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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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ein wahrhaft überirdisches Vermögen der Erhebung zum freiesten Schauen
ankündigte!

Wie viel aber auch von diesen beiden Werken schon vorempfunden war
und seinen Styl mit der Weise vor Vollendung der Neunten Symphonie,
namentlich des Freudensinales theilt, -- die eigentliche Ausarbeitung beider
Quartette mit der Ausprägung des innewohnenden Gehalts ihrer Motive
gehört diesem Zeitraum vom Sommer 1824 bis dahin 1825 an. Wie denn
auch der im Besitz P. Mendelsohn's befindliche 1. Satz von Op. 127 eigen¬
händig besagt: "geschrieben 1824" und Op. 132, ebenfalls dort befindlich,
betitelt ist: "2tes Quartes 1825 von L v Bon." Wir haben also jetzt zu
den Begebenheiten dieses Jahres 1824 überzugehen und nachzusehen, wie der
Meister zu dem Beginn dieser ebenso innerlichst versöhnenden wie ernst¬
gemeinten Schlußarbeit seines Lebens sich zurecht setzt und sie vollendet.

Zunächst und vor allem nach den Anstrengungen und Aufregungen des
Winters handelt es sich um einen entsprechenden Landaufenthalt. Nur
am Busen der unendlichen Natur stimmte diese Seele sich völlig zu sich selbst
zurück.

Schon während der Plackereien mit der Akademie im April und Mai
hatte, wie der bekannte Neffe Beethoven's aufschreibt, Bruder Johann den
Vorschlag gemacht, Beethovensolle "die 4 Monathe" auf seinem Gute Gneixen-
dorf bei Krems an der Donau zubringen. Dabei erfahren wir, daß da
Zimmer zugebote standen, "sehr schön hoch und groß, alles gut ein¬
gerichtet." Die Gegend sei herrlich, eine eisenhaltige Quelle sei da und ein
"Hausbad". Allein obgleich es dabei heißt, die Frau werde nur als Wirt¬
schafterin angesehen und arbeite, sie sei ganz gezähmt und habe versprochen
sich ganz ordentlich zu betragen, ja obwohl Johann selbst drollig und be¬
zeichnend genug aufschreibt: "Wer soll die Wahns' besorgen, wer soll unsere
Launen ertragen?" so galt doch das "von xossibilö per me", das Beethoven
einmal von diesem Vorschlag gebraucht, jetzt mehr denn je. Waren doch ge¬
rade in dieser Zeit die üblen Geschichten mit jener Frau zu ihrem Höhepunkt
gediehen, und es trifft auch jetzt schon zu. was im nächsten Jahre Beethoven
selbst dem Neffen zuruft: "Gott ist mein Zeuge, ich träume nur, von dir
von diesem elenden Bruder und dieser mir zugeschusterten abscheulichen Familie,
gänzlich entfernt zu sein." Es mußten absolut zwingende Umstände eintreten,
ehe Beethoven hier das "non poZÄbilo" überwand. Und dann? -- Seine
Empfindung hatte ihn nicht getäuscht, die persönliche Berührung mit dieser
Sphäre sollte ihre vorgeahnten Wirkungen nicht fehlen, sie trug viel zu seinem
frühzeitigen Ende bei.

Jetzt hatte sich bereits eine freundliche Wohnung in dem damals noch
völlig ländlichen Penzing nah der Wien gefunden, und er hoffte, in dem


ein wahrhaft überirdisches Vermögen der Erhebung zum freiesten Schauen
ankündigte!

Wie viel aber auch von diesen beiden Werken schon vorempfunden war
und seinen Styl mit der Weise vor Vollendung der Neunten Symphonie,
namentlich des Freudensinales theilt, — die eigentliche Ausarbeitung beider
Quartette mit der Ausprägung des innewohnenden Gehalts ihrer Motive
gehört diesem Zeitraum vom Sommer 1824 bis dahin 1825 an. Wie denn
auch der im Besitz P. Mendelsohn's befindliche 1. Satz von Op. 127 eigen¬
händig besagt: „geschrieben 1824" und Op. 132, ebenfalls dort befindlich,
betitelt ist: „2tes Quartes 1825 von L v Bon." Wir haben also jetzt zu
den Begebenheiten dieses Jahres 1824 überzugehen und nachzusehen, wie der
Meister zu dem Beginn dieser ebenso innerlichst versöhnenden wie ernst¬
gemeinten Schlußarbeit seines Lebens sich zurecht setzt und sie vollendet.

Zunächst und vor allem nach den Anstrengungen und Aufregungen des
Winters handelt es sich um einen entsprechenden Landaufenthalt. Nur
am Busen der unendlichen Natur stimmte diese Seele sich völlig zu sich selbst
zurück.

Schon während der Plackereien mit der Akademie im April und Mai
hatte, wie der bekannte Neffe Beethoven's aufschreibt, Bruder Johann den
Vorschlag gemacht, Beethovensolle „die 4 Monathe" auf seinem Gute Gneixen-
dorf bei Krems an der Donau zubringen. Dabei erfahren wir, daß da
Zimmer zugebote standen, „sehr schön hoch und groß, alles gut ein¬
gerichtet." Die Gegend sei herrlich, eine eisenhaltige Quelle sei da und ein
»Hausbad". Allein obgleich es dabei heißt, die Frau werde nur als Wirt¬
schafterin angesehen und arbeite, sie sei ganz gezähmt und habe versprochen
sich ganz ordentlich zu betragen, ja obwohl Johann selbst drollig und be¬
zeichnend genug aufschreibt: „Wer soll die Wahns' besorgen, wer soll unsere
Launen ertragen?" so galt doch das „von xossibilö per me", das Beethoven
einmal von diesem Vorschlag gebraucht, jetzt mehr denn je. Waren doch ge¬
rade in dieser Zeit die üblen Geschichten mit jener Frau zu ihrem Höhepunkt
gediehen, und es trifft auch jetzt schon zu. was im nächsten Jahre Beethoven
selbst dem Neffen zuruft: „Gott ist mein Zeuge, ich träume nur, von dir
von diesem elenden Bruder und dieser mir zugeschusterten abscheulichen Familie,
gänzlich entfernt zu sein." Es mußten absolut zwingende Umstände eintreten,
ehe Beethoven hier das „non poZÄbilo" überwand. Und dann? — Seine
Empfindung hatte ihn nicht getäuscht, die persönliche Berührung mit dieser
Sphäre sollte ihre vorgeahnten Wirkungen nicht fehlen, sie trug viel zu seinem
frühzeitigen Ende bei.

Jetzt hatte sich bereits eine freundliche Wohnung in dem damals noch
völlig ländlichen Penzing nah der Wien gefunden, und er hoffte, in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/209>, abgerufen am 25.08.2024.