzeugte." Was das neue Wesen von seinen
Eltern hat, ist ihm durch das El vermittelt worden. Manches ist hierbei
noch Räthsel oder wenigstens unklar, aber die Thatsache steht fest, "daß die
Erhaltung der Idee, des Typus, die Beharrlichkeit gewisser Züge in der or¬
ganischen Welt der Urzweck und unabweisliche Erfolg ist." Diese Ueberzeugung
wird unterstützt und bekräftigt, wenn wir die Art und Weise betrachten, wie
die Thiere auf Sicherung ihrer Brut bedacht find. "Wir haben", sagt Agassiz.
"bis jetzt wirklich keinen Grund zu der Annahme, daß jemals ein Wesen sich
unter Verhältnissen entwickelt hätte, welche jene Bedingungen als bedeutungs¬
los sür die erste Entstehung erscheinen lassen." Dazu tritt schließlich der Um¬
stand, daß auch da, wo zu der Fortpflanzung durch das El andere Formen
der Vermehrung (Knospen oder Theilung) hinzutreten, dennoch die Ueberein¬
stimmung zwischen den erzeugenden und erzeugten Individuen gewahrt bleibt.
"Mag ein Korallenthier sich in einem El entwickelt haben oder als Knospe
entstanden oder durch Theilung erzeugt sein, mag das so gebildete Indivi¬
duum vom Stamme abfallen, um eine neue Colonie zu begründen, oder mag
es mit dem Mutterthier verbunden bleiben, das Ergebniß jeder dieser Processe
ist in Bezug auf seine Organisation und seine Gestalt ganz dasselbe wie das
im El erzeugte." "Dieses strenge Gesetz beherrscht noch auffälliger jene Thiere,
welche durch den höchst eigenthümlichen Generationswechsel sich fortpflanzen.
Derselbe besteht darin, daß die Jungen einer Art in Gestalt und Organi¬
sation weit von ihren Eltern abweichen, neue Brut erzeugen und erst diese,
in einigen Fällen sogar erst deren Junge, wieder den Individuen völlig glei¬
chen, von welchen sie selbst erzeugt sind. Dieser Kreislauf oder Wechsel der
Generationen ist aber so unabänderlich, wie bei jeder unmittelbaren Ueber-
tragung der specifischen Eigenschaften des Erzeugers aus seine Nachkommen-
Hier schon wir wiederum, wie die Natur ihre Typen mit Strenge zum Aus-


bringen, ist Hypothese und Schlußfolgerung aus Analogien. Aus natürlicher
Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein sollen die Naturwesen sich fortwährend
zu Besserem verändern und ihre Modification erblich übertragen können,
woraus sich der Formenreichthum der jetzigen Welt erklären soll. Dagegen be¬
hauptet Agassiz eine auf Erhaltung der ursprünglichen Typen gerichtete Ten¬
denz der Natur, wobei er sich auf das beruft, was man in neuester Zeit
über die Entwickelung des Thieres in Erfahrung gebracht hat, „daß nämlich
alles thierische Leben zuletzt sich auf das El zurückführt und durch dieses fort¬
gepflanzt wird, und daß das El selbst schon das neue Wesen ist. mit einer
Individualität, d. h. mit einem typischen Charakter begabt, so entschieden,
daß nie und nimmer von Anbeginn der Welt an das El irgend eines Thieres
ein Thier erzeugt hat, welches im Wesentlichen sich von der Mutter unter¬
schied, oder daß das Samenkorn wesentlich abgewichen wäre von der Pflanze,
welche eben jenes Samenkorn erzeugte." Was das neue Wesen von seinen
Eltern hat, ist ihm durch das El vermittelt worden. Manches ist hierbei
noch Räthsel oder wenigstens unklar, aber die Thatsache steht fest, „daß die
Erhaltung der Idee, des Typus, die Beharrlichkeit gewisser Züge in der or¬
ganischen Welt der Urzweck und unabweisliche Erfolg ist." Diese Ueberzeugung
wird unterstützt und bekräftigt, wenn wir die Art und Weise betrachten, wie
die Thiere auf Sicherung ihrer Brut bedacht find. „Wir haben", sagt Agassiz.
„bis jetzt wirklich keinen Grund zu der Annahme, daß jemals ein Wesen sich
unter Verhältnissen entwickelt hätte, welche jene Bedingungen als bedeutungs¬
los sür die erste Entstehung erscheinen lassen." Dazu tritt schließlich der Um¬
stand, daß auch da, wo zu der Fortpflanzung durch das El andere Formen
der Vermehrung (Knospen oder Theilung) hinzutreten, dennoch die Ueberein¬
stimmung zwischen den erzeugenden und erzeugten Individuen gewahrt bleibt.
„Mag ein Korallenthier sich in einem El entwickelt haben oder als Knospe
entstanden oder durch Theilung erzeugt sein, mag das so gebildete Indivi¬
duum vom Stamme abfallen, um eine neue Colonie zu begründen, oder mag
es mit dem Mutterthier verbunden bleiben, das Ergebniß jeder dieser Processe
ist in Bezug auf seine Organisation und seine Gestalt ganz dasselbe wie das
im El erzeugte." „Dieses strenge Gesetz beherrscht noch auffälliger jene Thiere,
welche durch den höchst eigenthümlichen Generationswechsel sich fortpflanzen.
Derselbe besteht darin, daß die Jungen einer Art in Gestalt und Organi¬
sation weit von ihren Eltern abweichen, neue Brut erzeugen und erst diese,
in einigen Fällen sogar erst deren Junge, wieder den Individuen völlig glei¬
chen, von welchen sie selbst erzeugt sind. Dieser Kreislauf oder Wechsel der
Generationen ist aber so unabänderlich, wie bei jeder unmittelbaren Ueber-
tragung der specifischen Eigenschaften des Erzeugers aus seine Nachkommen-
Hier schon wir wiederum, wie die Natur ihre Typen mit Strenge zum Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/384>, abgerufen am 22.07.2024.