Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.große Festlichkeiten. Um eine Borstellung von der Pracht derselben zu er- Die große Mehrzahl derer, die an unsern so jämmerlich gefallnen Messias Es giebt, glaub' ich. auch Leute nicht orientalischen Geblütes, die lebhast Ueber die ungeheuerlichen Thorheiten aber, die ich in der Geschichte des große Festlichkeiten. Um eine Borstellung von der Pracht derselben zu er- Die große Mehrzahl derer, die an unsern so jämmerlich gefallnen Messias Es giebt, glaub' ich. auch Leute nicht orientalischen Geblütes, die lebhast Ueber die ungeheuerlichen Thorheiten aber, die ich in der Geschichte des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134646"/> <p xml:id="ID_914" prev="#ID_913"> große Festlichkeiten. Um eine Borstellung von der Pracht derselben zu er-<lb/> möglichen, erwähnt mein Gewährsmann nur, daß zweihundert Chassidim, in<lb/> Kosaken verkleidet, dem Bräutigam mehre Meilen entgegenritten, und daß<lb/> ein Frommer aus Volhynien oder Podoline zehntausend Rubel für die Ehre<lb/> zahlte, beim Hochzeitsschmause den Aufwärter machen zu dürfen. „Und die<lb/> Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins."</p><lb/> <p xml:id="ID_915"> Die große Mehrzahl derer, die an unsern so jämmerlich gefallnen Messias<lb/> geglaubt hatten, ermangelten der zähen Zuversicht der Uebrigen. Sie schlugen<lb/> sich vor den Kopf, rauften sich den Bart, trauerten eine Weile in Sack und<lb/> Asche aus den Trümmern ihres Vermögens und standen dann auf, um wieder<lb/> Geschäfte und Geschäftchen zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_916"> Es giebt, glaub' ich. auch Leute nicht orientalischen Geblütes, die lebhast<lb/> bedauern werden, daß Sabbathaj Zevi's Unternehmen nicht geglückt ist. Ich<lb/> höre sie sagen, wenn der gute Mann sein Volk dort um Jerusalem gesammelt<lb/> und für immer festgehalten hätte, so würden wir Deutschen zwar gewisse<lb/> Stimulanzen entbehren, aber auch vor gewissen unerfreulichen Einflüssen be¬<lb/> wahrt geblieben sein, die namentlich in der neuesten Zeit sich mit jedem Jahre<lb/> fühlbarer machten. Ich selbst werde mich hüten, meine Meinung über solche<lb/> Stimmen laut werden zu lassen. Ich begnüge mich, nach guten Nachrichten<lb/> von dem neuesten Messias in Hadramaut auszuschauen und sein Unternehmen<lb/> in mein Abendgebet einzuschließen. Vivat, üvrög.t, crescat!</p><lb/> <p xml:id="ID_917"> Ueber die ungeheuerlichen Thorheiten aber, die ich in der Geschichte des<lb/> Messias von 1666 mit ihrem kläglichen Ende geschildert, wollen wir uns<lb/> nicht allzusehr wundern und ereifern. Es ist wahr, dieses Ende ist ungemein<lb/> erbärmlich, aber in Betreff des Anfangs und des ihm zunächst Folgenden<lb/> haben wir vor unserer eignen Thür zu kehren. Was die Juden waren oder<lb/> sind, die auf ein mehr oder minder nahes Erscheinen des Meschiach hofften<lb/> oder noch hoffen, das sind die zahlreichen christlichen Secten, die einer mehr<lb/> oder minder entfernten Wiederkunft Christi entgegensehen. Dem Messiasglauben<lb/> der Talmudjünger und Kabbalaverehrer stehen die Phantasien der chiliasti-<lb/> schen Propheten und Bekenntnisse innerhalb der Christenheit ebenbürtig zur<lb/> Seite. Die Wiedertäufer von Münster waren schlimmer als die Sabbathianer<lb/> von Smyrna. Die amerikanischen Milleriten der vierziger Jahre unseres Sä-<lb/> culums verkauften und vergeudeten in Erwartung des tausendjährigen Reiches<lb/> ihr Hab und Gut ganz ebenso leichtsinnig, wie die Sephardim des siebzehnten<lb/> Jahrhunderts das ihre in Erwartung des Messiasreiches verkauften und ver¬<lb/> geudeten. Noch in unsern Tagen gab es im Bereiche des Christenthums und<lb/> der deutschen und englischen Nation Seitenstücke zu den jüdischen Thorheiten<lb/> von 1666.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
große Festlichkeiten. Um eine Borstellung von der Pracht derselben zu er-
möglichen, erwähnt mein Gewährsmann nur, daß zweihundert Chassidim, in
Kosaken verkleidet, dem Bräutigam mehre Meilen entgegenritten, und daß
ein Frommer aus Volhynien oder Podoline zehntausend Rubel für die Ehre
zahlte, beim Hochzeitsschmause den Aufwärter machen zu dürfen. „Und die
Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins."
