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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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kann als ausgemacht festgestellt werden, daß es sich nicht um eine Hiero¬
glyphe, eine Geheimschrift, sondern um ein Handzeichen handelt: das ist ein
Document über die Urheberschaft, welches auf dem Werke selbst eingehauen
wird. Dies geschieht einmal zum Zwecke der Abrechnung, sodann aber auch,
damit das Werk -den Meister lobe.

Die Marke vertritt das schriftliche Handzeichen , welches jetzt maßgebend
ist, das aber nicht allein eine allgemeine Verbreitung der Schreibekunst, son¬
dern auch eine so reichliche Uebung derselben voraussetzt, daß bestimmte sich
gleichbleibende Handschriften entstehen. So kann in den Städten weder der
Patrizier, noch der geringste Handwerker, auf dem Lande wenigstens kein
Stellenbesitzer der Marke entbehren. Auch Geistliche, Gelehrte, Kaufleute,
Frauen, selbst juristische Personen führen sie. -- Ich mache auf ein berühmtes
Bild Holbein's (Berliner Museum 586), welches einen reichen Kaufmann vor¬
stellt, aufmerksam. Hier sind die Briefe, die der Kaufmann theils in der Hand
hält, theils hinter die Wandleiste gesteckt hat, auf der Adressenseite mit einem
Zeichen versehen, welches durchaus jenem der Steinmetzen gleicht. -- Ebenda¬
selbst zeigt uns ein Bild Niederländer Schule (558) das Innere eines öffent¬
lichen Hauses. An der Wand befinden sich die angekreideten Zechen in noch jetzt
üblicher Form und eine Menge solcher Zeichen, die man Steinmetzzeichen zu nennen
pflegt. Wie also jetzt Narrenhände mit Namen Tisch und Wände beschmieren,
so geschah es damals mit der Marke, dem Namenzeichen.

Man kann eine doppelte Art von Steinmetzzeichen unterscheiden. Bis
zum Schluß des vierzehnten Jahrhunderts bestehen sie aus Buchstaben, Kreuzen,
Dreiecken, Eicheln, Sternen, Bundschuhen und einfachen geometrischen Figuren-
Von da an bemerkt man nur noch Zeichen, die aus kreuzweise oder schräg
zusammengestellten Linien bestehen. Auch in der Technik ist ein Unterschied.
Die ersteren sind "gerade gesetzt", d. h. mit senkrecht gestelltem Meißel tief ein¬
geschlagen, die letztern sind "schräg gesetzt", so daß die vertieften Seitenflächen
sich in einem Winkel treffen. Die Enden der Linien haben einen etwas stärker
vertieften Drucker.

Dies Zeichen also ist es, um welches es sich bei der Lossprechung der Diener
handelt. Folgendes sind die hierher gehörigen Bestimmungen. Es soll ein
Meister dem Diener das Zeichen nicht länger vorenthalten als vierzehn Tage,
es sei denn, daß der Diener dem Meister etliche Zeit versäumt hätte. Es ist
mit der Uebergabe des Zeichens eine gottesdienstliche Handlung, jedenfalls
Messe verbunden. Der Meister lädt den Geistlichen und höchstens zehn Ge¬
sellen -- wenn nicht der Diener höher hinauf will, was ihm freisteht -- zum
Mahle. Es werden dazu geliefert für einen Pfennig Semmeln, für 15 Groschen
(Pfennige?) Brod und 15 Groschen (?) Fleisch und zwei Stübchen Wein-
Nunmehr kann der neue Geselle wandern, wenn ihm der Meister nicht selbst


kann als ausgemacht festgestellt werden, daß es sich nicht um eine Hiero¬
glyphe, eine Geheimschrift, sondern um ein Handzeichen handelt: das ist ein
Document über die Urheberschaft, welches auf dem Werke selbst eingehauen
wird. Dies geschieht einmal zum Zwecke der Abrechnung, sodann aber auch,
damit das Werk -den Meister lobe.

Die Marke vertritt das schriftliche Handzeichen , welches jetzt maßgebend
ist, das aber nicht allein eine allgemeine Verbreitung der Schreibekunst, son¬
dern auch eine so reichliche Uebung derselben voraussetzt, daß bestimmte sich
gleichbleibende Handschriften entstehen. So kann in den Städten weder der
Patrizier, noch der geringste Handwerker, auf dem Lande wenigstens kein
Stellenbesitzer der Marke entbehren. Auch Geistliche, Gelehrte, Kaufleute,
Frauen, selbst juristische Personen führen sie. — Ich mache auf ein berühmtes
Bild Holbein's (Berliner Museum 586), welches einen reichen Kaufmann vor¬
stellt, aufmerksam. Hier sind die Briefe, die der Kaufmann theils in der Hand
hält, theils hinter die Wandleiste gesteckt hat, auf der Adressenseite mit einem
Zeichen versehen, welches durchaus jenem der Steinmetzen gleicht. — Ebenda¬
selbst zeigt uns ein Bild Niederländer Schule (558) das Innere eines öffent¬
lichen Hauses. An der Wand befinden sich die angekreideten Zechen in noch jetzt
üblicher Form und eine Menge solcher Zeichen, die man Steinmetzzeichen zu nennen
pflegt. Wie also jetzt Narrenhände mit Namen Tisch und Wände beschmieren,
so geschah es damals mit der Marke, dem Namenzeichen.

Man kann eine doppelte Art von Steinmetzzeichen unterscheiden. Bis
zum Schluß des vierzehnten Jahrhunderts bestehen sie aus Buchstaben, Kreuzen,
Dreiecken, Eicheln, Sternen, Bundschuhen und einfachen geometrischen Figuren-
Von da an bemerkt man nur noch Zeichen, die aus kreuzweise oder schräg
zusammengestellten Linien bestehen. Auch in der Technik ist ein Unterschied.
Die ersteren sind „gerade gesetzt", d. h. mit senkrecht gestelltem Meißel tief ein¬
geschlagen, die letztern sind „schräg gesetzt", so daß die vertieften Seitenflächen
sich in einem Winkel treffen. Die Enden der Linien haben einen etwas stärker
vertieften Drucker.

Dies Zeichen also ist es, um welches es sich bei der Lossprechung der Diener
handelt. Folgendes sind die hierher gehörigen Bestimmungen. Es soll ein
Meister dem Diener das Zeichen nicht länger vorenthalten als vierzehn Tage,
es sei denn, daß der Diener dem Meister etliche Zeit versäumt hätte. Es ist
mit der Uebergabe des Zeichens eine gottesdienstliche Handlung, jedenfalls
Messe verbunden. Der Meister lädt den Geistlichen und höchstens zehn Ge¬
sellen — wenn nicht der Diener höher hinauf will, was ihm freisteht — zum
Mahle. Es werden dazu geliefert für einen Pfennig Semmeln, für 15 Groschen
(Pfennige?) Brod und 15 Groschen (?) Fleisch und zwei Stübchen Wein-
Nunmehr kann der neue Geselle wandern, wenn ihm der Meister nicht selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/186>, abgerufen am 22.07.2024.