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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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nah zu Fürsten des Reiches, welches in Palästina gegründet werden sollte.
Als aber die Zeit zum Aufbruch dahin kam, erklärte er plötzlich, eine Offen¬
barung von Adonaj erhalten zu haben, die ihm gebiete, zuerst nach Stambul
zu ziehen, den Sultan zum Glauben an sich zu bekehren und seine Huldigung
als Vasall entgegenzunehmen, und am 30. December schiffte er sich mit einem
Theil seiner Getreuen wirklich nach der Stadt am Goldner Horne ein. Die
Seereise scheint keine glückliche gewesen zu sein; denn erst nach neununddreißig
Tagen traf das Schiff, das die Gesellschaft trug, vor der Hauptstadt der
Türken ein. Um so angenehmer muß dem Messias der Empfang gewesen
sein, der seiner von Seiten der Juden hier wartete. Mit großem Gepränge
zogen sie ihm entgegen und geleiteten ihn in die Stadt. Hier aber wendete
sich das Blatt. Auch andere Leute waren nämlich zum Empfange des Wun¬
dermannes bereit, Kawassen des Großwessirs, die ihn schnurstracks ins Ge¬
fängniß abführten. Das Volk Gottes hing anfangs darüber den Kopf, aber
seine Propheten wußten Rath und Trost: war denn nicht geweissagt, daß der
Messias erst leiden sollte, bevor er verherrlicht wurde? Auch scheint die Haft
Sabbathaj's zuerst keine strenge gewesen zu sein; denn seine Anhänger durften
ihn besuchen und machten reichlichen Gebrauch von dieser Erlaubniß, was sie
fortsetzten, als er zu Anfang des Frühlings in ein anderes Gefängniß gebracht
wurde, das an den Dardanellen lag.

Jene Besuche wußten zu berichten, daß der Messias auch im Kerker aller¬
hand erstaunliche Dinge gethan. Schon bei seiner Verhaftung hatte er mi!
einer bloßen Handbewegung seine Häscher todt zu Boden gestreckt, sie aber
dann wieder aufgeweckt. Im Gefängniß hatten sich seine eisernen Ketten in
goldene verwandelt und waren auf ein Wort von ihm in eben soviele Ringe
zerfallen, als sie Glieder hatten, welche Ringe er den Besuchern dann zum
Andenken schenkte. Berührte er die Schlösser und Riegel des Thurmes, in
dem er saß, mit dem Finger, so sprangen sie auf, und er wandelte dann mit
seinen Freunden frei durch die Straßen, und wenn er zurückkehrte, geschah es
nur, "auf daß die Worte der Propheten erfüllt wurden."

Vielleicht hätte ihn der Sultan oder vielmehr dessen Wessir, der berühmte
Achmed Köprili, welcher damals der eigentliche Regent war, mit einer scharfen
Ermahnung, sich ferner abgeschmackten Treibens zu enthalten, und einer Dosis
Bastonade als Denkzettel laufen lassen -- denn das Ganze war doch nicht
viel mehr als eine eitle, hohle Farce -- wenn nicht auch dieser Messias seinen
Judas gefunden hätte. Unter den Wallfahrern, die Sabbathaj in seiner Haft
an den Dardanellen besuchten, war auch der Rabbi Nehemia Kober, ein ge¬
lehrter Herr, der selber gern Messias gewesen wäre, und der demzufolge Sab¬
bathaj vorstellte, daß nach der Schrift eigentlich zwei Messiasse sein müßten,
Ben Ephraim, der arme und leidende, und Ben David, der reiche, siegende


nah zu Fürsten des Reiches, welches in Palästina gegründet werden sollte.
Als aber die Zeit zum Aufbruch dahin kam, erklärte er plötzlich, eine Offen¬
barung von Adonaj erhalten zu haben, die ihm gebiete, zuerst nach Stambul
zu ziehen, den Sultan zum Glauben an sich zu bekehren und seine Huldigung
als Vasall entgegenzunehmen, und am 30. December schiffte er sich mit einem
Theil seiner Getreuen wirklich nach der Stadt am Goldner Horne ein. Die
Seereise scheint keine glückliche gewesen zu sein; denn erst nach neununddreißig
Tagen traf das Schiff, das die Gesellschaft trug, vor der Hauptstadt der
Türken ein. Um so angenehmer muß dem Messias der Empfang gewesen
sein, der seiner von Seiten der Juden hier wartete. Mit großem Gepränge
zogen sie ihm entgegen und geleiteten ihn in die Stadt. Hier aber wendete
sich das Blatt. Auch andere Leute waren nämlich zum Empfange des Wun¬
dermannes bereit, Kawassen des Großwessirs, die ihn schnurstracks ins Ge¬
fängniß abführten. Das Volk Gottes hing anfangs darüber den Kopf, aber
seine Propheten wußten Rath und Trost: war denn nicht geweissagt, daß der
Messias erst leiden sollte, bevor er verherrlicht wurde? Auch scheint die Haft
Sabbathaj's zuerst keine strenge gewesen zu sein; denn seine Anhänger durften
ihn besuchen und machten reichlichen Gebrauch von dieser Erlaubniß, was sie
fortsetzten, als er zu Anfang des Frühlings in ein anderes Gefängniß gebracht
wurde, das an den Dardanellen lag.

