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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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von der Richtung zu dem herrlichen Ziele, dem er stets entgegenstrebte. Es
mußte ja auch ihn, den Menschen, das Menschliche berühren."

So beginnt es dort, und wenn also auch mit Recht in dem besprochenen
Werke nicht die Höhe des Beethoven'schen Genius gefunden wird, dieser selbst
wird doch nach seiner ganzen Würde und Weihe erkannt, und war es nicht
soeben gewesen, daß er sich in der Rissa, solenms und der Neunten Symphonie
auch in seinem vollen Glänze öffentlich gezeigt hatte?

In einer Conversation nach der ersten Akademie im Mai d. I. bittet
der Musikschriftsteller Kann e Beethoven um "einige Blicke in seine Partitur,
um vernünftig zu schreiben", und in Ur. 38 seiner Wiener A. M. Z. beginnt
dann ein langer Bericht, dessen Sinn und Meinen also dem Meister selbst
nicht gar so fern steht. Wir theilen auch daraus Einiges mit, es fällt
bereits in den Sommer, als Beethoven längst wieder still bei seiner Ar¬
beit ist.

"Seine früheren Werke, besonders die Klavier- und Jnstrumentalcompo-
sitionen deuten allein schon mehr oder weniger sein ernstes Streben nach
einer innern, der Freiheit der Phantasie zur Seite gehenden Nothwendigkeit.
Selbst bei einer ans Wunderbare grenzenden Laune und unbegrenztem Streben
nach außen in die abenteuerlichste Form, wacht doch immer seine erhabene
Besonnenheit über den von ihm durchdrungenen Gegenstand und knüpft die
geistige Kette der Nothwendigkeiten und organischen Verwebungen an. So
schuf er seine herrlichen von dem größten Erfindungsgeiste zeugenden Clavier-
compositionen, in denen nicht allein der wahre Geist der Kunst in gediegener
Schönheit sich ausspricht, sondern die auch zugleich den Geist des Zeitalters,
dem sie ihre Entstehung verdanken, auf eine so entschiedene und wirklich ver¬
klärende Art repräsentiren."

Zum Schluß heißt es in Betreff des Eindrucks der Akademie selbst:
"Welcher Fühlende, der in den beiden Tagen der Aufführung gegenwärtig
war und den verklärten Meister an des dirigirenden Capellmeisters Umlauf die
Partitur nachlesen und jede kleine Nüance und Steigerung des Bortrags
doppelt mitempfinden und gleichsam andeuten sah u. s. w. Der berühmte
Beethoven kann diesen Tag als einen seiner schönsten im Leben betrachten,
denn der Enthusiasmus der Zuhörer erreichte nach jedem Tonstücke von seiner
Meisterhand den höchsten denkbaren Grad. Es war ein Tag der Feier für
alle wahren Freunde der Musik."

Noch fügen wir etwas aus der Leipziger A. M. Z. vom August d. I. 1824
bei, das , auch von dem Neffen in den Conversationen berührt wird. Ein
Conzertgeber hatte sich auf seinem Zettel "Ehrenbürger von Wien" genannt,
und so heißt es dort: "Ohne uns in eine weitere Untersuchung einzulassen,
durch welche Verdienste besagter Dichter und Tonsetzer wohl diesen Titel er"


von der Richtung zu dem herrlichen Ziele, dem er stets entgegenstrebte. Es
mußte ja auch ihn, den Menschen, das Menschliche berühren."

So beginnt es dort, und wenn also auch mit Recht in dem besprochenen
Werke nicht die Höhe des Beethoven'schen Genius gefunden wird, dieser selbst
wird doch nach seiner ganzen Würde und Weihe erkannt, und war es nicht
soeben gewesen, daß er sich in der Rissa, solenms und der Neunten Symphonie
auch in seinem vollen Glänze öffentlich gezeigt hatte?

In einer Conversation nach der ersten Akademie im Mai d. I. bittet
der Musikschriftsteller Kann e Beethoven um „einige Blicke in seine Partitur,
um vernünftig zu schreiben", und in Ur. 38 seiner Wiener A. M. Z. beginnt
dann ein langer Bericht, dessen Sinn und Meinen also dem Meister selbst
nicht gar so fern steht. Wir theilen auch daraus Einiges mit, es fällt
bereits in den Sommer, als Beethoven längst wieder still bei seiner Ar¬
beit ist.

„Seine früheren Werke, besonders die Klavier- und Jnstrumentalcompo-
sitionen deuten allein schon mehr oder weniger sein ernstes Streben nach
einer innern, der Freiheit der Phantasie zur Seite gehenden Nothwendigkeit.
Selbst bei einer ans Wunderbare grenzenden Laune und unbegrenztem Streben
nach außen in die abenteuerlichste Form, wacht doch immer seine erhabene
Besonnenheit über den von ihm durchdrungenen Gegenstand und knüpft die
geistige Kette der Nothwendigkeiten und organischen Verwebungen an. So
schuf er seine herrlichen von dem größten Erfindungsgeiste zeugenden Clavier-
compositionen, in denen nicht allein der wahre Geist der Kunst in gediegener
Schönheit sich ausspricht, sondern die auch zugleich den Geist des Zeitalters,
dem sie ihre Entstehung verdanken, auf eine so entschiedene und wirklich ver¬
klärende Art repräsentiren."

