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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Kurhesstsche Erinnerungen aus dem Aahr 1850.

/^ Mit großem Interesse sind in Hessen die
jüngst von den "Hess. Bl.", dem Organe der rennenden Geistlichen, veröffent¬
lichten Notizen aus dem Nachlasse des verstorbenen Consistorialraths Vilmar
aufgenommen. Dieselben betreffen die Verlegung des Sitzes der kurfürstlichen
Regierung, 12 -- 17. Sept. 1850 von hier nach Wilhelmsbad und sind mehr¬
fach von allgemeinerem Interesse. Vilmar war der Freund Hassenvflug's und
dessen eifrigster Genosse im damaligen Umsturze der kurhessischen Verfassung.
Seine Angaben tragen durchaus das Gepräge der Wahrheit und geben ein
deutliches Bild des damals in den maßgebenden Kreisen Hessens herrschenden
Zustandes. Bekanntlich versetzte Hassenpflug im August 1850 die Stände in
die Lage, entweder gegen die Verfassung zu verstoßen oder einen Beschluß zu
fassen, welcher von der Regierung, unter Verdrehung der Begriffe, als Steuer¬
verweigerung ausgelegt werden würde. Im Vertrauen auf die volle Loyalität
ihrer Handlungsweise und auf die Durchsichtigkeit der verfassungswidrigen
Zumuthungen der Regierung faßten die Stände muthig letzteren Beschluß.
Nun berichtet Vilmar, wie gierig die Minister in ihren Bureaus dieser Ent¬
scheidung entgegen sahen. Es dauerte ihnen zu lange, sie begaben sich nach
Haus und ließen Vilmar zurück mit dem Austrage, die entscheidende Nachricht
entgegenzunehmen. Als dann der Landtagscommissar klagend mit der Mel¬
dung kam, jener Beschluß sei wirklich gesaßt, rief Vilmar aus: "Das ist recht
gut, für uns das Beste, was sie hätten thun können! nun ist's fertig!" In
der That folgte die Proclamirung des Kriegszustandes, von dem sich Hassenpflug,
wie Vilmar sagt, eine einschneidende Wirkung versprach. Wir haben also nun
das offene Geständniß eines der Hauptbetheiligten an dem schmählichen Attentate.
Wie bekannt, scheiterten aber vorerst alle Anschläge Hassenpflug's an der Ver¬
fassungstreue des Volks, der Civil - und Militärbeamten. Man hoffte nun
wie Vilmar sagt, auf das vom König Ernst August von Hannover ver¬
sprochene Einrücken hannöverscher Truppen. Aber bevor der zur Beschleu¬
nigung dieser Maßregel abgesandte Adjutant zurückgekehrt war, stieg die
Angst der Minister vor der ihnen drohenden Anklage Seitens des ständigen
Ausschusses der aufgelösten Stände und ihrer Verhaftung. Es traten
daher, wie Vilmar berichtet, die Minister am 12. Sept. Abends zu einer
Berathung darüber zusammen, wie sie wohl den Kurfürsten zur Verlegung
des Regierungssitzes bestimmen könnten. Niemand sollte von dieser Berath¬
ung wissen, auch nicht der Kurfürst. Es mußten eben geschickte Lügen aus¬
gedacht werden. Vilmar berichtet nun, daß er den Thürhüter gespielt habe;
er nahm den Schlüssel zur einen, ein Pedell den zur anderen Thür des Vor-


Kurhesstsche Erinnerungen aus dem Aahr 1850.

