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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Wahrscheinlicher klang Manchem der Inhalt einer Schrift, die angeblich
von John Herschel, in Wahrheit aber von dem Amerikaner Locke verfaßt.
1836 erschien und eine Beschreibung des Lebens auf dem Monde enthielt
welches Herschel vom Vorgebirge der Guten Hoffnung aus, wo er sich kurz
vorher, um astronomische Beobachtungen anzustellen, wirklich eine Zeit lang
aufgehalten, durch sein Riesenteleskop beobachtet haben sollte. Es heißt da
u. A.: "Nur die Einbildungskraft, auf den Flügeln der Dichtkunst getragen,
könnte Gleichnisse aufstellen, um die wilde Erhabenheit der Landschaften zu
schildern, wo dunkle Behemothklippen, gleich Wällen in der Luft, über dem Ab¬
sturz schroffer Abgründe ragten. Waldungen schienen sich mitten in die Lust
zu erstrecken." Prachtvolle Amphitheater, von größeren und kleineren Hügel"
gebildet, ließen Tausende von Rubinen in der Sonne erglänzen, Bäche in
Silberschetn ergossen sich von den Felsen herab, gelbe Behänge vom reinsten
Golde drängten sich als Netzwerk und in Form von Zweigen aus den hori¬
zontalen Felsenschichten hervor und umsäumten schmuckvoll die grünen Wald¬
gebirge. Schafe mit Hörnern weiß wie Elfenbein weideten auf den Wiesen
neben der Antilope und dem Zebra, Wasservögel in großer Menge schwam¬
men auf den Seen. Ja noch mehr: die Mondmenschen zeigten sich als eine
Art geflügelter Geschöpfe: "Sie waren ungefähr vier Fuß hoch und mit Aus¬
nahme des Gesichts mit kurzen, glatten kupferrothen Haaren bedeckt und hatten
Flügel, die aus einer dünnen elastischen Haut ohne Haare bestanden, welche
hinten zusammengerollt von der Schulterspitze bis zu den Waden herabhing."
Diese Flügel hatten eine große Ausdehnung, wenn sie ausgebreitet waren,
und glichen in ihrer Bauart denen der Fledermaus. Die Fledermausmenschen
wanderten, sich unterhaltend, von Hügel zu Hügel u. s. w. Alle diese Wun¬
der zeigten sich durch das Fernrohr so deutlich, als ob sie nur etliche hundert
Fuß entfernt wären.

Das Aufsehen'welches dieser Bericht erregte, veranlaßte Arago, denselben
öffentlich als Mystifikation zu mißbilligen und zu widerlegen. Für Fachleute
bedürfte es dessen nicht. Nichts, was über die Möglichkeit, mit andern Welt¬
körpern in physische Verbindung zu treten, ihnen mit unsern Sinnen viel näher
zu kommen, als jetzt nach den letzten Vervollkommnungen unsrer Beobachtungs¬
instrumente, behauptet wird, ist begründet. Der Physiker Brandes hat, gestützt
auf den Gedanken, daß jedes Vernunftwesen, gleichviel, wie es organisirt sei,
geometrische Begriffe haben müsse, den Vorschlag gemacht: Man veranstalte
in einer tropischen, ebnen und culturfähigen Gegend von möglichst gleich¬
mäßiger Naturbeschaffenheit eine große Anpflanzung, die in der Vogelperspek¬
tive eine geometrische Figur bildet und sich als solche möglichst scharf und
bestimmt von ihrer Umgebung unterscheidet. Ist diese nun groß genug, um
von den etwaigen Mondbewohnern deutlich gesehen zu werden, so werden diese


Wahrscheinlicher klang Manchem der Inhalt einer Schrift, die angeblich
von John Herschel, in Wahrheit aber von dem Amerikaner Locke verfaßt.
1836 erschien und eine Beschreibung des Lebens auf dem Monde enthielt
welches Herschel vom Vorgebirge der Guten Hoffnung aus, wo er sich kurz
vorher, um astronomische Beobachtungen anzustellen, wirklich eine Zeit lang
aufgehalten, durch sein Riesenteleskop beobachtet haben sollte. Es heißt da
u. A.: „Nur die Einbildungskraft, auf den Flügeln der Dichtkunst getragen,
könnte Gleichnisse aufstellen, um die wilde Erhabenheit der Landschaften zu
schildern, wo dunkle Behemothklippen, gleich Wällen in der Luft, über dem Ab¬
sturz schroffer Abgründe ragten. Waldungen schienen sich mitten in die Lust
zu erstrecken." Prachtvolle Amphitheater, von größeren und kleineren Hügel»
gebildet, ließen Tausende von Rubinen in der Sonne erglänzen, Bäche in
Silberschetn ergossen sich von den Felsen herab, gelbe Behänge vom reinsten
Golde drängten sich als Netzwerk und in Form von Zweigen aus den hori¬
zontalen Felsenschichten hervor und umsäumten schmuckvoll die grünen Wald¬
gebirge. Schafe mit Hörnern weiß wie Elfenbein weideten auf den Wiesen
neben der Antilope und dem Zebra, Wasservögel in großer Menge schwam¬
men auf den Seen. Ja noch mehr: die Mondmenschen zeigten sich als eine
Art geflügelter Geschöpfe: „Sie waren ungefähr vier Fuß hoch und mit Aus¬
nahme des Gesichts mit kurzen, glatten kupferrothen Haaren bedeckt und hatten
Flügel, die aus einer dünnen elastischen Haut ohne Haare bestanden, welche
hinten zusammengerollt von der Schulterspitze bis zu den Waden herabhing."
Diese Flügel hatten eine große Ausdehnung, wenn sie ausgebreitet waren,
und glichen in ihrer Bauart denen der Fledermaus. Die Fledermausmenschen
wanderten, sich unterhaltend, von Hügel zu Hügel u. s. w. Alle diese Wun¬
der zeigten sich durch das Fernrohr so deutlich, als ob sie nur etliche hundert
Fuß entfernt wären.

