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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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als ich und es wäre ungerecht ihm zu zürnen, wenn du nicht auch mich für
eben so hältst. Für mein Theil werde ich nicht aufhören ihn zu lieben wie
ich meinen Bruder lieben könnte, wenn ich einen hätte." Später beginnt
Beethoven nochmals: "Sobald du wahrnimmst, daß man von Seiten Niemez'
nicht gern so was thue, so laß es sein', denn ohnehin habe ich wenig Zu¬
trauen zu diesen Menschen d. h. daß sie etwas für mich gerne für mich
thun würden." Auch weiterhin kommt die Rede wieder auf diesen Freund,
den der Neffe lebhaft vertheidigt, der Onkel aber durchaus nicht um sich dul¬
den mag.

Er hatte nur zu Recht. War es doch eben dieser Niemetz der "bei
den nachhertgen groben Verirrungen des Neffen eine Rolle spielte". Allein
Beethoven betrachtete das Verhältniß zu dem jetzt 17 jährigen Jünglinge
mehr und mehr als ein "Paetum", d. h. als das Verhältniß der Gleichstellung
und Ebenbürtigkeit. Ja fast in der Kunst selbst steht dieses sein junges
"Fleisch und Blut" ihm näher als die Andern. Nach den Akademien dieses
Frühjahrs lautet eine Conversation: Beeth.: Wie fandest Du denn bei meiner
Musik, daß selbe Andere finden ?" Neffe: "Tiefer, nicht blos auf die Ohren."
Gar aber wo derselbe eigenen Willen oder Gefühl für Ehre zeigt,
ist die väterliche Gewalt sogleich in sich aufgehoben. Gerade dieser nach
einer hohen Anschauung von Würde und Selbstbestimmung geduldete und
Wohl gar gepflegte Unabhängigkeitssinn aber sollte es sein, was bei dem
leichtgeflügelten Naturell dieses Jünglings nicht blos zu schlimmen Aus¬
schweifungen führte, sondern bald auch die offenste Rücksichtslosigkeit gegen den
Oheim und Ernährer selbst hervorbrachte. So sah sich dieser stets aufs neue
gerade da mit schweren Sorgen belastet, wo er der Natur der Sache nach am
meisten Anrecht auf Erleichterung und Verschönerung des Daseins zu haben
glaubte, und dies in um so schönerem Maße, als in ihm selbst mit den Jahren
das reinste aller Menschenbedürfnisse, das der Liebe nur zunahm. Wir wer¬
den davon bald Wirkungen vernehmen, die etwas von der tragischen Peripetie
an sich haben. Hier berühren wir die Sache nur um das rein menschlich
erklärenden Grundes willen, weßhalb nicht allein wie stets mit allem Fleiß
und selbst ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit "geschafft", sondern jetzt
zugleich emsigst nach jedem annehmbaren Erwerb ausgeschaut und geradezu
"gehandelt" ward. Und dies alles in einer Lebenszeit, die sonst beginnt von
den Mühen auszuruhen und von den Früchten zu zehren, und von einem
Künstler der wie nur je einer einzig der Kunst gelebt und den Gewinn von
seinem Schaffen hauptsächlich Anderen überlassen hatte!

So klingt es uns wie Ironie, wenn Ende 1823 als einmal von Che¬
rubini Rede ist, der närrisch geworden sei, weil in einer Preisaufgabe die
Oper eines Andern vorgezogen worden, der Neffe aufschreibt: "Er mag schon


als ich und es wäre ungerecht ihm zu zürnen, wenn du nicht auch mich für
eben so hältst. Für mein Theil werde ich nicht aufhören ihn zu lieben wie
ich meinen Bruder lieben könnte, wenn ich einen hätte." Später beginnt
Beethoven nochmals: „Sobald du wahrnimmst, daß man von Seiten Niemez'
nicht gern so was thue, so laß es sein', denn ohnehin habe ich wenig Zu¬
trauen zu diesen Menschen d. h. daß sie etwas für mich gerne für mich
thun würden." Auch weiterhin kommt die Rede wieder auf diesen Freund,
den der Neffe lebhaft vertheidigt, der Onkel aber durchaus nicht um sich dul¬
den mag.

Er hatte nur zu Recht. War es doch eben dieser Niemetz der „bei
den nachhertgen groben Verirrungen des Neffen eine Rolle spielte". Allein
Beethoven betrachtete das Verhältniß zu dem jetzt 17 jährigen Jünglinge
mehr und mehr als ein „Paetum", d. h. als das Verhältniß der Gleichstellung
und Ebenbürtigkeit. Ja fast in der Kunst selbst steht dieses sein junges
„Fleisch und Blut" ihm näher als die Andern. Nach den Akademien dieses
Frühjahrs lautet eine Conversation: Beeth.: Wie fandest Du denn bei meiner
Musik, daß selbe Andere finden ?" Neffe: „Tiefer, nicht blos auf die Ohren."
Gar aber wo derselbe eigenen Willen oder Gefühl für Ehre zeigt,
ist die väterliche Gewalt sogleich in sich aufgehoben. Gerade dieser nach
einer hohen Anschauung von Würde und Selbstbestimmung geduldete und
Wohl gar gepflegte Unabhängigkeitssinn aber sollte es sein, was bei dem
leichtgeflügelten Naturell dieses Jünglings nicht blos zu schlimmen Aus¬
schweifungen führte, sondern bald auch die offenste Rücksichtslosigkeit gegen den
Oheim und Ernährer selbst hervorbrachte. So sah sich dieser stets aufs neue
gerade da mit schweren Sorgen belastet, wo er der Natur der Sache nach am
meisten Anrecht auf Erleichterung und Verschönerung des Daseins zu haben
glaubte, und dies in um so schönerem Maße, als in ihm selbst mit den Jahren
das reinste aller Menschenbedürfnisse, das der Liebe nur zunahm. Wir wer¬
den davon bald Wirkungen vernehmen, die etwas von der tragischen Peripetie
an sich haben. Hier berühren wir die Sache nur um das rein menschlich
erklärenden Grundes willen, weßhalb nicht allein wie stets mit allem Fleiß
und selbst ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit „geschafft", sondern jetzt
zugleich emsigst nach jedem annehmbaren Erwerb ausgeschaut und geradezu
„gehandelt" ward. Und dies alles in einer Lebenszeit, die sonst beginnt von
den Mühen auszuruhen und von den Früchten zu zehren, und von einem
Künstler der wie nur je einer einzig der Kunst gelebt und den Gewinn von
seinem Schaffen hauptsächlich Anderen überlassen hatte!

So klingt es uns wie Ironie, wenn Ende 1823 als einmal von Che¬
rubini Rede ist, der närrisch geworden sei, weil in einer Preisaufgabe die
Oper eines Andern vorgezogen worden, der Neffe aufschreibt: „Er mag schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/217>, abgerufen am 22.07.2024.