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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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geworfen werde, es sei in einem Gefecht oder in einem Angriff und was ihm
auch geschehen mag, daß er unfähig würde, sich selber zu wehren oder andern
zu helfen, dieser soll dennoch bei den andern bleiben bis die Noth ein Ende
hat. Doch soll derselbe (wenn er zurück bleibt) nicht als flüchtig geschätzt
werden und man soll ihn unbekümmert lassen an Leib und an Gut. -- Es
soll auch in keinem Gefecht eher als bis nach vollständig errungenen Sieg
und wenn es die Hauptleute gestatten, geplündert werden. -- Jeder soll die
Beute, die er macht, dem Hauptmann unter den er gehört, überantworten,
und dieser soll sie unter seine Mannschaft, welche an dem Gefecht theilge¬
nommen, zu gleichen Theilen vertheilen. -- Gotteshäuser, Kirchen, Klöster,
Kapellen und andere geweihte Orte, sollen nicht geplündert und erbrochen
und Mühlen nicht verbrannt werden. -- Priester und Frauen soll man
schonen und keiner soll sie mit bewaffneter Hand anfallen, es wäre denn,
daß sie sich zur Wehre setzten, einen angreifen oder schädliches Geschrei erheben
würden."

Der Sempacherbrief blieb die Grundlage der schweizerischen Kriegsge¬
setzgebung; er ward indessen in der Folge durch verschiedene Zusätze ver¬
mehrt. Die Kriegsordnung wurde in den Heeren der schweizerischen Eidge¬
nossen streng gehandhabt und die Anwendung des Gesetzes blieb nicht hinter
seinem Wortlaute zurück.

Das Kriegsgertchrsverfahren entsprach im Allgemeinen dem
bürgerlichen Gerichtsverfahren. Die Procedur war kurz, und die Strafe folgte
dem Verbrechen auf dem Fuße. Die Hauptleute bestimmten, ob der Deliquent
vor Gericht gestellt werden sollte, und als Richter fungirten bis zum Ende
des is. Jahrhunderts stets die Kriegsgemeinden. Alle Krieger erschienen
dabei bewaffnet und formierten den Ring; der Hauptmann bei dem Panner,
welcher den Vorsitz führte, stützte sich auf das entblöste Schwert und stand,
alter Sitte nach, unter einem Baume. Ankläger und Beklagter traten vor,
der letztere durfte Anwälte wählen, und nachdem beide Theile gehört waren
schritt man zum Spruch und unmittelbar darauf zur Strafvollstreckung. --
^rst Ende des 16. Jahrhunderts wurde es üblich, statt durch die gesamte
Kriegggemeinde durch eine Anzahl aus der Truppe gezogener Männer das
Urtheil sprechen zu lassen, wobei der Zeugenbeweis eingeführt wurde, die
Kriegsgemeinde aber immer gegenwärtig war, "das da nieman enkeim vn-
gliches bescheche und widerfahre." Das Verfahren ward überaus umständlich
und ceremoniös. -- Die Strafen waren, um abzuschrecken, meist sehr streng.
Das Todesurtheil vollzog man durch Enthaupten. Verräther wurden ge¬
viertheilt.

Was dem Heere der Eidgenossen in Bezug auf die Kriegskunst eine


geworfen werde, es sei in einem Gefecht oder in einem Angriff und was ihm
auch geschehen mag, daß er unfähig würde, sich selber zu wehren oder andern
zu helfen, dieser soll dennoch bei den andern bleiben bis die Noth ein Ende
hat. Doch soll derselbe (wenn er zurück bleibt) nicht als flüchtig geschätzt
werden und man soll ihn unbekümmert lassen an Leib und an Gut. — Es
soll auch in keinem Gefecht eher als bis nach vollständig errungenen Sieg
und wenn es die Hauptleute gestatten, geplündert werden. — Jeder soll die
Beute, die er macht, dem Hauptmann unter den er gehört, überantworten,
und dieser soll sie unter seine Mannschaft, welche an dem Gefecht theilge¬
nommen, zu gleichen Theilen vertheilen. — Gotteshäuser, Kirchen, Klöster,
Kapellen und andere geweihte Orte, sollen nicht geplündert und erbrochen
und Mühlen nicht verbrannt werden. — Priester und Frauen soll man
schonen und keiner soll sie mit bewaffneter Hand anfallen, es wäre denn,
daß sie sich zur Wehre setzten, einen angreifen oder schädliches Geschrei erheben
würden."

Der Sempacherbrief blieb die Grundlage der schweizerischen Kriegsge¬
setzgebung; er ward indessen in der Folge durch verschiedene Zusätze ver¬
mehrt. Die Kriegsordnung wurde in den Heeren der schweizerischen Eidge¬
nossen streng gehandhabt und die Anwendung des Gesetzes blieb nicht hinter
seinem Wortlaute zurück.

