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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Wie ich mit einem Bilde aus Jerusalem begonnen habe, so will ich auch
mit einem solchen schließen. Neben den Juden, die 1859 an der Stützmauer
des Moriah-Berges den Messias herbeibeteten, erwarteten, durch keine tausend
Schritt Weges von ihnen getrennt, Hunderte von christlichen Deutschen und
Engländern auf Grund von Elliot's Weissagungen, gewisser Zeichen der Zeit,
des Auftretens Napoleon's des Dritten, der Kriege in der Krim und in
Italien, und der damals in Amerika und Schottland rumorenden "Seelen-
crroeckungen" die Parufie Christi mit jedem Sonnenaufgange, und zwar gehörten
zu diesen komischen Leuten nicht blos Schuster und Schneider, sondern auch
nicht wenige Gebildete, Aerzte und Geistliche. In Einzelnen gipfelte diese
Manie in vollständiger Verrücktheit. Nicht weit vom Palaste des armenischen
Patriarchen auf der Fläche des Zionshügels wohnte damals unter einem
Feigenbaum ein englischer Sonderling, Jones oder Dickson, der sich für den
Johannes Baptista des wiederkehrenden Christus hielt. Jeden Morgen und ebenso
jeden Abend stieß er in die Posaune, um der heiligen Stadt die Nähe des tausend¬
jährigen Reiches zu melden, mit dessen Engeln er gelegentlich Zwiesprache
Pflog. Bisweilen sah man ihn mit einem Lamme, das er an einem Bande
spazieren führte, umherwandeln, und da er sich auf die Malerei verstand,
Porträtirte er das Thier und zwar, vermuthlich der Abwechselung halber,
bald weiß, bald himmelblau, bald in andern Farben. Zwei der protestan¬
tischen Geistlichen besuchten ihn einmal, um ihn durch verständigen Zuspruch
von seinen Einbildungen abzubringen. Er hörte sie geduldig an. Als sie
aber weggingen, fanden sie, daß ihre Einwürfe und Vorstellungen ihn nur
im Glauben an seine Misston bestärkt hatten. Der Besuch der "Schriftge-
lehrten" war ihm lediglich ein Zeichen gewesen, daß er der rechte neue Jo¬
hannes sei. Sein Ende war traurig. Im Herbst 1859 verstummte, wie
Consul Rosen mir schrieb, seine Auferstehungs- und Gerichtsposaune. Die
Nachbarn wunderten sich ein paar Tage, den wohlbekannten Ton nicht mehr
M hören, meinten indeß, das gehe sie nichts weiter an, bis endlich ein immer
unleidlicher werdender Verwesungsgeruch sie nachsehen ließ, was geschehen, und
man den Prodromos des wiederkehrenden Heilandes auf den Steinen unter
seinem Feigenbaum in einem Zustande fand, der jenen unbequemen Duft
rechtfertigte.

Nicht genug damit existirten damals neben den Chiliasten dieses Kalibers in
Jerusalem die Ameniten, eine Secte deutscher Juden-Christen, die, aus einigen
Dutzend Schwaben bestehend, ihren Propheten, den getauften Juden Samuel
Pick an der Spitze, 1858 in der Stadt der Verheißung angelangt war und
ebenfalls der Hoffnung lebte, daß die Wiederkunft Christi demnächst erfolgen
werde. Sie versuchten erst die protestantische Zionsgemeinde. dann die jerusa¬
lemer Rabbiner von der Wahrheit ihres neuen Evangeliums und der Echtheit


Grenzboten IV. 1875. 38

Wie ich mit einem Bilde aus Jerusalem begonnen habe, so will ich auch
mit einem solchen schließen. Neben den Juden, die 1859 an der Stützmauer
des Moriah-Berges den Messias herbeibeteten, erwarteten, durch keine tausend
Schritt Weges von ihnen getrennt, Hunderte von christlichen Deutschen und
Engländern auf Grund von Elliot's Weissagungen, gewisser Zeichen der Zeit,
des Auftretens Napoleon's des Dritten, der Kriege in der Krim und in
Italien, und der damals in Amerika und Schottland rumorenden „Seelen-
crroeckungen" die Parufie Christi mit jedem Sonnenaufgange, und zwar gehörten
zu diesen komischen Leuten nicht blos Schuster und Schneider, sondern auch
nicht wenige Gebildete, Aerzte und Geistliche. In Einzelnen gipfelte diese
Manie in vollständiger Verrücktheit. Nicht weit vom Palaste des armenischen
Patriarchen auf der Fläche des Zionshügels wohnte damals unter einem
Feigenbaum ein englischer Sonderling, Jones oder Dickson, der sich für den
Johannes Baptista des wiederkehrenden Christus hielt. Jeden Morgen und ebenso
jeden Abend stieß er in die Posaune, um der heiligen Stadt die Nähe des tausend¬
jährigen Reiches zu melden, mit dessen Engeln er gelegentlich Zwiesprache
Pflog. Bisweilen sah man ihn mit einem Lamme, das er an einem Bande
spazieren führte, umherwandeln, und da er sich auf die Malerei verstand,
Porträtirte er das Thier und zwar, vermuthlich der Abwechselung halber,
bald weiß, bald himmelblau, bald in andern Farben. Zwei der protestan¬
tischen Geistlichen besuchten ihn einmal, um ihn durch verständigen Zuspruch
von seinen Einbildungen abzubringen. Er hörte sie geduldig an. Als sie
aber weggingen, fanden sie, daß ihre Einwürfe und Vorstellungen ihn nur
im Glauben an seine Misston bestärkt hatten. Der Besuch der „Schriftge-
lehrten" war ihm lediglich ein Zeichen gewesen, daß er der rechte neue Jo¬
hannes sei. Sein Ende war traurig. Im Herbst 1859 verstummte, wie
Consul Rosen mir schrieb, seine Auferstehungs- und Gerichtsposaune. Die
Nachbarn wunderten sich ein paar Tage, den wohlbekannten Ton nicht mehr
M hören, meinten indeß, das gehe sie nichts weiter an, bis endlich ein immer
unleidlicher werdender Verwesungsgeruch sie nachsehen ließ, was geschehen, und
man den Prodromos des wiederkehrenden Heilandes auf den Steinen unter
seinem Feigenbaum in einem Zustande fand, der jenen unbequemen Duft
rechtfertigte.

