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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Onkel auf dem Lande ist, hat man weit mehr Freiheit und benutzt sie, obwohl
nach seinem eigenen Bericht sein Tageslauf sehr regelmäßig erscheint, wie der
Onkel Johann später erzählt, hauptsächlich zum Spaztergehen. Und noch
ärger war es dem Vormund und Vater, daß der 17 jährige Jüngling jetzt
so ganz dem Einfluß seiner üblen Verwandten preisgegeben war. Er selbst
schreibt am 7. Oct. 1824 von Baden " an Seine Wohlgeboren Hr. Philip
von Haslinger in Wien am Graben in der Paternostergäßlerischen Steiner'schen
Kunsthandlung allda: "Bester. Unser Benjamin ist heute früh schon hier
eingetroffen, weswegen ich 17 und eine halbe Kanone habe abfeuern lassen.
Frühere Begebenheiten ohne seine Schuld et sine in es, culpa haben mich
ängstlich gemacht. Dem Himmel sei Dank, es geht trotz meinen Agitatos
zuweilen alles gut und erwünscht. Es ist kein Wunder bei diesen arm¬
seligen Anstalten, daß man wegen eines sich entwickelnden jungen
Mannes in Angst ist. Dabei dieser vergiftende Athem der Drachen!"

In diesen Tagen in Baden findet denn auch folgende bedeutungsvolle
Conversation ohne Zweifel an einem öffentlichen Orte statt.

Beethoven: "Ich bin mit der Wahl dieses deines Freundes sehr übel
zufrieden. Armuth verdient freilich Theilnahme, jedoch nicht ohne Ausnahme
dabei. Ich möchte ihm nicht gern Unrecht thun, aber er ist mir ein lästiger
Gast, dem es gänzlich an Wohlstand und Anstand fehlt, was doch einiger¬
maßen für wohlgezogene Jünglinge und Männer gehört. Uebrigens habe
ich ihn in Verdacht, daß er es eher mit der Haushälterin als mit mir hält.
Uebrigens liebe ich die Stille, auch der Raum ist hier zu beschränkt für noch
mehrere, da ich ja beständig beschäftigt bin und er für mich gar kein In¬
teresse herbeiziehen kann. -- Du bist noch sehr schwachen Charakters."

Der Neffe sagt, er kenne ihn 4 Jahre, die größte Aehnlichkeit des Cha¬
rakters und der Neigungen habe sie zusammengeführt.

Beethoven: "Ich finde ihn roh und gemein -- und das sind keine
Freunde für mich." Neffe: "Wenn du ihn roh findest, irrst du dich, ich
wüßte wenigstens nicht, daß er dir Gelegenheit gegeben hätte, das zu glauben.
Auch bin ich nicht willens ihn mit einem Andern zu vertauschen, welches ge¬
rade ein Zeichen der Charakterschwäche wäre, die Du mir gewiß mit Unrecht
vorwirfst; denn ich habe von allen Zöglingen bei Bl lahlinger) keinen ge"
funden, der mir meinen oft traurigen Aufenthalt daselbst erleichtert hätte
als ihn, und ich glaube ihm also wenigstens Dank schuldig zu sein."
Beethoven: "Du bist noch nicht im Stande zu sichten". Neffe: "Es ist wohl
unnütz über einen Gegenstand, zumal über einen Charakter zu streiten, wo¬
rüber ich meine Ueberzeugung nie aufgeben werde, solange ich mich selbst
nicht für einen schlechten Menschen halten werde; denn ist ja
etwas Gutes an mir, so besitzt er's gewiß wenigstens in eben so hohem Grade


Onkel auf dem Lande ist, hat man weit mehr Freiheit und benutzt sie, obwohl
nach seinem eigenen Bericht sein Tageslauf sehr regelmäßig erscheint, wie der
Onkel Johann später erzählt, hauptsächlich zum Spaztergehen. Und noch
ärger war es dem Vormund und Vater, daß der 17 jährige Jüngling jetzt
so ganz dem Einfluß seiner üblen Verwandten preisgegeben war. Er selbst
schreibt am 7. Oct. 1824 von Baden „ an Seine Wohlgeboren Hr. Philip
von Haslinger in Wien am Graben in der Paternostergäßlerischen Steiner'schen
Kunsthandlung allda: „Bester. Unser Benjamin ist heute früh schon hier
eingetroffen, weswegen ich 17 und eine halbe Kanone habe abfeuern lassen.
Frühere Begebenheiten ohne seine Schuld et sine in es, culpa haben mich
ängstlich gemacht. Dem Himmel sei Dank, es geht trotz meinen Agitatos
zuweilen alles gut und erwünscht. Es ist kein Wunder bei diesen arm¬
seligen Anstalten, daß man wegen eines sich entwickelnden jungen
Mannes in Angst ist. Dabei dieser vergiftende Athem der Drachen!"

In diesen Tagen in Baden findet denn auch folgende bedeutungsvolle
Conversation ohne Zweifel an einem öffentlichen Orte statt.

Beethoven: „Ich bin mit der Wahl dieses deines Freundes sehr übel
zufrieden. Armuth verdient freilich Theilnahme, jedoch nicht ohne Ausnahme
dabei. Ich möchte ihm nicht gern Unrecht thun, aber er ist mir ein lästiger
Gast, dem es gänzlich an Wohlstand und Anstand fehlt, was doch einiger¬
maßen für wohlgezogene Jünglinge und Männer gehört. Uebrigens habe
ich ihn in Verdacht, daß er es eher mit der Haushälterin als mit mir hält.
Uebrigens liebe ich die Stille, auch der Raum ist hier zu beschränkt für noch
mehrere, da ich ja beständig beschäftigt bin und er für mich gar kein In¬
teresse herbeiziehen kann. — Du bist noch sehr schwachen Charakters."

Der Neffe sagt, er kenne ihn 4 Jahre, die größte Aehnlichkeit des Cha¬
rakters und der Neigungen habe sie zusammengeführt.

Beethoven: „Ich finde ihn roh und gemein — und das sind keine
Freunde für mich." Neffe: „Wenn du ihn roh findest, irrst du dich, ich
wüßte wenigstens nicht, daß er dir Gelegenheit gegeben hätte, das zu glauben.
Auch bin ich nicht willens ihn mit einem Andern zu vertauschen, welches ge¬
rade ein Zeichen der Charakterschwäche wäre, die Du mir gewiß mit Unrecht
vorwirfst; denn ich habe von allen Zöglingen bei Bl lahlinger) keinen ge"
funden, der mir meinen oft traurigen Aufenthalt daselbst erleichtert hätte
als ihn, und ich glaube ihm also wenigstens Dank schuldig zu sein."
Beethoven: „Du bist noch nicht im Stande zu sichten". Neffe: „Es ist wohl
unnütz über einen Gegenstand, zumal über einen Charakter zu streiten, wo¬
rüber ich meine Ueberzeugung nie aufgeben werde, solange ich mich selbst
nicht für einen schlechten Menschen halten werde; denn ist ja
etwas Gutes an mir, so besitzt er's gewiß wenigstens in eben so hohem Grade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/216>, abgerufen am 22.07.2024.