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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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werbliche Verdienst, so hat die Familie aus der Landwirthschaft wenigstens
das Nöthige, um sich vor Mangel zu schützen.

7. Durch die Hausindustrie kann die Thätigkeit sämmtlicher Familien¬
mitglieder, auch der Kinder und Greise besser ausgenützt werden. Bei ihrem
regen Nachahmungstrieb lernen die Kinder schon von der frühesten Zeit an
spielend die nöthige Fertigkeit und können schon früh anfangen, in ihren von
den Schulpflichten freien Stunden zum Verdienste der Familie beizutragen.
Trotz der in der Schweiz strenge eingehaltenen Schulpflicht ermöglichen es
Kinder von zehn bis zwölf Jahren schon täglich 40 bis 80 Pfennige zu ver¬
dienen. Statt einer Last, sind dort Großeltern oder kränkliche Verwandte
eher von Vortheil, weil sie die kleinen Kinder überwachen und die leichteren
Haushaltungsarbeiten besorgen können, während die Hausfrau im Felde,
Garten oder in der Werkstätte mithilft. Die schwierigeren landwirtschaft¬
lichen Arbeiten werden von den männlichen Mitgliedern der Familie ver¬
richtet, bei der Ernte helfen alle Hände zusammen, während der Regen die
Werkstätte bevölkert.

8. Ein wesentlicher Vortheil besteht in der außerordentlichen technischen
Geschicklichkeit, welche sich eine solche Bevölkerung, bei der eine Hausindustrie
eingebürgert ist, von Jugend auf durch das tägliche Beispiel unmerklich er¬
worben und die von Geschlecht zu Geschlecht weiter vervollkommnet wird. Die
gewerbliche Fertigkeit geht da gleich der Sprache spielend von den Eltern auf
die Kinder über und wird ohne Lehrgeld unter der Bevölkerung ganzer Ge¬
genden verbreitet, während junge Leute, die aus einer anderen Sphäre hinein¬
kommen, dieselbe Uebung sich nur mit vieler Mühe, mit großem Zeit- und
Kostenaufwand aneignen.

9. Der Hauptvortheil der Großindustrie, die Theilung der Arbeit, kann
bei der Hausindustrie in eben so großem, vielleicht noch in größerem Maße
durchgeführt werden, als in großen geschlossenen Anstalten.

10. Der Arbeitsertrag erhält eine größere Stetigkeit, was sowohl für die
Arbeiter als für die Arbeitgeber von Nutzen ist. Durch die feste Ansässigkeit
der Arbeiter wird ihr Interesse enger mit dem des Unternehmers verknüpft.
Sie werden nicht gereizt, in günstigen Conjuncturen zu hohe Forderungen zu
stellen, weil der Unternehmer sie in ihrem Hause aufsucht und es schwer ist
ein neues Verhältniß anzuknüpfen, wenn das eine plötzlich gelöst wird. Auf
der anderen Seite sind die Hausindustriellen durch ihre landwirtschaftlichen
Borräthe vor dem Leos bewahrt, von der Hand in den Mund zu leben
und deshalb nicht genöthigt in unbillige Forderungen der Arbeitgeber zu
willigen.

11. Da die Hausarbeiter nur nach dem Stück bezahlt werden können, so


werbliche Verdienst, so hat die Familie aus der Landwirthschaft wenigstens
das Nöthige, um sich vor Mangel zu schützen.

7. Durch die Hausindustrie kann die Thätigkeit sämmtlicher Familien¬
mitglieder, auch der Kinder und Greise besser ausgenützt werden. Bei ihrem
regen Nachahmungstrieb lernen die Kinder schon von der frühesten Zeit an
spielend die nöthige Fertigkeit und können schon früh anfangen, in ihren von
den Schulpflichten freien Stunden zum Verdienste der Familie beizutragen.
Trotz der in der Schweiz strenge eingehaltenen Schulpflicht ermöglichen es
Kinder von zehn bis zwölf Jahren schon täglich 40 bis 80 Pfennige zu ver¬
dienen. Statt einer Last, sind dort Großeltern oder kränkliche Verwandte
eher von Vortheil, weil sie die kleinen Kinder überwachen und die leichteren
Haushaltungsarbeiten besorgen können, während die Hausfrau im Felde,
Garten oder in der Werkstätte mithilft. Die schwierigeren landwirtschaft¬
lichen Arbeiten werden von den männlichen Mitgliedern der Familie ver¬
richtet, bei der Ernte helfen alle Hände zusammen, während der Regen die
Werkstätte bevölkert.

