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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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einzeln von sich aus Krieg anfangen, sondern ein solcher nötigenfalls ge¬
meinschaftlich erklärt werden sollte." Wäre ein Ort bedroht, so sollte
ihm der Zuzug unentgeltich geleistet werden, sei es, daß er für ihn selbst
oder für einen Verbündeten gefordert würde. Wäre es aber dabei um eine
Belagerung zu thun, so fielen deren Kosten dem mahnenden Orte zu; geschähe
die Belagerung zu gemeinsamem Nutzen, so seien die Kosten auf den ganzen
Bund zu vertheilen.*) -- Praktisch stellten sich die Dinge folgendermaßen:
Um mit dem mahnenden Orte zu verhandeln, wurden "Boten" (Gesandte)
zu ihm geschickt, um dort zu tagen. Nach gemeinsamer Verabredung und
festem Beschluß dieser Tagherrn, wurde dann die Stärke der Kontingente, die
zum Bundesheer zu stoßen hatten und der gemeinsame Sammelplatz bestimmt.
Während des Krieges blieben die Boten auf der Tagsatzung zusammen, und
diese verfügte nach Ermessen über das Kriegsmaterial und die Wehrkräfte der
selbstherrlichen Orte.

Die Beschlüsse der Tagsatzungen zu vollziehen, blieb den verschiedenen
Ort sregierungen überlassen; doch diese setzten nicht selten ihren Stolz darein,
nicht nur das, wozu sie verpflichtet waren und was sie versprochen hatten, zu
leisten, sondern sie thaten oftmals mehr, und kein Ort wollte hinter dem
andern zurückbleiben. So machte der gute Wille und die Furcht vor der ge¬
meinsamen Gefahr die unläugbar großen Mängel der Bundes-Staats- und
Kriegsverfassung weniger schädlich.

Schon früh stellten die Schweizer Kriegsgesetze auf, sogenannte "Krigs-
ordnungen". Diese hatten der Mannschaft im Felde zur Richtschnur zu
dienen und mußten von ihr vor dem Auszuge beschworen werden. -- Die
älteste Kriegsordnung der Eidgenossen enthält der bereits erwähnte Sempacher-
brief. Seine Bestimmungen sind die folgenden: "Wenn wir künftig zu Felde
ziehn mit offenen Pannern wider den Feind, sei es gemeinschaftlich oder eine
Stadt und Land allein, so sollen alle die mit dem Panner ziehn, bei ein¬
ander bleiben, wie biderbe Leute und unsere Vorfahren von jeher gethan, was
für eine Noth uns oder ihnen auch begegnen mag. -- Wenn einer bei einem
Gefecht oder bei einem Angriff flüchtig würde, so soll sein Leben verfallen
sein, und diejenigen, welche ihn sehen, sollen ihn anklagen und sollen dieses
thun bei' den Eiden, die sie der Stadt oder dem Land geschworen haben,
damit sich jeglicher ein Beispiel daran nehme und sich vor ähnlichen Sachen
hüte. -- Es ist auch unsere Meinung, ob Einer verwundet, gestochen oder



Wehrvcrordmmg war dann die, "Eidgenössische Defensionale" vom 18. März 16K8,
welcher das "eidgenössische Schirmwerk" vom 7. Septbr. 1702 folgte. "Vergleiche
Oberst Feiß- das Wehrwescn der Schweiz, Zürich 1873.)
) Emanuel v. Rode: Die Feldzüge Karl's des Kühnen und seiner Erben. Mit beson
derem Bezug auf die Theilnahme der Schweizer an denselben. Schaffhausen. 1843.

einzeln von sich aus Krieg anfangen, sondern ein solcher nötigenfalls ge¬
meinschaftlich erklärt werden sollte." Wäre ein Ort bedroht, so sollte
ihm der Zuzug unentgeltich geleistet werden, sei es, daß er für ihn selbst
oder für einen Verbündeten gefordert würde. Wäre es aber dabei um eine
Belagerung zu thun, so fielen deren Kosten dem mahnenden Orte zu; geschähe
die Belagerung zu gemeinsamem Nutzen, so seien die Kosten auf den ganzen
Bund zu vertheilen.*) — Praktisch stellten sich die Dinge folgendermaßen:
Um mit dem mahnenden Orte zu verhandeln, wurden „Boten" (Gesandte)
zu ihm geschickt, um dort zu tagen. Nach gemeinsamer Verabredung und
festem Beschluß dieser Tagherrn, wurde dann die Stärke der Kontingente, die
zum Bundesheer zu stoßen hatten und der gemeinsame Sammelplatz bestimmt.
Während des Krieges blieben die Boten auf der Tagsatzung zusammen, und
diese verfügte nach Ermessen über das Kriegsmaterial und die Wehrkräfte der
selbstherrlichen Orte.

Die Beschlüsse der Tagsatzungen zu vollziehen, blieb den verschiedenen
Ort sregierungen überlassen; doch diese setzten nicht selten ihren Stolz darein,
nicht nur das, wozu sie verpflichtet waren und was sie versprochen hatten, zu
leisten, sondern sie thaten oftmals mehr, und kein Ort wollte hinter dem
andern zurückbleiben. So machte der gute Wille und die Furcht vor der ge¬
meinsamen Gefahr die unläugbar großen Mängel der Bundes-Staats- und
Kriegsverfassung weniger schädlich.