Zum Schluß heißt es in Betreff des Eindrucks der Akademie selbst:
„Welcher Fühlende, der in den beiden Tagen der Aufführung gegenwärtig
war und den verklärten Meister an des dirigirenden Capellmeisters Umlauf die
Partitur nachlesen und jede kleine Nüance und Steigerung des Bortrags
doppelt mitempfinden und gleichsam andeuten sah u. s. w. Der berühmte
Beethoven kann diesen Tag als einen seiner schönsten im Leben betrachten,
denn der Enthusiasmus der Zuhörer erreichte nach jedem Tonstücke von seiner
Meisterhand den höchsten denkbaren Grad. Es war ein Tag der Feier für
alle wahren Freunde der Musik."

Noch fügen wir etwas aus der Leipziger A. M. Z. vom August d. I. 1824
bei, das , auch von dem Neffen in den Conversationen berührt wird. Ein
Conzertgeber hatte sich auf seinem Zettel „Ehrenbürger von Wien" genannt,
und so heißt es dort: „Ohne uns in eine weitere Untersuchung einzulassen,
durch welche Verdienste besagter Dichter und Tonsetzer wohl diesen Titel er«


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[0260] von der Richtung zu dem herrlichen Ziele, dem er stets entgegenstrebte. Es mußte ja auch ihn, den Menschen, das Menschliche berühren." So beginnt es dort, und wenn also auch mit Recht in dem besprochenen Werke nicht die Höhe des Beethoven'schen Genius gefunden wird, dieser selbst wird doch nach seiner ganzen Würde und Weihe erkannt, und war es nicht soeben gewesen, daß er sich in der Rissa, solenms und der Neunten Symphonie auch in seinem vollen Glänze öffentlich gezeigt hatte? In einer Conversation nach der ersten Akademie im Mai d. I. bittet der Musikschriftsteller Kann e Beethoven um „einige Blicke in seine Partitur, um vernünftig zu schreiben", und in Ur. 38 seiner Wiener A. M. Z. beginnt dann ein langer Bericht, dessen Sinn und Meinen also dem Meister selbst nicht gar so fern steht. Wir theilen auch daraus Einiges mit, es fällt bereits in den Sommer, als Beethoven längst wieder still bei seiner Ar¬ beit ist. „Seine früheren Werke, besonders die Klavier- und Jnstrumentalcompo- sitionen deuten allein schon mehr oder weniger sein ernstes Streben nach einer innern, der Freiheit der Phantasie zur Seite gehenden Nothwendigkeit. Selbst bei einer ans Wunderbare grenzenden Laune und unbegrenztem Streben nach außen in die abenteuerlichste Form, wacht doch immer seine erhabene Besonnenheit über den von ihm durchdrungenen Gegenstand und knüpft die geistige Kette der Nothwendigkeiten und organischen Verwebungen an. So schuf er seine herrlichen von dem größten Erfindungsgeiste zeugenden Clavier- compositionen, in denen nicht allein der wahre Geist der Kunst in gediegener Schönheit sich ausspricht, sondern die auch zugleich den Geist des Zeitalters, dem sie ihre Entstehung verdanken, auf eine so entschiedene und wirklich ver¬ klärende Art repräsentiren." Zum Schluß heißt es in Betreff des Eindrucks der Akademie selbst: „Welcher Fühlende, der in den beiden Tagen der Aufführung gegenwärtig war und den verklärten Meister an des dirigirenden Capellmeisters Umlauf die Partitur nachlesen und jede kleine Nüance und Steigerung des Bortrags doppelt mitempfinden und gleichsam andeuten sah u. s. w. Der berühmte Beethoven kann diesen Tag als einen seiner schönsten im Leben betrachten, denn der Enthusiasmus der Zuhörer erreichte nach jedem Tonstücke von seiner Meisterhand den höchsten denkbaren Grad. Es war ein Tag der Feier für alle wahren Freunde der Musik." Noch fügen wir etwas aus der Leipziger A. M. Z. vom August d. I. 1824 bei, das , auch von dem Neffen in den Conversationen berührt wird. Ein Conzertgeber hatte sich auf seinem Zettel „Ehrenbürger von Wien" genannt, und so heißt es dort: „Ohne uns in eine weitere Untersuchung einzulassen, durch welche Verdienste besagter Dichter und Tonsetzer wohl diesen Titel er«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/260>, abgerufen am 22.07.2024.