Jene Besuche wußten zu berichten, daß der Messias auch im Kerker aller¬
hand erstaunliche Dinge gethan. Schon bei seiner Verhaftung hatte er mi!
einer bloßen Handbewegung seine Häscher todt zu Boden gestreckt, sie aber
dann wieder aufgeweckt. Im Gefängniß hatten sich seine eisernen Ketten in
goldene verwandelt und waren auf ein Wort von ihm in eben soviele Ringe
zerfallen, als sie Glieder hatten, welche Ringe er den Besuchern dann zum
Andenken schenkte. Berührte er die Schlösser und Riegel des Thurmes, in
dem er saß, mit dem Finger, so sprangen sie auf, und er wandelte dann mit
seinen Freunden frei durch die Straßen, und wenn er zurückkehrte, geschah es
nur, „auf daß die Worte der Propheten erfüllt wurden."

Vielleicht hätte ihn der Sultan oder vielmehr dessen Wessir, der berühmte
Achmed Köprili, welcher damals der eigentliche Regent war, mit einer scharfen
Ermahnung, sich ferner abgeschmackten Treibens zu enthalten, und einer Dosis
Bastonade als Denkzettel laufen lassen — denn das Ganze war doch nicht
viel mehr als eine eitle, hohle Farce — wenn nicht auch dieser Messias seinen
Judas gefunden hätte. Unter den Wallfahrern, die Sabbathaj in seiner Haft
an den Dardanellen besuchten, war auch der Rabbi Nehemia Kober, ein ge¬
lehrter Herr, der selber gern Messias gewesen wäre, und der demzufolge Sab¬
bathaj vorstellte, daß nach der Schrift eigentlich zwei Messiasse sein müßten,
Ben Ephraim, der arme und leidende, und Ben David, der reiche, siegende


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[0298] nah zu Fürsten des Reiches, welches in Palästina gegründet werden sollte. Als aber die Zeit zum Aufbruch dahin kam, erklärte er plötzlich, eine Offen¬ barung von Adonaj erhalten zu haben, die ihm gebiete, zuerst nach Stambul zu ziehen, den Sultan zum Glauben an sich zu bekehren und seine Huldigung als Vasall entgegenzunehmen, und am 30. December schiffte er sich mit einem Theil seiner Getreuen wirklich nach der Stadt am Goldner Horne ein. Die Seereise scheint keine glückliche gewesen zu sein; denn erst nach neununddreißig Tagen traf das Schiff, das die Gesellschaft trug, vor der Hauptstadt der Türken ein. Um so angenehmer muß dem Messias der Empfang gewesen sein, der seiner von Seiten der Juden hier wartete. Mit großem Gepränge zogen sie ihm entgegen und geleiteten ihn in die Stadt. Hier aber wendete sich das Blatt. Auch andere Leute waren nämlich zum Empfange des Wun¬ dermannes bereit, Kawassen des Großwessirs, die ihn schnurstracks ins Ge¬ fängniß abführten. Das Volk Gottes hing anfangs darüber den Kopf, aber seine Propheten wußten Rath und Trost: war denn nicht geweissagt, daß der Messias erst leiden sollte, bevor er verherrlicht wurde? Auch scheint die Haft Sabbathaj's zuerst keine strenge gewesen zu sein; denn seine Anhänger durften ihn besuchen und machten reichlichen Gebrauch von dieser Erlaubniß, was sie fortsetzten, als er zu Anfang des Frühlings in ein anderes Gefängniß gebracht wurde, das an den Dardanellen lag. Jene Besuche wußten zu berichten, daß der Messias auch im Kerker aller¬ hand erstaunliche Dinge gethan. Schon bei seiner Verhaftung hatte er mi! einer bloßen Handbewegung seine Häscher todt zu Boden gestreckt, sie aber dann wieder aufgeweckt. Im Gefängniß hatten sich seine eisernen Ketten in goldene verwandelt und waren auf ein Wort von ihm in eben soviele Ringe zerfallen, als sie Glieder hatten, welche Ringe er den Besuchern dann zum Andenken schenkte. Berührte er die Schlösser und Riegel des Thurmes, in dem er saß, mit dem Finger, so sprangen sie auf, und er wandelte dann mit seinen Freunden frei durch die Straßen, und wenn er zurückkehrte, geschah es nur, „auf daß die Worte der Propheten erfüllt wurden." Vielleicht hätte ihn der Sultan oder vielmehr dessen Wessir, der berühmte Achmed Köprili, welcher damals der eigentliche Regent war, mit einer scharfen Ermahnung, sich ferner abgeschmackten Treibens zu enthalten, und einer Dosis Bastonade als Denkzettel laufen lassen — denn das Ganze war doch nicht viel mehr als eine eitle, hohle Farce — wenn nicht auch dieser Messias seinen Judas gefunden hätte. Unter den Wallfahrern, die Sabbathaj in seiner Haft an den Dardanellen besuchten, war auch der Rabbi Nehemia Kober, ein ge¬ lehrter Herr, der selber gern Messias gewesen wäre, und der demzufolge Sab¬ bathaj vorstellte, daß nach der Schrift eigentlich zwei Messiasse sein müßten, Ben Ephraim, der arme und leidende, und Ben David, der reiche, siegende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/298>, abgerufen am 25.08.2024.