8. Ein wesentlicher Vortheil besteht in der außerordentlichen technischen
Geschicklichkeit, welche sich eine solche Bevölkerung, bei der eine Hausindustrie
eingebürgert ist, von Jugend auf durch das tägliche Beispiel unmerklich er¬
worben und die von Geschlecht zu Geschlecht weiter vervollkommnet wird. Die
gewerbliche Fertigkeit geht da gleich der Sprache spielend von den Eltern auf
die Kinder über und wird ohne Lehrgeld unter der Bevölkerung ganzer Ge¬
genden verbreitet, während junge Leute, die aus einer anderen Sphäre hinein¬
kommen, dieselbe Uebung sich nur mit vieler Mühe, mit großem Zeit- und
Kostenaufwand aneignen.

9. Der Hauptvortheil der Großindustrie, die Theilung der Arbeit, kann
bei der Hausindustrie in eben so großem, vielleicht noch in größerem Maße
durchgeführt werden, als in großen geschlossenen Anstalten.

10. Der Arbeitsertrag erhält eine größere Stetigkeit, was sowohl für die
Arbeiter als für die Arbeitgeber von Nutzen ist. Durch die feste Ansässigkeit
der Arbeiter wird ihr Interesse enger mit dem des Unternehmers verknüpft.
Sie werden nicht gereizt, in günstigen Conjuncturen zu hohe Forderungen zu
stellen, weil der Unternehmer sie in ihrem Hause aufsucht und es schwer ist
ein neues Verhältniß anzuknüpfen, wenn das eine plötzlich gelöst wird. Auf
der anderen Seite sind die Hausindustriellen durch ihre landwirtschaftlichen
Borräthe vor dem Leos bewahrt, von der Hand in den Mund zu leben
und deshalb nicht genöthigt in unbillige Forderungen der Arbeitgeber zu
willigen.

11. Da die Hausarbeiter nur nach dem Stück bezahlt werden können, so


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[0199] werbliche Verdienst, so hat die Familie aus der Landwirthschaft wenigstens das Nöthige, um sich vor Mangel zu schützen. 7. Durch die Hausindustrie kann die Thätigkeit sämmtlicher Familien¬ mitglieder, auch der Kinder und Greise besser ausgenützt werden. Bei ihrem regen Nachahmungstrieb lernen die Kinder schon von der frühesten Zeit an spielend die nöthige Fertigkeit und können schon früh anfangen, in ihren von den Schulpflichten freien Stunden zum Verdienste der Familie beizutragen. Trotz der in der Schweiz strenge eingehaltenen Schulpflicht ermöglichen es Kinder von zehn bis zwölf Jahren schon täglich 40 bis 80 Pfennige zu ver¬ dienen. Statt einer Last, sind dort Großeltern oder kränkliche Verwandte eher von Vortheil, weil sie die kleinen Kinder überwachen und die leichteren Haushaltungsarbeiten besorgen können, während die Hausfrau im Felde, Garten oder in der Werkstätte mithilft. Die schwierigeren landwirtschaft¬ lichen Arbeiten werden von den männlichen Mitgliedern der Familie ver¬ richtet, bei der Ernte helfen alle Hände zusammen, während der Regen die Werkstätte bevölkert. 8. Ein wesentlicher Vortheil besteht in der außerordentlichen technischen Geschicklichkeit, welche sich eine solche Bevölkerung, bei der eine Hausindustrie eingebürgert ist, von Jugend auf durch das tägliche Beispiel unmerklich er¬ worben und die von Geschlecht zu Geschlecht weiter vervollkommnet wird. Die gewerbliche Fertigkeit geht da gleich der Sprache spielend von den Eltern auf die Kinder über und wird ohne Lehrgeld unter der Bevölkerung ganzer Ge¬ genden verbreitet, während junge Leute, die aus einer anderen Sphäre hinein¬ kommen, dieselbe Uebung sich nur mit vieler Mühe, mit großem Zeit- und Kostenaufwand aneignen. 9. Der Hauptvortheil der Großindustrie, die Theilung der Arbeit, kann bei der Hausindustrie in eben so großem, vielleicht noch in größerem Maße durchgeführt werden, als in großen geschlossenen Anstalten. 10. Der Arbeitsertrag erhält eine größere Stetigkeit, was sowohl für die Arbeiter als für die Arbeitgeber von Nutzen ist. Durch die feste Ansässigkeit der Arbeiter wird ihr Interesse enger mit dem des Unternehmers verknüpft. Sie werden nicht gereizt, in günstigen Conjuncturen zu hohe Forderungen zu stellen, weil der Unternehmer sie in ihrem Hause aufsucht und es schwer ist ein neues Verhältniß anzuknüpfen, wenn das eine plötzlich gelöst wird. Auf der anderen Seite sind die Hausindustriellen durch ihre landwirtschaftlichen Borräthe vor dem Leos bewahrt, von der Hand in den Mund zu leben und deshalb nicht genöthigt in unbillige Forderungen der Arbeitgeber zu willigen. 11. Da die Hausarbeiter nur nach dem Stück bezahlt werden können, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/199>, abgerufen am 22.07.2024.