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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Mischen Soldatenliedern gepredigten Preußenhaß Beschwerde erhoben ward,
so erinnere man sich doch nur unserer eigenen patriotischen Lieder aus den
ersten Jahren nach 1815; sie geben an Blutdürstigkeit den französischen wahr¬
lich nichts nach. Im Uebrigen wird aber jeder unbefangene Beobachter an¬
erkennen müssen, daß man in Paris in Ausfällen auf Deutschland sehr ent¬
haltsam ist. Ich habe mir das Vergnügen gemacht, unter diesem Gesichts-
punkte die Schaufenster der Buchläden zu prüfen. Nur ein einziges Mal --
es war in einer prononcirt demokratischen Buchhandlung -- fand ich einen
stark verfänglichen Titel, nämlich: "vn petit-üls ä'^teils. Invasion as
1870 -- 1871. ?pone en six emanes/ Die Aufschrift läßt über den Inhalt
keinen Zweifel. Dagegen trifft man in stockultramontanen Läden wohl aller¬
lei Schriften zur Verherrlichung ..Heinrich's V.". "Karl's VII.". des Papstes
u. f. w-, aber keine Pamphlete gegen Deutschland. Am ersten sollte man
erwarten, daß sich im Theater die Animosität gegen uns Luft machen werde.
Ich habe die lange Reihe der Tempel Thaliens gewissenhaft absolvirt und
kann versichern, niemals eine beleidigende Aeußerung über Deutschland be-
merkt zu haben; die einzige ironische Anspielung, welche ich gehört, befand
sich nicht in einer Novität, sondern in Adam's komischer Oper "le elMet,".
Auch von der den Franzosen nicht selten schuldgegebenen fanatischen Unduld¬
samkeit gegen Alles, was deutsch heißt, ist keine Spur zu entdecken. Die
Prachtausgabe von Goethe paradirt in den glänzenden Bücheretalagen der
Boulevards, auf den Empfehlungskarten der Gasthöfe, ja -- wenn auch
ganz vereinzelt -- an den Fenstern der Kaufläden sieht man neben "NnLlisIi
Spoken" und "se ng,b1a, esvemvl" ganz unverhohlen : "Man spricht deutsch",
und wenn der deutsche Wanderer vom Luxemburggarten zum Pantheon hin¬
aufsteigt, lacht ihm zur Rechten von den Fenstern der Brasserie Müller in
großen goldenen Lettern ein fehlerfreies "Sauerkraut" entgegen. Noch mehr
erstaunt, als über dies stumme Zeugniß des Vordringens deutscher Kultur
im "(Zugtier latin", ist man aber, wenn man die Damenwelt des "^rdin
NaKille" untereinander mit einzelnen deutschen Brocken um sich werfen hört,
wobei freilich zu bedauern bleibt. daß das edle Samenkorn nicht auf etwas
minder zweifelhaften Boden gefallen ist.

Nun aber die Kehrseite des Bildes! Wer etwa aus den angeführten
und ähnlichen Symptomen schließen wollte, daß man in Paris auf dem besten
Wege zu einer herzlichen Aussöhnung mit uns begriffen sei, der würde durch
eine politische Unterhaltung mit dem ersten besten Franzosen bitter enttäuscht
werden. Es gelingt freilich nicht leicht, eine solche Unterhaltung anzuknüpfen.
Der Wirth auf der historisch berühmten Windmühle des Montmartre machte
einer Anzahl französischer Touristen eine interessante Schilderung der beiden
letzten Bombardements. Ich stand abseits. Als die Herren fort waren, ver-


Mischen Soldatenliedern gepredigten Preußenhaß Beschwerde erhoben ward,
so erinnere man sich doch nur unserer eigenen patriotischen Lieder aus den
ersten Jahren nach 1815; sie geben an Blutdürstigkeit den französischen wahr¬
lich nichts nach. Im Uebrigen wird aber jeder unbefangene Beobachter an¬
erkennen müssen, daß man in Paris in Ausfällen auf Deutschland sehr ent¬
haltsam ist. Ich habe mir das Vergnügen gemacht, unter diesem Gesichts-
punkte die Schaufenster der Buchläden zu prüfen. Nur ein einziges Mal —
es war in einer prononcirt demokratischen Buchhandlung — fand ich einen
stark verfänglichen Titel, nämlich: „vn petit-üls ä'^teils. Invasion as
1870 — 1871. ?pone en six emanes/ Die Aufschrift läßt über den Inhalt
keinen Zweifel. Dagegen trifft man in stockultramontanen Läden wohl aller¬
lei Schriften zur Verherrlichung ..Heinrich's V.". „Karl's VII.". des Papstes
u. f. w-, aber keine Pamphlete gegen Deutschland. Am ersten sollte man
erwarten, daß sich im Theater die Animosität gegen uns Luft machen werde.
Ich habe die lange Reihe der Tempel Thaliens gewissenhaft absolvirt und
kann versichern, niemals eine beleidigende Aeußerung über Deutschland be-
merkt zu haben; die einzige ironische Anspielung, welche ich gehört, befand
sich nicht in einer Novität, sondern in Adam's komischer Oper „le elMet,".
Auch von der den Franzosen nicht selten schuldgegebenen fanatischen Unduld¬
samkeit gegen Alles, was deutsch heißt, ist keine Spur zu entdecken. Die
Prachtausgabe von Goethe paradirt in den glänzenden Bücheretalagen der
Boulevards, auf den Empfehlungskarten der Gasthöfe, ja — wenn auch
ganz vereinzelt — an den Fenstern der Kaufläden sieht man neben „NnLlisIi
Spoken" und „se ng,b1a, esvemvl" ganz unverhohlen : „Man spricht deutsch",
und wenn der deutsche Wanderer vom Luxemburggarten zum Pantheon hin¬
aufsteigt, lacht ihm zur Rechten von den Fenstern der Brasserie Müller in
großen goldenen Lettern ein fehlerfreies „Sauerkraut" entgegen. Noch mehr
erstaunt, als über dies stumme Zeugniß des Vordringens deutscher Kultur
im „(Zugtier latin«, ist man aber, wenn man die Damenwelt des „^rdin
NaKille« untereinander mit einzelnen deutschen Brocken um sich werfen hört,
wobei freilich zu bedauern bleibt. daß das edle Samenkorn nicht auf etwas
minder zweifelhaften Boden gefallen ist.

