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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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der Städte und freien Gemeindewesen sichern konnte, sowie angesichts der
Nothwendigkeit, bei verhältnißmäßig schwacher Volkszahl dem Feinde doch
eine möglichst große.Menge von Streitern entgegenzusetzen, war jeder Bürger
oder freie Landmann unbedingt wehrpflichtig, in älterer Zeit
allerdings nur innerhalb des Gebietes der Stadt oder Landschaft. Weder
höheres Alter noch Stand befreiten von der Wehrpflicht; sogar die Leibei¬
genen wurden (den sonst fast überall geltenden Grundsätzen zu-
wider) ebenfalls zum Waffendienst herangezogen. -- Die Aufnahme des
Jünglings zum Bürger oder Landmann erfolgte nach altgermanischer Sitte
zu der Zeit, in welcher er das wehrbare Alter erreichte. Bei Ablegung des
Bürger- oder Landeseides mußte er schwören, in Vaterlandesnöthen mit Gut
und Blut einzustehen. -- Für Zuziehende war, um als Bürger oder Land¬
mann Aufnahme zu finden, Wehrhaftigkeit erste und unerläßliche Bedingung.
Kriegstüchtigen Männern ward die Erwerbung des Bürger- oder Landrechtes,
an dem Orte ihrer Niederlassung leicht. Stets wurde aber verlangt, daß sie
im Besitze der nöthigen Waffen und Rüstungen seien, um ihn zu beschützen. --
Bei dieser Auffassung der allgemeinen Wehrpflicht waren die 8 Orte (abgesehn
von den Unterthanen und Zugewandten) gegen Ende des 15. Jahrhunderts
den Angaben eines gleichzeitigen Schriftstellers") zufolge, in der Lage, eine
Streitmacht von 64.500 Mann aufzustellen, von denen 20,000 auf Bern.
10,000 auf Zürich, 9000 auf Luzern, 15,500 auf die andern 5 Orte fielen.
Unter Hinzurechnung der Unterthanen und Zugewandten mochte die Gesammt-
stärke des Bundes an streitbaren Männern wohl auf 70.000 steigen. -- Wer
bei drohender Feindesgefahr das Land verließ oder sich der Wehrpflicht entzog,
der ging selbstverständlich seines Bürger, oder Landrechtes verlustig. Ueber-
dies waren sür solche Heeresflüchtige strenge Strafen bestimmt. In dem
Stiftsland Se. Gallen z. B. war im 14. und 15. Jahrhundert Leib und Gut
desjenigen, der bei ergebenden Landsturm zurückblieb, seinen Nachbarn "er¬
laubt". In Bern sollte einem solchen sein Haus von Grund aus zerstört
werden, und in Ovwalden war bestimmt, daß wer bei einem Auszuge (ehehafte
Noth vorbehalten) zu Hause bleibe oder das Landpanner verlasse, dadurch
ehrlos und meineidig werde.

Mit der steten Instandhaltung undUeberwachung der Wehran¬
stalten war meist der "Kleine" oder "Innere Rath" betraut und von diesem
wieder insbesondere der Landammann oder Bürgermeister, die Pannerherren
und Verner (d. h. die Fähnriche). In den Ländern ging sogar aus dem kriege,
rischen Amte des Anführers das des Landammanns im Frieden hervor. Wer



") Albert von Vorstellen, Dechant von Einsiedeln in seiner "Beschreibung des Oberdeut¬
schen Bundes im Jahre 148 l." Dies lateinisch geschriebene Werk ist dem Könige von Frank¬
reich gewidmet.

der Städte und freien Gemeindewesen sichern konnte, sowie angesichts der
Nothwendigkeit, bei verhältnißmäßig schwacher Volkszahl dem Feinde doch
eine möglichst große.Menge von Streitern entgegenzusetzen, war jeder Bürger
oder freie Landmann unbedingt wehrpflichtig, in älterer Zeit
allerdings nur innerhalb des Gebietes der Stadt oder Landschaft. Weder
höheres Alter noch Stand befreiten von der Wehrpflicht; sogar die Leibei¬
genen wurden (den sonst fast überall geltenden Grundsätzen zu-
wider) ebenfalls zum Waffendienst herangezogen. — Die Aufnahme des
Jünglings zum Bürger oder Landmann erfolgte nach altgermanischer Sitte
zu der Zeit, in welcher er das wehrbare Alter erreichte. Bei Ablegung des
Bürger- oder Landeseides mußte er schwören, in Vaterlandesnöthen mit Gut
und Blut einzustehen. — Für Zuziehende war, um als Bürger oder Land¬
mann Aufnahme zu finden, Wehrhaftigkeit erste und unerläßliche Bedingung.
Kriegstüchtigen Männern ward die Erwerbung des Bürger- oder Landrechtes,
an dem Orte ihrer Niederlassung leicht. Stets wurde aber verlangt, daß sie
im Besitze der nöthigen Waffen und Rüstungen seien, um ihn zu beschützen. —
Bei dieser Auffassung der allgemeinen Wehrpflicht waren die 8 Orte (abgesehn
von den Unterthanen und Zugewandten) gegen Ende des 15. Jahrhunderts
den Angaben eines gleichzeitigen Schriftstellers") zufolge, in der Lage, eine
Streitmacht von 64.500 Mann aufzustellen, von denen 20,000 auf Bern.
10,000 auf Zürich, 9000 auf Luzern, 15,500 auf die andern 5 Orte fielen.
Unter Hinzurechnung der Unterthanen und Zugewandten mochte die Gesammt-
stärke des Bundes an streitbaren Männern wohl auf 70.000 steigen. — Wer
bei drohender Feindesgefahr das Land verließ oder sich der Wehrpflicht entzog,
der ging selbstverständlich seines Bürger, oder Landrechtes verlustig. Ueber-
dies waren sür solche Heeresflüchtige strenge Strafen bestimmt. In dem
Stiftsland Se. Gallen z. B. war im 14. und 15. Jahrhundert Leib und Gut
desjenigen, der bei ergebenden Landsturm zurückblieb, seinen Nachbarn „er¬
laubt". In Bern sollte einem solchen sein Haus von Grund aus zerstört
werden, und in Ovwalden war bestimmt, daß wer bei einem Auszuge (ehehafte
Noth vorbehalten) zu Hause bleibe oder das Landpanner verlasse, dadurch
ehrlos und meineidig werde.