Das Kriegsgertchrsverfahren entsprach im Allgemeinen dem
bürgerlichen Gerichtsverfahren. Die Procedur war kurz, und die Strafe folgte
dem Verbrechen auf dem Fuße. Die Hauptleute bestimmten, ob der Deliquent
vor Gericht gestellt werden sollte, und als Richter fungirten bis zum Ende
des is. Jahrhunderts stets die Kriegsgemeinden. Alle Krieger erschienen
dabei bewaffnet und formierten den Ring; der Hauptmann bei dem Panner,
welcher den Vorsitz führte, stützte sich auf das entblöste Schwert und stand,
alter Sitte nach, unter einem Baume. Ankläger und Beklagter traten vor,
der letztere durfte Anwälte wählen, und nachdem beide Theile gehört waren
schritt man zum Spruch und unmittelbar darauf zur Strafvollstreckung. —
^rst Ende des 16. Jahrhunderts wurde es üblich, statt durch die gesamte
Kriegggemeinde durch eine Anzahl aus der Truppe gezogener Männer das
Urtheil sprechen zu lassen, wobei der Zeugenbeweis eingeführt wurde, die
Kriegsgemeinde aber immer gegenwärtig war, „das da nieman enkeim vn-
gliches bescheche und widerfahre." Das Verfahren ward überaus umständlich
und ceremoniös. -- Die Strafen waren, um abzuschrecken, meist sehr streng.
Das Todesurtheil vollzog man durch Enthaupten. Verräther wurden ge¬
viertheilt.

Was dem Heere der Eidgenossen in Bezug auf die Kriegskunst eine


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[0379] geworfen werde, es sei in einem Gefecht oder in einem Angriff und was ihm auch geschehen mag, daß er unfähig würde, sich selber zu wehren oder andern zu helfen, dieser soll dennoch bei den andern bleiben bis die Noth ein Ende hat. Doch soll derselbe (wenn er zurück bleibt) nicht als flüchtig geschätzt werden und man soll ihn unbekümmert lassen an Leib und an Gut. — Es soll auch in keinem Gefecht eher als bis nach vollständig errungenen Sieg und wenn es die Hauptleute gestatten, geplündert werden. — Jeder soll die Beute, die er macht, dem Hauptmann unter den er gehört, überantworten, und dieser soll sie unter seine Mannschaft, welche an dem Gefecht theilge¬ nommen, zu gleichen Theilen vertheilen. — Gotteshäuser, Kirchen, Klöster, Kapellen und andere geweihte Orte, sollen nicht geplündert und erbrochen und Mühlen nicht verbrannt werden. — Priester und Frauen soll man schonen und keiner soll sie mit bewaffneter Hand anfallen, es wäre denn, daß sie sich zur Wehre setzten, einen angreifen oder schädliches Geschrei erheben würden." Der Sempacherbrief blieb die Grundlage der schweizerischen Kriegsge¬ setzgebung; er ward indessen in der Folge durch verschiedene Zusätze ver¬ mehrt. Die Kriegsordnung wurde in den Heeren der schweizerischen Eidge¬ nossen streng gehandhabt und die Anwendung des Gesetzes blieb nicht hinter seinem Wortlaute zurück. Das Kriegsgertchrsverfahren entsprach im Allgemeinen dem bürgerlichen Gerichtsverfahren. Die Procedur war kurz, und die Strafe folgte dem Verbrechen auf dem Fuße. Die Hauptleute bestimmten, ob der Deliquent vor Gericht gestellt werden sollte, und als Richter fungirten bis zum Ende des is. Jahrhunderts stets die Kriegsgemeinden. Alle Krieger erschienen dabei bewaffnet und formierten den Ring; der Hauptmann bei dem Panner, welcher den Vorsitz führte, stützte sich auf das entblöste Schwert und stand, alter Sitte nach, unter einem Baume. Ankläger und Beklagter traten vor, der letztere durfte Anwälte wählen, und nachdem beide Theile gehört waren schritt man zum Spruch und unmittelbar darauf zur Strafvollstreckung. — ^rst Ende des 16. Jahrhunderts wurde es üblich, statt durch die gesamte Kriegggemeinde durch eine Anzahl aus der Truppe gezogener Männer das Urtheil sprechen zu lassen, wobei der Zeugenbeweis eingeführt wurde, die Kriegsgemeinde aber immer gegenwärtig war, „das da nieman enkeim vn- gliches bescheche und widerfahre." Das Verfahren ward überaus umständlich und ceremoniös. -- Die Strafen waren, um abzuschrecken, meist sehr streng. Das Todesurtheil vollzog man durch Enthaupten. Verräther wurden ge¬ viertheilt. Was dem Heere der Eidgenossen in Bezug auf die Kriegskunst eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/379>, abgerufen am 22.07.2024.