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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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hat die Sanskritsprache nicht weniger als tausend Benennungen, welche in
einem besonderen Kataloge verzeichnet sind, und diese Fülle von Namen
bekundet hinlänglich die Aufmerksamkeit, die man ihr in Indien geschenkt
und erklärt zugleich den Reichthum von Mythen, die sich um die Sonne
weben.

Der Sonne folgt naturgemäß in der fünften Vorlesung der "Mond",
der bald als männliches, bald als weibliches Wesen auftritt, und je nach
seinen Phasen andere Namen erhält. Wie die Sonne am Tage gilt der
Mond in der Nacht als Befruchter der Erde, weshalb beide als Gatten dar¬
gestellt werden und nicht selten eine und dieselbe Person bilden, und wie die
Sonne die Tage theilt, theilt der Mond die Monate und wird zum Zeit¬
messer des Jahres, indem die vedischen Worte mag und umsa, Mond und
Maß, von der Wurzel M, messen, herstammen.

Gegenstand der sechsten Vorlesung ist das "Feuer oder ^gri". Ob¬
wohl die nach Indra in den Veden am häufigsten angerufene Gottheit, ist
Agni doch einer der am wenigsten persönlichen Götter des vedischen Olymps,
dessen Wohnsitz am unbestimmtesten, dessen Gestalt am schwankendsten bleibt.
Er wird als lebendes Geschöpf vom trockenen Holz geboren, bringt seine
Eltern um, weil Feuer das Holz verzehrt, und wird, da die Mythe zur Ent¬
schuldigung dieser That die Eltern als grausam und als Verfolger der Jugend
schildert, zum Befreier und Erlöser.

Das himmlische Feuer dagegen, der Blitz, ist bald das erste Geschöpf der
Welt und Vater der Götter, bald identisch mit der Sonne und vom Himmel
herabgestiegen auf die Erde. Ihm werden Opfer gebracht, um es zum Freund
zu haben, ihm die irdischen Freuden des Tages und die Seligkeit des Todten
zugeschrieben, weshalb es auch von den Göttern selbst in seinem Versteck, dem
Wasser, gesucht wird.

Dieses wird in der siebenten Vorlesung besprochen. Es bildete den An¬
fang der Welt und erzeugte das El Brahman's, des Herrn der Schöpfung.
Meistens werden aber in den vedischen Hymnen die Gewässer gefeiert, als
liebreiche Mütter und Göttinnen begrüßt und als heilbringend gepriesen-
Aus den himmlischen Flüssen oder dem himmlischen Ocean entstand Agni, der
Schützer der Gewässer, aus ihnen schöpften Indra und andere kriegerische
Götter ihre Kräfte, aus ihnen erhoben sich die Wellen in Gestalt von Mäd¬
chen oder Nymphen, die nicht selten zu den Menschen herabsteigen und sich
mit ihnen vermischen.

Die achte Vorlesung behandelt den "Wind". Sein Ursprung ist eben
so unsicher, wie sein Wesen. Er erscheint in den Veden theils ehelich ver¬
bunden mit den rothen Wolken, mit den Gewässern und mit den Frauen,
theils als Erzeuger. Sein Sinnbild ist die Taube, welche im hellenischen


hat die Sanskritsprache nicht weniger als tausend Benennungen, welche in
einem besonderen Kataloge verzeichnet sind, und diese Fülle von Namen
bekundet hinlänglich die Aufmerksamkeit, die man ihr in Indien geschenkt
und erklärt zugleich den Reichthum von Mythen, die sich um die Sonne
weben.

Der Sonne folgt naturgemäß in der fünften Vorlesung der „Mond",
der bald als männliches, bald als weibliches Wesen auftritt, und je nach
seinen Phasen andere Namen erhält. Wie die Sonne am Tage gilt der
Mond in der Nacht als Befruchter der Erde, weshalb beide als Gatten dar¬
gestellt werden und nicht selten eine und dieselbe Person bilden, und wie die
Sonne die Tage theilt, theilt der Mond die Monate und wird zum Zeit¬
messer des Jahres, indem die vedischen Worte mag und umsa, Mond und
Maß, von der Wurzel M, messen, herstammen.

Gegenstand der sechsten Vorlesung ist das „Feuer oder ^gri". Ob¬
wohl die nach Indra in den Veden am häufigsten angerufene Gottheit, ist
Agni doch einer der am wenigsten persönlichen Götter des vedischen Olymps,
dessen Wohnsitz am unbestimmtesten, dessen Gestalt am schwankendsten bleibt.
Er wird als lebendes Geschöpf vom trockenen Holz geboren, bringt seine
Eltern um, weil Feuer das Holz verzehrt, und wird, da die Mythe zur Ent¬
schuldigung dieser That die Eltern als grausam und als Verfolger der Jugend
schildert, zum Befreier und Erlöser.

Das himmlische Feuer dagegen, der Blitz, ist bald das erste Geschöpf der
Welt und Vater der Götter, bald identisch mit der Sonne und vom Himmel
herabgestiegen auf die Erde. Ihm werden Opfer gebracht, um es zum Freund
zu haben, ihm die irdischen Freuden des Tages und die Seligkeit des Todten
zugeschrieben, weshalb es auch von den Göttern selbst in seinem Versteck, dem
Wasser, gesucht wird.

Dieses wird in der siebenten Vorlesung besprochen. Es bildete den An¬
fang der Welt und erzeugte das El Brahman's, des Herrn der Schöpfung.
Meistens werden aber in den vedischen Hymnen die Gewässer gefeiert, als
liebreiche Mütter und Göttinnen begrüßt und als heilbringend gepriesen-
Aus den himmlischen Flüssen oder dem himmlischen Ocean entstand Agni, der
Schützer der Gewässer, aus ihnen schöpften Indra und andere kriegerische
Götter ihre Kräfte, aus ihnen erhoben sich die Wellen in Gestalt von Mäd¬
chen oder Nymphen, die nicht selten zu den Menschen herabsteigen und sich
mit ihnen vermischen.

Die achte Vorlesung behandelt den „Wind". Sein Ursprung ist eben
so unsicher, wie sein Wesen. Er erscheint in den Veden theils ehelich ver¬
bunden mit den rothen Wolken, mit den Gewässern und mit den Frauen,
theils als Erzeuger. Sein Sinnbild ist die Taube, welche im hellenischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/268>, abgerufen am 22.07.2024.