Mit der steten Instandhaltung undUeberwachung der Wehran¬
stalten war meist der „Kleine" oder „Innere Rath" betraut und von diesem
wieder insbesondere der Landammann oder Bürgermeister, die Pannerherren
und Verner (d. h. die Fähnriche). In den Ländern ging sogar aus dem kriege,
rischen Amte des Anführers das des Landammanns im Frieden hervor. Wer



") Albert von Vorstellen, Dechant von Einsiedeln in seiner „Beschreibung des Oberdeut¬
schen Bundes im Jahre 148 l." Dies lateinisch geschriebene Werk ist dem Könige von Frank¬
reich gewidmet.
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[0367] der Städte und freien Gemeindewesen sichern konnte, sowie angesichts der Nothwendigkeit, bei verhältnißmäßig schwacher Volkszahl dem Feinde doch eine möglichst große.Menge von Streitern entgegenzusetzen, war jeder Bürger oder freie Landmann unbedingt wehrpflichtig, in älterer Zeit allerdings nur innerhalb des Gebietes der Stadt oder Landschaft. Weder höheres Alter noch Stand befreiten von der Wehrpflicht; sogar die Leibei¬ genen wurden (den sonst fast überall geltenden Grundsätzen zu- wider) ebenfalls zum Waffendienst herangezogen. — Die Aufnahme des Jünglings zum Bürger oder Landmann erfolgte nach altgermanischer Sitte zu der Zeit, in welcher er das wehrbare Alter erreichte. Bei Ablegung des Bürger- oder Landeseides mußte er schwören, in Vaterlandesnöthen mit Gut und Blut einzustehen. — Für Zuziehende war, um als Bürger oder Land¬ mann Aufnahme zu finden, Wehrhaftigkeit erste und unerläßliche Bedingung. Kriegstüchtigen Männern ward die Erwerbung des Bürger- oder Landrechtes, an dem Orte ihrer Niederlassung leicht. Stets wurde aber verlangt, daß sie im Besitze der nöthigen Waffen und Rüstungen seien, um ihn zu beschützen. — Bei dieser Auffassung der allgemeinen Wehrpflicht waren die 8 Orte (abgesehn von den Unterthanen und Zugewandten) gegen Ende des 15. Jahrhunderts den Angaben eines gleichzeitigen Schriftstellers") zufolge, in der Lage, eine Streitmacht von 64.500 Mann aufzustellen, von denen 20,000 auf Bern. 10,000 auf Zürich, 9000 auf Luzern, 15,500 auf die andern 5 Orte fielen. Unter Hinzurechnung der Unterthanen und Zugewandten mochte die Gesammt- stärke des Bundes an streitbaren Männern wohl auf 70.000 steigen. — Wer bei drohender Feindesgefahr das Land verließ oder sich der Wehrpflicht entzog, der ging selbstverständlich seines Bürger, oder Landrechtes verlustig. Ueber- dies waren sür solche Heeresflüchtige strenge Strafen bestimmt. In dem Stiftsland Se. Gallen z. B. war im 14. und 15. Jahrhundert Leib und Gut desjenigen, der bei ergebenden Landsturm zurückblieb, seinen Nachbarn „er¬ laubt". In Bern sollte einem solchen sein Haus von Grund aus zerstört werden, und in Ovwalden war bestimmt, daß wer bei einem Auszuge (ehehafte Noth vorbehalten) zu Hause bleibe oder das Landpanner verlasse, dadurch ehrlos und meineidig werde. Mit der steten Instandhaltung undUeberwachung der Wehran¬ stalten war meist der „Kleine" oder „Innere Rath" betraut und von diesem wieder insbesondere der Landammann oder Bürgermeister, die Pannerherren und Verner (d. h. die Fähnriche). In den Ländern ging sogar aus dem kriege, rischen Amte des Anführers das des Landammanns im Frieden hervor. Wer ") Albert von Vorstellen, Dechant von Einsiedeln in seiner „Beschreibung des Oberdeut¬ schen Bundes im Jahre 148 l." Dies lateinisch geschriebene Werk ist dem Könige von Frank¬ reich gewidmet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/367>, abgerufen am 22.07.2024.