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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Werden." -- Ferner: "Wir wollen die Muthmaßungen nicht über die einer
Physischen Abhandlung vorgezeichneten Grenzen erstrecken. Wir bemerken nur
nochmals die oben angeführte Analogie: daß die Vollkommenheit der Geister-
Welt sowohl als der materialischen in den Planeten von dem Merkur an bis
zum Saturn oder vielleicht noch über ihn (wofern noch andere Planeten sind)
in einer richtigen Gradfolge nach der Proportion ihrer Entfernung von der
Sonne wachse und fortschreite." Dieser Theorie zufolge sind die Bewohner
der unteren Planeten Merkur und Venus vielleicht noch zu materiell, um ver¬
nünftig zu handeln, und ihre geistigen Anlagen noch nicht so weit ausgebil¬
det, um sie für ihre Handlungen verantwortlich zu machen. Die Bewohner
der Erde und des Mars leben in einem Mittelzustände zwischen Unvollkommen-
heit und Vollkommenheit, in fortwährendem Kampf der Materie, welche den
niedern Instinkten zugewendet ist, mit dem Geiste, welcher dem Guten sich
zuneigt, einem Zustande, der um so wahrscheinlicher ist, da beide in ihren
' astronomischen Verhältnissen ähnliche Planeten denselben Hang in einer mitt¬
leren Region der Sonnengruppe einnehmen. Die Bewohner der entfernteren
Planeten vom Jupiter an bis zu den Grenzen des Systems, das der Philo¬
soph, erst später gemachte Entdeckungen ahnend, über den Uranus hinaussetzt,
erfreuen sich eines Zustandes höherer Vollendung und Glückseligkeit. In Be¬
treff der Bewohner des Jupiter bemerkt Kant, daß die auf diesem Planeten
herrschenden Lebensbedingungen mit dem Zustande der Erdenbewohner unver¬
träglich sein würden. "Die Sehröhre lehren uns," sagt er, "daß die Ab¬
wechslung des Tages und der Nacht auf dem Jupiter in zehn Stunden ge¬
schehe. Was würde der Bewohner der Erde, wenn er in diesen Planeten
gesetzt würde, bei dieser Eintheilung wohl anfangen? Die zehn Stunden
Würden kaum zu derjenigen Ruhe zureichen, die diese grobe Maschine zu ihrer
Erholung durch den Schlaf gebraucht. Was würde die Vorbereitung zu den
Verrichtungen des Wachens, das Kleider, die Zeit, die zum Essen angewandt
wird, nicht für einen Antheil an der folgenden Zeit abfordern, und was
würde eine Creatur, deren Handlungen mit solcher Langsamkeit geschähen,
nicht zerstreut und zu etwas Tüchtigen unvermögend gemacht werden, deren
fünf Stunden Geschäfte plötzlich durch die Dazwischenkunft einer ebenso langen
Finsterniß unterbrochen würden? Dagegen, wenn Jupiter von vollkommneren
Creaturen bewohnt ist, die mit einer feineren Bildung mehr elastische Kräfte
Und eine größere Behendigkeit in der Ausübung verbinden, so kann man
glauben, daß diese fünf Stunden ihnen Ebendasselbe oder mehr sind, als
was die zwölf Stunden des Tages für die niedrige Klasse der Menschen
betragen."

Unter den Astronomen hat Bode eine ähnliche Ansicht in seiner "An¬
leitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels" geäußert. Er sagt: "Viel-


Werden." — Ferner: „Wir wollen die Muthmaßungen nicht über die einer
Physischen Abhandlung vorgezeichneten Grenzen erstrecken. Wir bemerken nur
nochmals die oben angeführte Analogie: daß die Vollkommenheit der Geister-
Welt sowohl als der materialischen in den Planeten von dem Merkur an bis
zum Saturn oder vielleicht noch über ihn (wofern noch andere Planeten sind)
in einer richtigen Gradfolge nach der Proportion ihrer Entfernung von der
Sonne wachse und fortschreite." Dieser Theorie zufolge sind die Bewohner
der unteren Planeten Merkur und Venus vielleicht noch zu materiell, um ver¬
nünftig zu handeln, und ihre geistigen Anlagen noch nicht so weit ausgebil¬
det, um sie für ihre Handlungen verantwortlich zu machen. Die Bewohner
der Erde und des Mars leben in einem Mittelzustände zwischen Unvollkommen-
heit und Vollkommenheit, in fortwährendem Kampf der Materie, welche den
niedern Instinkten zugewendet ist, mit dem Geiste, welcher dem Guten sich
zuneigt, einem Zustande, der um so wahrscheinlicher ist, da beide in ihren
' astronomischen Verhältnissen ähnliche Planeten denselben Hang in einer mitt¬
leren Region der Sonnengruppe einnehmen. Die Bewohner der entfernteren
Planeten vom Jupiter an bis zu den Grenzen des Systems, das der Philo¬
soph, erst später gemachte Entdeckungen ahnend, über den Uranus hinaussetzt,
erfreuen sich eines Zustandes höherer Vollendung und Glückseligkeit. In Be¬
treff der Bewohner des Jupiter bemerkt Kant, daß die auf diesem Planeten
herrschenden Lebensbedingungen mit dem Zustande der Erdenbewohner unver¬
träglich sein würden. „Die Sehröhre lehren uns," sagt er, „daß die Ab¬
wechslung des Tages und der Nacht auf dem Jupiter in zehn Stunden ge¬
schehe. Was würde der Bewohner der Erde, wenn er in diesen Planeten
gesetzt würde, bei dieser Eintheilung wohl anfangen? Die zehn Stunden
Würden kaum zu derjenigen Ruhe zureichen, die diese grobe Maschine zu ihrer
Erholung durch den Schlaf gebraucht. Was würde die Vorbereitung zu den
Verrichtungen des Wachens, das Kleider, die Zeit, die zum Essen angewandt
wird, nicht für einen Antheil an der folgenden Zeit abfordern, und was
würde eine Creatur, deren Handlungen mit solcher Langsamkeit geschähen,
nicht zerstreut und zu etwas Tüchtigen unvermögend gemacht werden, deren
fünf Stunden Geschäfte plötzlich durch die Dazwischenkunft einer ebenso langen
Finsterniß unterbrochen würden? Dagegen, wenn Jupiter von vollkommneren
Creaturen bewohnt ist, die mit einer feineren Bildung mehr elastische Kräfte
Und eine größere Behendigkeit in der Ausübung verbinden, so kann man
glauben, daß diese fünf Stunden ihnen Ebendasselbe oder mehr sind, als
was die zwölf Stunden des Tages für die niedrige Klasse der Menschen
betragen."

Unter den Astronomen hat Bode eine ähnliche Ansicht in seiner „An¬
leitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels" geäußert. Er sagt: „Viel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/307>, abgerufen am 22.07.2024.