Das Aufsehen'welches dieser Bericht erregte, veranlaßte Arago, denselben
öffentlich als Mystifikation zu mißbilligen und zu widerlegen. Für Fachleute
bedürfte es dessen nicht. Nichts, was über die Möglichkeit, mit andern Welt¬
körpern in physische Verbindung zu treten, ihnen mit unsern Sinnen viel näher
zu kommen, als jetzt nach den letzten Vervollkommnungen unsrer Beobachtungs¬
instrumente, behauptet wird, ist begründet. Der Physiker Brandes hat, gestützt
auf den Gedanken, daß jedes Vernunftwesen, gleichviel, wie es organisirt sei,
geometrische Begriffe haben müsse, den Vorschlag gemacht: Man veranstalte
in einer tropischen, ebnen und culturfähigen Gegend von möglichst gleich¬
mäßiger Naturbeschaffenheit eine große Anpflanzung, die in der Vogelperspek¬
tive eine geometrische Figur bildet und sich als solche möglichst scharf und
bestimmt von ihrer Umgebung unterscheidet. Ist diese nun groß genug, um
von den etwaigen Mondbewohnern deutlich gesehen zu werden, so werden diese


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[0312] Wahrscheinlicher klang Manchem der Inhalt einer Schrift, die angeblich von John Herschel, in Wahrheit aber von dem Amerikaner Locke verfaßt. 1836 erschien und eine Beschreibung des Lebens auf dem Monde enthielt welches Herschel vom Vorgebirge der Guten Hoffnung aus, wo er sich kurz vorher, um astronomische Beobachtungen anzustellen, wirklich eine Zeit lang aufgehalten, durch sein Riesenteleskop beobachtet haben sollte. Es heißt da u. A.: „Nur die Einbildungskraft, auf den Flügeln der Dichtkunst getragen, könnte Gleichnisse aufstellen, um die wilde Erhabenheit der Landschaften zu schildern, wo dunkle Behemothklippen, gleich Wällen in der Luft, über dem Ab¬ sturz schroffer Abgründe ragten. Waldungen schienen sich mitten in die Lust zu erstrecken." Prachtvolle Amphitheater, von größeren und kleineren Hügel» gebildet, ließen Tausende von Rubinen in der Sonne erglänzen, Bäche in Silberschetn ergossen sich von den Felsen herab, gelbe Behänge vom reinsten Golde drängten sich als Netzwerk und in Form von Zweigen aus den hori¬ zontalen Felsenschichten hervor und umsäumten schmuckvoll die grünen Wald¬ gebirge. Schafe mit Hörnern weiß wie Elfenbein weideten auf den Wiesen neben der Antilope und dem Zebra, Wasservögel in großer Menge schwam¬ men auf den Seen. Ja noch mehr: die Mondmenschen zeigten sich als eine Art geflügelter Geschöpfe: „Sie waren ungefähr vier Fuß hoch und mit Aus¬ nahme des Gesichts mit kurzen, glatten kupferrothen Haaren bedeckt und hatten Flügel, die aus einer dünnen elastischen Haut ohne Haare bestanden, welche hinten zusammengerollt von der Schulterspitze bis zu den Waden herabhing." Diese Flügel hatten eine große Ausdehnung, wenn sie ausgebreitet waren, und glichen in ihrer Bauart denen der Fledermaus. Die Fledermausmenschen wanderten, sich unterhaltend, von Hügel zu Hügel u. s. w. Alle diese Wun¬ der zeigten sich durch das Fernrohr so deutlich, als ob sie nur etliche hundert Fuß entfernt wären. Das Aufsehen'welches dieser Bericht erregte, veranlaßte Arago, denselben öffentlich als Mystifikation zu mißbilligen und zu widerlegen. Für Fachleute bedürfte es dessen nicht. Nichts, was über die Möglichkeit, mit andern Welt¬ körpern in physische Verbindung zu treten, ihnen mit unsern Sinnen viel näher zu kommen, als jetzt nach den letzten Vervollkommnungen unsrer Beobachtungs¬ instrumente, behauptet wird, ist begründet. Der Physiker Brandes hat, gestützt auf den Gedanken, daß jedes Vernunftwesen, gleichviel, wie es organisirt sei, geometrische Begriffe haben müsse, den Vorschlag gemacht: Man veranstalte in einer tropischen, ebnen und culturfähigen Gegend von möglichst gleich¬ mäßiger Naturbeschaffenheit eine große Anpflanzung, die in der Vogelperspek¬ tive eine geometrische Figur bildet und sich als solche möglichst scharf und bestimmt von ihrer Umgebung unterscheidet. Ist diese nun groß genug, um von den etwaigen Mondbewohnern deutlich gesehen zu werden, so werden diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/312>, abgerufen am 25.08.2024.