Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

begreifen, welche fruchtbaren Keime eine Regierung in ihr Land legen kann,
wenn sie seiner Bevölkerung die bewährten gewerblichen Erfahrungen aller
civUisirten Nationen sammelt und zugängig macht. Die Wahl des für eine
Gegend passenden Geschäftszweiges der neuen Hausindustrie muß einzelnen
Unternehmern oder Menschenfreunden überlassen werden, allein die Bildungs¬
mittel müssen vom Staat und der Gemeinde geboten werden, die Anregung
Muß von oben ausgehen.

Wir haben schon vor einem Jahr den Gedanken angeregt, wie nützlich
ein Lesebuch für die Gewerbeschulen oder sogar für die Volksschulen sein
würde, welches das Wesen der neuen Hausindustrie darlegen und damit die
Schilderung der hauptsächlichsten bereits glücklich durchgeführten Hausindustrien
in den verschiedenen Ländern Europas verknüpfen würde. Würde man damit
die Schilderung der Laufbahn einiger großer Erfinder verflechten, die sich von
der Pike auf emporgeschwungen -- Vorbilder wie sie Sinnes den Englän¬
dern geliefert hat*) -- wer weiß wie manches schlummernde industrielle
Genie durch solche Beispiele geweckt, erzogen und zu selbständigen Erfindungen
und Unternehmungen gebracht, oder zur Einführung von Hausindustrien ver¬
anlaßt werden könnte. War doch der Begründer der Uhrenindustrie im Jura
ein armer Bauernsohn! Wurde nicht erst in neuerer Zeit die Wiener Hut-,
Schuh- und Kleiderfabrikation von kleinen Leuten zur Exportindustrie auf
dem Weltmarkt erhoben? Nichts senkt fruchtbareren Samen in den Geist des
Kindes als vorausleuchtende Beispiele.

Fassen wir das Wesen der neuen Hausindustrie zusammen so erhalten
Wir folgendes Bild:

1. Dieselbe zerfällt in Gewerbe, welche in den Städten, und in solche
welche auf dem Lande betrieben werden.

2. Bei beiden Gattungen sind es entweder große Fabrikanten oder Gro߬
händler, welche die Unternehmungen für eigene Rechnung führen.

3. Die ersteren lassen entweder nur Theile ihrer Erzeugnisse von den
Arbeitern zu Hause anfertigen und verwenden dieselben dann zur Vervoll¬
ständigung der in ihren geschlossenen Etablissements mittelst Maschine ange¬
fertigten Theile oder sie setzen die von den Arbeitern zu Hause gemachten
Theile in ihren Anstalten zusammen. In dem einen Fall liefern sie das
Material, in dem anderen seltneren überlassen sie auch die Besorgung des
Materiales den Arbeitern. Bei der Uhrenindustrie im Jura z. B. beschäf¬
tigen sich die Fabrikanten und Großhändler in der Regel nur mit der Zu-



Daß diese Idee nicht isolirt dasteht, zeigt der Umstand, daß das Buch von Sinnes
bereits in fast alle europäischen Sprachen übersetzt ist.
Grenzboten IV. 1875. 25

begreifen, welche fruchtbaren Keime eine Regierung in ihr Land legen kann,
wenn sie seiner Bevölkerung die bewährten gewerblichen Erfahrungen aller
civUisirten Nationen sammelt und zugängig macht. Die Wahl des für eine
Gegend passenden Geschäftszweiges der neuen Hausindustrie muß einzelnen
Unternehmern oder Menschenfreunden überlassen werden, allein die Bildungs¬
mittel müssen vom Staat und der Gemeinde geboten werden, die Anregung
Muß von oben ausgehen.

Wir haben schon vor einem Jahr den Gedanken angeregt, wie nützlich
ein Lesebuch für die Gewerbeschulen oder sogar für die Volksschulen sein
würde, welches das Wesen der neuen Hausindustrie darlegen und damit die
Schilderung der hauptsächlichsten bereits glücklich durchgeführten Hausindustrien
in den verschiedenen Ländern Europas verknüpfen würde. Würde man damit
die Schilderung der Laufbahn einiger großer Erfinder verflechten, die sich von
der Pike auf emporgeschwungen — Vorbilder wie sie Sinnes den Englän¬
dern geliefert hat*) — wer weiß wie manches schlummernde industrielle
Genie durch solche Beispiele geweckt, erzogen und zu selbständigen Erfindungen
und Unternehmungen gebracht, oder zur Einführung von Hausindustrien ver¬
anlaßt werden könnte. War doch der Begründer der Uhrenindustrie im Jura
ein armer Bauernsohn! Wurde nicht erst in neuerer Zeit die Wiener Hut-,
Schuh- und Kleiderfabrikation von kleinen Leuten zur Exportindustrie auf
dem Weltmarkt erhoben? Nichts senkt fruchtbareren Samen in den Geist des
Kindes als vorausleuchtende Beispiele.