Die große Mehrzahl derer, die an unsern so jämmerlich gefallnen Messias
geglaubt hatten, ermangelten der zähen Zuversicht der Uebrigen. Sie schlugen
sich vor den Kopf, rauften sich den Bart, trauerten eine Weile in Sack und
Asche aus den Trümmern ihres Vermögens und standen dann auf, um wieder
Geschäfte und Geschäftchen zu machen.
Es giebt, glaub' ich. auch Leute nicht orientalischen Geblütes, die lebhast
bedauern werden, daß Sabbathaj Zevi's Unternehmen nicht geglückt ist. Ich
höre sie sagen, wenn der gute Mann sein Volk dort um Jerusalem gesammelt
und für immer festgehalten hätte, so würden wir Deutschen zwar gewisse
Stimulanzen entbehren, aber auch vor gewissen unerfreulichen Einflüssen be¬
wahrt geblieben sein, die namentlich in der neuesten Zeit sich mit jedem Jahre
fühlbarer machten. Ich selbst werde mich hüten, meine Meinung über solche
Stimmen laut werden zu lassen. Ich begnüge mich, nach guten Nachrichten
von dem neuesten Messias in Hadramaut auszuschauen und sein Unternehmen
in mein Abendgebet einzuschließen. Vivat, üvrög.t, crescat!
Ueber die ungeheuerlichen Thorheiten aber, die ich in der Geschichte des
Messias von 1666 mit ihrem kläglichen Ende geschildert, wollen wir uns
nicht allzusehr wundern und ereifern. Es ist wahr, dieses Ende ist ungemein
erbärmlich, aber in Betreff des Anfangs und des ihm zunächst Folgenden
haben wir vor unserer eignen Thür zu kehren. Was die Juden waren oder
sind, die auf ein mehr oder minder nahes Erscheinen des Meschiach hofften
oder noch hoffen, das sind die zahlreichen christlichen Secten, die einer mehr
oder minder entfernten Wiederkunft Christi entgegensehen. Dem Messiasglauben
der Talmudjünger und Kabbalaverehrer stehen die Phantasien der chiliasti-
schen Propheten und Bekenntnisse innerhalb der Christenheit ebenbürtig zur
Seite. Die Wiedertäufer von Münster waren schlimmer als die Sabbathianer
von Smyrna. Die amerikanischen Milleriten der vierziger Jahre unseres Sä-
culums verkauften und vergeudeten in Erwartung des tausendjährigen Reiches
ihr Hab und Gut ganz ebenso leichtsinnig, wie die Sephardim des siebzehnten
Jahrhunderts das ihre in Erwartung des Messiasreiches verkauften und ver¬
geudeten. Noch in unsern Tagen gab es im Bereiche des Christenthums und
der deutschen und englischen Nation Seitenstücke zu den jüdischen Thorheiten
von 1666.
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