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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Alle diese Wunder wurden von der rechtgläubigen Judenheit so bestimmt er¬
wartet, wie die Christen wußten, daß der von den Propheten des Alten Testa¬
ments geweissagte Messias schon gekommen sei. Im Hinblick auf die Zer¬
streutheit Israels stützte diese Hoffnung sich auf den sogenannten "goldenen Affen",
die Thorastelle 3. Mos. 26, 44, die im Original mit p^i (Weaf, d. b. "und
dennoch") anfängt und in der Uebersetzung Luther's lautet: "Auch wenn sie
schon in der Feinde Land sind, habe ich sie gleichwohl nicht verworfen und
ekelt mich ihrer nicht also, daß es mit ihnen aus sein sollte und mein Bund
mit ihnen sollte nicht mehr gelten; denn ich bin der Herr, ihr Gott." Ferner
aber nahm man die Stelle Jesaj. 60, 10 ff. wörtlich, wo es von Jerusalem
heißt: "Fremde werden Deine Mauern bauen, und ihre Könige werden Dir
dienen. Denn in meinem Zorn habe ich Dich geschlagen, und in meiner
Gnade erbarme ich mich über Dich. Welche Heiden oder Königreiche Dir nicht
dienen wollen, die sollen umkommen und die Heiden verwüstet werden. Es
werden gebückt zu Dir kommen, die Dich unterdrückt haben, und alle, die
Dich gelästert haben, werden niederfallen zu Deinen Füßen. Denn darum,
daß Du bist die Verlassene und Verhaßte gewesen, da Niemand ging, will
ich Dich zur Pracht ewiglich machen und zur Freude für und für. Ich will
Gold anstatt des Erzes und Silber anstatt des Eisens bringen und Erz an¬
statt des Holzes und Eisen anstatt der Steine, und will machen, daß Deine
Vorsteher Frieden lehren sollen und Deine Pfleger Gerechtigkeit predigen.
Man soll keinen Frevel mehr hören in Deinem Lande noch Schaden oder
Verderben in Deinen Grenzen, sondern Deine Mauern sollen Heil und Deine
Thore Lob heißen. Die Sonne soll nicht mehr des Tages Dir scheinen, und
der Glanz des Mondes soll Dir nicht leuchten; sondern der Herr wird Dein
ewiges Licht und Dein Gott wird Dein Preis sein. Deine Sonne wird nicht
untergehen, noch Dein Mond den Schein verlieren; denn der Herr wird Dein
ewiges Licht sein, und die Tage Deines Leidens sollen ein Ende haben. Und
Dein Volk soll eitel Gerechte sein und werden das Erdreich ewig besitzen, als
die der Zweig meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hände sind. Aus dem
Kleinsten sollen tausend werden und aus dem Geringsten ein mächtig Volk.
Ich, der Herr, will solches zu seiner Zeit eilends ausrichten."

Eigenthümlich war die Rolle, die man nach dem Talmud bei Begrün¬
dung des Messiasreiches dem Propheten Elias zuwies. Derselbe war und ist
der Lieblingsprophet der orthodoxen Juden und hat ein ewiges Leben, un¬
gefähr wie der Chider der muhammedanischen Legende. Nach der Hagada
tritt er allenthalben als Beschützer der bedrohten Unschuld auf, bald als
Araber, bald als Reiter, ja einmal sogar als römischer Statthalter. Nach
der Kabbala hat er die Obliegenheit. am Ausgang des Sabbaths, nachdem
das Schlußgebet Havdala gesprochen worden, die Seelen der Bösen in das


Alle diese Wunder wurden von der rechtgläubigen Judenheit so bestimmt er¬
wartet, wie die Christen wußten, daß der von den Propheten des Alten Testa¬
ments geweissagte Messias schon gekommen sei. Im Hinblick auf die Zer¬
streutheit Israels stützte diese Hoffnung sich auf den sogenannten „goldenen Affen",
die Thorastelle 3. Mos. 26, 44, die im Original mit p^i (Weaf, d. b. „und
dennoch") anfängt und in der Uebersetzung Luther's lautet: „Auch wenn sie
schon in der Feinde Land sind, habe ich sie gleichwohl nicht verworfen und
ekelt mich ihrer nicht also, daß es mit ihnen aus sein sollte und mein Bund
mit ihnen sollte nicht mehr gelten; denn ich bin der Herr, ihr Gott." Ferner
aber nahm man die Stelle Jesaj. 60, 10 ff. wörtlich, wo es von Jerusalem
heißt: „Fremde werden Deine Mauern bauen, und ihre Könige werden Dir
dienen. Denn in meinem Zorn habe ich Dich geschlagen, und in meiner
Gnade erbarme ich mich über Dich. Welche Heiden oder Königreiche Dir nicht
dienen wollen, die sollen umkommen und die Heiden verwüstet werden. Es
werden gebückt zu Dir kommen, die Dich unterdrückt haben, und alle, die
Dich gelästert haben, werden niederfallen zu Deinen Füßen. Denn darum,
daß Du bist die Verlassene und Verhaßte gewesen, da Niemand ging, will
ich Dich zur Pracht ewiglich machen und zur Freude für und für. Ich will
Gold anstatt des Erzes und Silber anstatt des Eisens bringen und Erz an¬
statt des Holzes und Eisen anstatt der Steine, und will machen, daß Deine
Vorsteher Frieden lehren sollen und Deine Pfleger Gerechtigkeit predigen.
Man soll keinen Frevel mehr hören in Deinem Lande noch Schaden oder
Verderben in Deinen Grenzen, sondern Deine Mauern sollen Heil und Deine
Thore Lob heißen. Die Sonne soll nicht mehr des Tages Dir scheinen, und
der Glanz des Mondes soll Dir nicht leuchten; sondern der Herr wird Dein
ewiges Licht und Dein Gott wird Dein Preis sein. Deine Sonne wird nicht
untergehen, noch Dein Mond den Schein verlieren; denn der Herr wird Dein
ewiges Licht sein, und die Tage Deines Leidens sollen ein Ende haben. Und
Dein Volk soll eitel Gerechte sein und werden das Erdreich ewig besitzen, als
die der Zweig meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hände sind. Aus dem
Kleinsten sollen tausend werden und aus dem Geringsten ein mächtig Volk.
Ich, der Herr, will solches zu seiner Zeit eilends ausrichten."