/^ Mit großem Interesse sind in Hessen die
jüngst von den „Hess. Bl.", dem Organe der rennenden Geistlichen, veröffent¬
lichten Notizen aus dem Nachlasse des verstorbenen Consistorialraths Vilmar
aufgenommen. Dieselben betreffen die Verlegung des Sitzes der kurfürstlichen
Regierung, 12 — 17. Sept. 1850 von hier nach Wilhelmsbad und sind mehr¬
fach von allgemeinerem Interesse. Vilmar war der Freund Hassenvflug's und
dessen eifrigster Genosse im damaligen Umsturze der kurhessischen Verfassung.
Seine Angaben tragen durchaus das Gepräge der Wahrheit und geben ein
deutliches Bild des damals in den maßgebenden Kreisen Hessens herrschenden
Zustandes. Bekanntlich versetzte Hassenpflug im August 1850 die Stände in
die Lage, entweder gegen die Verfassung zu verstoßen oder einen Beschluß zu
fassen, welcher von der Regierung, unter Verdrehung der Begriffe, als Steuer¬
verweigerung ausgelegt werden würde. Im Vertrauen auf die volle Loyalität
ihrer Handlungsweise und auf die Durchsichtigkeit der verfassungswidrigen
Zumuthungen der Regierung faßten die Stände muthig letzteren Beschluß.
Nun berichtet Vilmar, wie gierig die Minister in ihren Bureaus dieser Ent¬
scheidung entgegen sahen. Es dauerte ihnen zu lange, sie begaben sich nach
Haus und ließen Vilmar zurück mit dem Austrage, die entscheidende Nachricht
entgegenzunehmen. Als dann der Landtagscommissar klagend mit der Mel¬
dung kam, jener Beschluß sei wirklich gesaßt, rief Vilmar aus: „Das ist recht
gut, für uns das Beste, was sie hätten thun können! nun ist's fertig!" In
der That folgte die Proclamirung des Kriegszustandes, von dem sich Hassenpflug,
wie Vilmar sagt, eine einschneidende Wirkung versprach. Wir haben also nun
das offene Geständniß eines der Hauptbetheiligten an dem schmählichen Attentate.
Wie bekannt, scheiterten aber vorerst alle Anschläge Hassenpflug's an der Ver¬
fassungstreue des Volks, der Civil - und Militärbeamten. Man hoffte nun
wie Vilmar sagt, auf das vom König Ernst August von Hannover ver¬
sprochene Einrücken hannöverscher Truppen. Aber bevor der zur Beschleu¬
nigung dieser Maßregel abgesandte Adjutant zurückgekehrt war, stieg die
Angst der Minister vor der ihnen drohenden Anklage Seitens des ständigen
Ausschusses der aufgelösten Stände und ihrer Verhaftung. Es traten
daher, wie Vilmar berichtet, die Minister am 12. Sept. Abends zu einer
Berathung darüber zusammen, wie sie wohl den Kurfürsten zur Verlegung
des Regierungssitzes bestimmen könnten. Niemand sollte von dieser Berath¬
ung wissen, auch nicht der Kurfürst. Es mußten eben geschickte Lügen aus¬
gedacht werden. Vilmar berichtet nun, daß er den Thürhüter gespielt habe;
er nahm den Schlüssel zur einen, ein Pedell den zur anderen Thür des Vor-


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[0036] Kurhesstsche Erinnerungen aus dem Aahr 1850. /^ Mit großem Interesse sind in Hessen die jüngst von den „Hess. Bl.", dem Organe der rennenden Geistlichen, veröffent¬ lichten Notizen aus dem Nachlasse des verstorbenen Consistorialraths Vilmar aufgenommen. Dieselben betreffen die Verlegung des Sitzes der kurfürstlichen Regierung, 12 — 17. Sept. 1850 von hier nach Wilhelmsbad und sind mehr¬ fach von allgemeinerem Interesse. Vilmar war der Freund Hassenvflug's und dessen eifrigster Genosse im damaligen Umsturze der kurhessischen Verfassung. Seine Angaben tragen durchaus das Gepräge der Wahrheit und geben ein deutliches Bild des damals in den maßgebenden Kreisen Hessens herrschenden Zustandes. Bekanntlich versetzte Hassenpflug im August 1850 die Stände in die Lage, entweder gegen die Verfassung zu verstoßen oder einen Beschluß zu fassen, welcher von der Regierung, unter Verdrehung der Begriffe, als Steuer¬ verweigerung ausgelegt werden würde. Im Vertrauen auf die volle Loyalität ihrer Handlungsweise und auf die Durchsichtigkeit der verfassungswidrigen Zumuthungen der Regierung faßten die Stände muthig letzteren Beschluß. Nun berichtet Vilmar, wie gierig die Minister in ihren Bureaus dieser Ent¬ scheidung entgegen sahen. Es dauerte ihnen zu lange, sie begaben sich nach Haus und ließen Vilmar zurück mit dem Austrage, die entscheidende Nachricht entgegenzunehmen. Als dann der Landtagscommissar klagend mit der Mel¬ dung kam, jener Beschluß sei wirklich gesaßt, rief Vilmar aus: „Das ist recht gut, für uns das Beste, was sie hätten thun können! nun ist's fertig!" In der That folgte die Proclamirung des Kriegszustandes, von dem sich Hassenpflug, wie Vilmar sagt, eine einschneidende Wirkung versprach. Wir haben also nun das offene Geständniß eines der Hauptbetheiligten an dem schmählichen Attentate. Wie bekannt, scheiterten aber vorerst alle Anschläge Hassenpflug's an der Ver¬ fassungstreue des Volks, der Civil - und Militärbeamten. Man hoffte nun wie Vilmar sagt, auf das vom König Ernst August von Hannover ver¬ sprochene Einrücken hannöverscher Truppen. Aber bevor der zur Beschleu¬ nigung dieser Maßregel abgesandte Adjutant zurückgekehrt war, stieg die Angst der Minister vor der ihnen drohenden Anklage Seitens des ständigen Ausschusses der aufgelösten Stände und ihrer Verhaftung. Es traten daher, wie Vilmar berichtet, die Minister am 12. Sept. Abends zu einer Berathung darüber zusammen, wie sie wohl den Kurfürsten zur Verlegung des Regierungssitzes bestimmen könnten. Niemand sollte von dieser Berath¬ ung wissen, auch nicht der Kurfürst. Es mußten eben geschickte Lügen aus¬ gedacht werden. Vilmar berichtet nun, daß er den Thürhüter gespielt habe; er nahm den Schlüssel zur einen, ein Pedell den zur anderen Thür des Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/36>, abgerufen am 29.06.2024.