Nun aber die Kehrseite des Bildes! Wer etwa aus den angeführten
und ähnlichen Symptomen schließen wollte, daß man in Paris auf dem besten
Wege zu einer herzlichen Aussöhnung mit uns begriffen sei, der würde durch
eine politische Unterhaltung mit dem ersten besten Franzosen bitter enttäuscht
werden. Es gelingt freilich nicht leicht, eine solche Unterhaltung anzuknüpfen.
Der Wirth auf der historisch berühmten Windmühle des Montmartre machte
einer Anzahl französischer Touristen eine interessante Schilderung der beiden
letzten Bombardements. Ich stand abseits. Als die Herren fort waren, ver-


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[0353] Mischen Soldatenliedern gepredigten Preußenhaß Beschwerde erhoben ward, so erinnere man sich doch nur unserer eigenen patriotischen Lieder aus den ersten Jahren nach 1815; sie geben an Blutdürstigkeit den französischen wahr¬ lich nichts nach. Im Uebrigen wird aber jeder unbefangene Beobachter an¬ erkennen müssen, daß man in Paris in Ausfällen auf Deutschland sehr ent¬ haltsam ist. Ich habe mir das Vergnügen gemacht, unter diesem Gesichts- punkte die Schaufenster der Buchläden zu prüfen. Nur ein einziges Mal — es war in einer prononcirt demokratischen Buchhandlung — fand ich einen stark verfänglichen Titel, nämlich: „vn petit-üls ä'^teils. Invasion as 1870 — 1871. ?pone en six emanes/ Die Aufschrift läßt über den Inhalt keinen Zweifel. Dagegen trifft man in stockultramontanen Läden wohl aller¬ lei Schriften zur Verherrlichung ..Heinrich's V.". „Karl's VII.". des Papstes u. f. w-, aber keine Pamphlete gegen Deutschland. Am ersten sollte man erwarten, daß sich im Theater die Animosität gegen uns Luft machen werde. Ich habe die lange Reihe der Tempel Thaliens gewissenhaft absolvirt und kann versichern, niemals eine beleidigende Aeußerung über Deutschland be- merkt zu haben; die einzige ironische Anspielung, welche ich gehört, befand sich nicht in einer Novität, sondern in Adam's komischer Oper „le elMet,". Auch von der den Franzosen nicht selten schuldgegebenen fanatischen Unduld¬ samkeit gegen Alles, was deutsch heißt, ist keine Spur zu entdecken. Die Prachtausgabe von Goethe paradirt in den glänzenden Bücheretalagen der Boulevards, auf den Empfehlungskarten der Gasthöfe, ja — wenn auch ganz vereinzelt — an den Fenstern der Kaufläden sieht man neben „NnLlisIi Spoken" und „se ng,b1a, esvemvl" ganz unverhohlen : „Man spricht deutsch", und wenn der deutsche Wanderer vom Luxemburggarten zum Pantheon hin¬ aufsteigt, lacht ihm zur Rechten von den Fenstern der Brasserie Müller in großen goldenen Lettern ein fehlerfreies „Sauerkraut" entgegen. Noch mehr erstaunt, als über dies stumme Zeugniß des Vordringens deutscher Kultur im „(Zugtier latin«, ist man aber, wenn man die Damenwelt des „^rdin NaKille« untereinander mit einzelnen deutschen Brocken um sich werfen hört, wobei freilich zu bedauern bleibt. daß das edle Samenkorn nicht auf etwas minder zweifelhaften Boden gefallen ist. Nun aber die Kehrseite des Bildes! Wer etwa aus den angeführten und ähnlichen Symptomen schließen wollte, daß man in Paris auf dem besten Wege zu einer herzlichen Aussöhnung mit uns begriffen sei, der würde durch eine politische Unterhaltung mit dem ersten besten Franzosen bitter enttäuscht werden. Es gelingt freilich nicht leicht, eine solche Unterhaltung anzuknüpfen. Der Wirth auf der historisch berühmten Windmühle des Montmartre machte einer Anzahl französischer Touristen eine interessante Schilderung der beiden letzten Bombardements. Ich stand abseits. Als die Herren fort waren, ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/353>, abgerufen am 22.07.2024.