Eigenthümlich war die Rolle, die man nach dem Talmud bei Begrün¬
dung des Messiasreiches dem Propheten Elias zuwies. Derselbe war und ist
der Lieblingsprophet der orthodoxen Juden und hat ein ewiges Leben, un¬
gefähr wie der Chider der muhammedanischen Legende. Nach der Hagada
tritt er allenthalben als Beschützer der bedrohten Unschuld auf, bald als
Araber, bald als Reiter, ja einmal sogar als römischer Statthalter. Nach
der Kabbala hat er die Obliegenheit. am Ausgang des Sabbaths, nachdem
das Schlußgebet Havdala gesprochen worden, die Seelen der Bösen in das


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[0290] Alle diese Wunder wurden von der rechtgläubigen Judenheit so bestimmt er¬ wartet, wie die Christen wußten, daß der von den Propheten des Alten Testa¬ ments geweissagte Messias schon gekommen sei. Im Hinblick auf die Zer¬ streutheit Israels stützte diese Hoffnung sich auf den sogenannten „goldenen Affen", die Thorastelle 3. Mos. 26, 44, die im Original mit p^i (Weaf, d. b. „und dennoch") anfängt und in der Uebersetzung Luther's lautet: „Auch wenn sie schon in der Feinde Land sind, habe ich sie gleichwohl nicht verworfen und ekelt mich ihrer nicht also, daß es mit ihnen aus sein sollte und mein Bund mit ihnen sollte nicht mehr gelten; denn ich bin der Herr, ihr Gott." Ferner aber nahm man die Stelle Jesaj. 60, 10 ff. wörtlich, wo es von Jerusalem heißt: „Fremde werden Deine Mauern bauen, und ihre Könige werden Dir dienen. Denn in meinem Zorn habe ich Dich geschlagen, und in meiner Gnade erbarme ich mich über Dich. Welche Heiden oder Königreiche Dir nicht dienen wollen, die sollen umkommen und die Heiden verwüstet werden. Es werden gebückt zu Dir kommen, die Dich unterdrückt haben, und alle, die Dich gelästert haben, werden niederfallen zu Deinen Füßen. Denn darum, daß Du bist die Verlassene und Verhaßte gewesen, da Niemand ging, will ich Dich zur Pracht ewiglich machen und zur Freude für und für. Ich will Gold anstatt des Erzes und Silber anstatt des Eisens bringen und Erz an¬ statt des Holzes und Eisen anstatt der Steine, und will machen, daß Deine Vorsteher Frieden lehren sollen und Deine Pfleger Gerechtigkeit predigen. Man soll keinen Frevel mehr hören in Deinem Lande noch Schaden oder Verderben in Deinen Grenzen, sondern Deine Mauern sollen Heil und Deine Thore Lob heißen. Die Sonne soll nicht mehr des Tages Dir scheinen, und der Glanz des Mondes soll Dir nicht leuchten; sondern der Herr wird Dein ewiges Licht und Dein Gott wird Dein Preis sein. Deine Sonne wird nicht untergehen, noch Dein Mond den Schein verlieren; denn der Herr wird Dein ewiges Licht sein, und die Tage Deines Leidens sollen ein Ende haben. Und Dein Volk soll eitel Gerechte sein und werden das Erdreich ewig besitzen, als die der Zweig meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hände sind. Aus dem Kleinsten sollen tausend werden und aus dem Geringsten ein mächtig Volk. Ich, der Herr, will solches zu seiner Zeit eilends ausrichten." Eigenthümlich war die Rolle, die man nach dem Talmud bei Begrün¬ dung des Messiasreiches dem Propheten Elias zuwies. Derselbe war und ist der Lieblingsprophet der orthodoxen Juden und hat ein ewiges Leben, un¬ gefähr wie der Chider der muhammedanischen Legende. Nach der Hagada tritt er allenthalben als Beschützer der bedrohten Unschuld auf, bald als Araber, bald als Reiter, ja einmal sogar als römischer Statthalter. Nach der Kabbala hat er die Obliegenheit. am Ausgang des Sabbaths, nachdem das Schlußgebet Havdala gesprochen worden, die Seelen der Bösen in das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/290>, abgerufen am 25.08.2024.