Nicht genug damit existirten damals neben den Chiliasten dieses Kalibers in
Jerusalem die Ameniten, eine Secte deutscher Juden-Christen, die, aus einigen
Dutzend Schwaben bestehend, ihren Propheten, den getauften Juden Samuel
Pick an der Spitze, 1858 in der Stadt der Verheißung angelangt war und
ebenfalls der Hoffnung lebte, daß die Wiederkunft Christi demnächst erfolgen
werde. Sie versuchten erst die protestantische Zionsgemeinde. dann die jerusa¬
lemer Rabbiner von der Wahrheit ihres neuen Evangeliums und der Echtheit


Grenzboten IV. 1875. 38
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[0301] Wie ich mit einem Bilde aus Jerusalem begonnen habe, so will ich auch mit einem solchen schließen. Neben den Juden, die 1859 an der Stützmauer des Moriah-Berges den Messias herbeibeteten, erwarteten, durch keine tausend Schritt Weges von ihnen getrennt, Hunderte von christlichen Deutschen und Engländern auf Grund von Elliot's Weissagungen, gewisser Zeichen der Zeit, des Auftretens Napoleon's des Dritten, der Kriege in der Krim und in Italien, und der damals in Amerika und Schottland rumorenden „Seelen- crroeckungen" die Parufie Christi mit jedem Sonnenaufgange, und zwar gehörten zu diesen komischen Leuten nicht blos Schuster und Schneider, sondern auch nicht wenige Gebildete, Aerzte und Geistliche. In Einzelnen gipfelte diese Manie in vollständiger Verrücktheit. Nicht weit vom Palaste des armenischen Patriarchen auf der Fläche des Zionshügels wohnte damals unter einem Feigenbaum ein englischer Sonderling, Jones oder Dickson, der sich für den Johannes Baptista des wiederkehrenden Christus hielt. Jeden Morgen und ebenso jeden Abend stieß er in die Posaune, um der heiligen Stadt die Nähe des tausend¬ jährigen Reiches zu melden, mit dessen Engeln er gelegentlich Zwiesprache Pflog. Bisweilen sah man ihn mit einem Lamme, das er an einem Bande spazieren führte, umherwandeln, und da er sich auf die Malerei verstand, Porträtirte er das Thier und zwar, vermuthlich der Abwechselung halber, bald weiß, bald himmelblau, bald in andern Farben. Zwei der protestan¬ tischen Geistlichen besuchten ihn einmal, um ihn durch verständigen Zuspruch von seinen Einbildungen abzubringen. Er hörte sie geduldig an. Als sie aber weggingen, fanden sie, daß ihre Einwürfe und Vorstellungen ihn nur im Glauben an seine Misston bestärkt hatten. Der Besuch der „Schriftge- lehrten" war ihm lediglich ein Zeichen gewesen, daß er der rechte neue Jo¬ hannes sei. Sein Ende war traurig. Im Herbst 1859 verstummte, wie Consul Rosen mir schrieb, seine Auferstehungs- und Gerichtsposaune. Die Nachbarn wunderten sich ein paar Tage, den wohlbekannten Ton nicht mehr M hören, meinten indeß, das gehe sie nichts weiter an, bis endlich ein immer unleidlicher werdender Verwesungsgeruch sie nachsehen ließ, was geschehen, und man den Prodromos des wiederkehrenden Heilandes auf den Steinen unter seinem Feigenbaum in einem Zustande fand, der jenen unbequemen Duft rechtfertigte. Nicht genug damit existirten damals neben den Chiliasten dieses Kalibers in Jerusalem die Ameniten, eine Secte deutscher Juden-Christen, die, aus einigen Dutzend Schwaben bestehend, ihren Propheten, den getauften Juden Samuel Pick an der Spitze, 1858 in der Stadt der Verheißung angelangt war und ebenfalls der Hoffnung lebte, daß die Wiederkunft Christi demnächst erfolgen werde. Sie versuchten erst die protestantische Zionsgemeinde. dann die jerusa¬ lemer Rabbiner von der Wahrheit ihres neuen Evangeliums und der Echtheit Grenzboten IV. 1875. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/301>, abgerufen am 22.07.2024.