Fassen wir das Wesen der neuen Hausindustrie zusammen so erhalten
Wir folgendes Bild:

1. Dieselbe zerfällt in Gewerbe, welche in den Städten, und in solche
welche auf dem Lande betrieben werden.

2. Bei beiden Gattungen sind es entweder große Fabrikanten oder Gro߬
händler, welche die Unternehmungen für eigene Rechnung führen.

3. Die ersteren lassen entweder nur Theile ihrer Erzeugnisse von den
Arbeitern zu Hause anfertigen und verwenden dieselben dann zur Vervoll¬
ständigung der in ihren geschlossenen Etablissements mittelst Maschine ange¬
fertigten Theile oder sie setzen die von den Arbeitern zu Hause gemachten
Theile in ihren Anstalten zusammen. In dem einen Fall liefern sie das
Material, in dem anderen seltneren überlassen sie auch die Besorgung des
Materiales den Arbeitern. Bei der Uhrenindustrie im Jura z. B. beschäf¬
tigen sich die Fabrikanten und Großhändler in der Regel nur mit der Zu-



Daß diese Idee nicht isolirt dasteht, zeigt der Umstand, daß das Buch von Sinnes
bereits in fast alle europäischen Sprachen übersetzt ist.
Grenzboten IV. 1875. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134543"/>
          <p xml:id="ID_581" prev="#ID_580"> begreifen, welche fruchtbaren Keime eine Regierung in ihr Land legen kann,<lb/>
wenn sie seiner Bevölkerung die bewährten gewerblichen Erfahrungen aller<lb/>
civUisirten Nationen sammelt und zugängig macht. Die Wahl des für eine<lb/>
Gegend passenden Geschäftszweiges der neuen Hausindustrie muß einzelnen<lb/>
Unternehmern oder Menschenfreunden überlassen werden, allein die Bildungs¬<lb/>
mittel müssen vom Staat und der Gemeinde geboten werden, die Anregung<lb/>
Muß von oben ausgehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_582"> Wir haben schon vor einem Jahr den Gedanken angeregt, wie nützlich<lb/>
ein Lesebuch für die Gewerbeschulen oder sogar für die Volksschulen sein<lb/>
würde, welches das Wesen der neuen Hausindustrie darlegen und damit die<lb/>
Schilderung der hauptsächlichsten bereits glücklich durchgeführten Hausindustrien<lb/>
in den verschiedenen Ländern Europas verknüpfen würde. Würde man damit<lb/>
die Schilderung der Laufbahn einiger großer Erfinder verflechten, die sich von<lb/>
der Pike auf emporgeschwungen &#x2014; Vorbilder wie sie Sinnes den Englän¬<lb/>
dern geliefert hat*) &#x2014; wer weiß wie manches schlummernde industrielle<lb/>
Genie durch solche Beispiele geweckt, erzogen und zu selbständigen Erfindungen<lb/>
und Unternehmungen gebracht, oder zur Einführung von Hausindustrien ver¬<lb/>
anlaßt werden könnte. War doch der Begründer der Uhrenindustrie im Jura<lb/>
ein armer Bauernsohn! Wurde nicht erst in neuerer Zeit die Wiener Hut-,<lb/>
Schuh- und Kleiderfabrikation von kleinen Leuten zur Exportindustrie auf<lb/>
dem Weltmarkt erhoben? Nichts senkt fruchtbareren Samen in den Geist des<lb/>
Kindes als vorausleuchtende Beispiele.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_583"> Fassen wir das Wesen der neuen Hausindustrie zusammen so erhalten<lb/>
Wir folgendes Bild:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> 1. Dieselbe zerfällt in Gewerbe, welche in den Städten, und in solche<lb/>
welche auf dem Lande betrieben werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_585"> 2. Bei beiden Gattungen sind es entweder große Fabrikanten oder Gro߬<lb/>
händler, welche die Unternehmungen für eigene Rechnung führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586" next="#ID_587"> 3. Die ersteren lassen entweder nur Theile ihrer Erzeugnisse von den<lb/>