Schon früh stellten die Schweizer Kriegsgesetze auf, sogenannte „Krigs-
ordnungen". Diese hatten der Mannschaft im Felde zur Richtschnur zu
dienen und mußten von ihr vor dem Auszuge beschworen werden. — Die
älteste Kriegsordnung der Eidgenossen enthält der bereits erwähnte Sempacher-
brief. Seine Bestimmungen sind die folgenden: „Wenn wir künftig zu Felde
ziehn mit offenen Pannern wider den Feind, sei es gemeinschaftlich oder eine
Stadt und Land allein, so sollen alle die mit dem Panner ziehn, bei ein¬
ander bleiben, wie biderbe Leute und unsere Vorfahren von jeher gethan, was
für eine Noth uns oder ihnen auch begegnen mag. — Wenn einer bei einem
Gefecht oder bei einem Angriff flüchtig würde, so soll sein Leben verfallen
sein, und diejenigen, welche ihn sehen, sollen ihn anklagen und sollen dieses
thun bei' den Eiden, die sie der Stadt oder dem Land geschworen haben,
damit sich jeglicher ein Beispiel daran nehme und sich vor ähnlichen Sachen
hüte. — Es ist auch unsere Meinung, ob Einer verwundet, gestochen oder



Wehrvcrordmmg war dann die, „Eidgenössische Defensionale" vom 18. März 16K8,
welcher das „eidgenössische Schirmwerk" vom 7. Septbr. 1702 folgte. «Vergleiche
Oberst Feiß- das Wehrwescn der Schweiz, Zürich 1873.)
) Emanuel v. Rode: Die Feldzüge Karl's des Kühnen und seiner Erben. Mit beson
derem Bezug auf die Theilnahme der Schweizer an denselben. Schaffhausen. 1843.
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[0378] einzeln von sich aus Krieg anfangen, sondern ein solcher nötigenfalls ge¬ meinschaftlich erklärt werden sollte." Wäre ein Ort bedroht, so sollte ihm der Zuzug unentgeltich geleistet werden, sei es, daß er für ihn selbst oder für einen Verbündeten gefordert würde. Wäre es aber dabei um eine Belagerung zu thun, so fielen deren Kosten dem mahnenden Orte zu; geschähe die Belagerung zu gemeinsamem Nutzen, so seien die Kosten auf den ganzen Bund zu vertheilen.*) — Praktisch stellten sich die Dinge folgendermaßen: Um mit dem mahnenden Orte zu verhandeln, wurden „Boten" (Gesandte) zu ihm geschickt, um dort zu tagen. Nach gemeinsamer Verabredung und festem Beschluß dieser Tagherrn, wurde dann die Stärke der Kontingente, die zum Bundesheer zu stoßen hatten und der gemeinsame Sammelplatz bestimmt. Während des Krieges blieben die Boten auf der Tagsatzung zusammen, und diese verfügte nach Ermessen über das Kriegsmaterial und die Wehrkräfte der selbstherrlichen Orte. Die Beschlüsse der Tagsatzungen zu vollziehen, blieb den verschiedenen Ort sregierungen überlassen; doch diese setzten nicht selten ihren Stolz darein, nicht nur das, wozu sie verpflichtet waren und was sie versprochen hatten, zu leisten, sondern sie thaten oftmals mehr, und kein Ort wollte hinter dem andern zurückbleiben. So machte der gute Wille und die Furcht vor der ge¬ meinsamen Gefahr die unläugbar großen Mängel der Bundes-Staats- und Kriegsverfassung weniger schädlich. Schon früh stellten die Schweizer Kriegsgesetze auf, sogenannte „Krigs- ordnungen". Diese hatten der Mannschaft im Felde zur Richtschnur zu dienen und mußten von ihr vor dem Auszuge beschworen werden. — Die älteste Kriegsordnung der Eidgenossen enthält der bereits erwähnte Sempacher- brief. Seine Bestimmungen sind die folgenden: „Wenn wir künftig zu Felde ziehn mit offenen Pannern wider den Feind, sei es gemeinschaftlich oder eine Stadt und Land allein, so sollen alle die mit dem Panner ziehn, bei ein¬ ander bleiben, wie biderbe Leute und unsere Vorfahren von jeher gethan, was für eine Noth uns oder ihnen auch begegnen mag. — Wenn einer bei einem Gefecht oder bei einem Angriff flüchtig würde, so soll sein Leben verfallen sein, und diejenigen, welche ihn sehen, sollen ihn anklagen und sollen dieses thun bei' den Eiden, die sie der Stadt oder dem Land geschworen haben, damit sich jeglicher ein Beispiel daran nehme und sich vor ähnlichen Sachen hüte. — Es ist auch unsere Meinung, ob Einer verwundet, gestochen oder Wehrvcrordmmg war dann die, „Eidgenössische Defensionale" vom 18. März 16K8, welcher das „eidgenössische Schirmwerk" vom 7. Septbr. 1702 folgte. «Vergleiche Oberst Feiß- das Wehrwescn der Schweiz, Zürich 1873.) *¬ ) Emanuel v. Rode: Die Feldzüge Karl's des Kühnen und seiner Erben. Mit beson derem Bezug auf die Theilnahme der Schweizer an denselben. Schaffhausen. 1843.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/378>, abgerufen am 22.07.2024.