Arbeitern zu Hause anfertigen und verwenden dieselben dann zur Vervoll¬<lb/>
ständigung der in ihren geschlossenen Etablissements mittelst Maschine ange¬<lb/>
fertigten Theile oder sie setzen die von den Arbeitern zu Hause gemachten<lb/>
Theile in ihren Anstalten zusammen. In dem einen Fall liefern sie das<lb/>
Material, in dem anderen seltneren überlassen sie auch die Besorgung des<lb/>
Materiales den Arbeitern. Bei der Uhrenindustrie im Jura z. B. beschäf¬<lb/>
tigen sich die Fabrikanten und Großhändler in der Regel nur mit der Zu-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_90" place="foot"> Daß diese Idee nicht isolirt dasteht, zeigt der Umstand, daß das Buch von Sinnes<lb/>
bereits in fast alle europäischen Sprachen übersetzt ist.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1875. 25</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0197] begreifen, welche fruchtbaren Keime eine Regierung in ihr Land legen kann, wenn sie seiner Bevölkerung die bewährten gewerblichen Erfahrungen aller civUisirten Nationen sammelt und zugängig macht. Die Wahl des für eine Gegend passenden Geschäftszweiges der neuen Hausindustrie muß einzelnen Unternehmern oder Menschenfreunden überlassen werden, allein die Bildungs¬ mittel müssen vom Staat und der Gemeinde geboten werden, die Anregung Muß von oben ausgehen. Wir haben schon vor einem Jahr den Gedanken angeregt, wie nützlich ein Lesebuch für die Gewerbeschulen oder sogar für die Volksschulen sein würde, welches das Wesen der neuen Hausindustrie darlegen und damit die Schilderung der hauptsächlichsten bereits glücklich durchgeführten Hausindustrien in den verschiedenen Ländern Europas verknüpfen würde. Würde man damit die Schilderung der Laufbahn einiger großer Erfinder verflechten, die sich von der Pike auf emporgeschwungen — Vorbilder wie sie Sinnes den Englän¬ dern geliefert hat*) — wer weiß wie manches schlummernde industrielle Genie durch solche Beispiele geweckt, erzogen und zu selbständigen Erfindungen und Unternehmungen gebracht, oder zur Einführung von Hausindustrien ver¬ anlaßt werden könnte. War doch der Begründer der Uhrenindustrie im Jura ein armer Bauernsohn! Wurde nicht erst in neuerer Zeit die Wiener Hut-, Schuh- und Kleiderfabrikation von kleinen Leuten zur Exportindustrie auf dem Weltmarkt erhoben? Nichts senkt fruchtbareren Samen in den Geist des Kindes als vorausleuchtende Beispiele. Fassen wir das Wesen der neuen Hausindustrie zusammen so erhalten Wir folgendes Bild: 1. Dieselbe zerfällt in Gewerbe, welche in den Städten, und in solche welche auf dem Lande betrieben werden. 2. Bei beiden Gattungen sind es entweder große Fabrikanten oder Gro߬ händler, welche die Unternehmungen für eigene Rechnung führen. 3. Die ersteren lassen entweder nur Theile ihrer Erzeugnisse von den Arbeitern zu Hause anfertigen und verwenden dieselben dann zur Vervoll¬ ständigung der in ihren geschlossenen Etablissements mittelst Maschine ange¬ fertigten Theile oder sie setzen die von den Arbeitern zu Hause gemachten Theile in ihren Anstalten zusammen. In dem einen Fall liefern sie das Material, in dem anderen seltneren überlassen sie auch die Besorgung des Materiales den Arbeitern. Bei der Uhrenindustrie im Jura z. B. beschäf¬ tigen sich die Fabrikanten und Großhändler in der Regel nur mit der Zu- Daß diese Idee nicht isolirt dasteht, zeigt der Umstand, daß das Buch von Sinnes bereits in fast alle europäischen Sprachen übersetzt ist. Grenzboten IV. 1875. 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/197>, abgerufen am 24.08.2024.