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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Deutschlands nicht anders möglich war. Erst da, wo es sich um die Zusam¬
menfassung mehrerer Localvereine zu einem Gesammtbunde handelt, tritt auch
die Kaiserliche Majestät mit Bestätigung und Garantie ein, obwohl natürlich
in den Reichsstädten und den Kaiserlichen Stammländern auch locale Bil¬
dungen seiner Bestätigung unterlagen.

Die Statuten der Bauhütte sind, wie wir bereits andeuteten, Zunft¬
statuten, wie andere auch. Indessen lag es, wie schon gesagt, in der Art der
Thätigkeit jener an Kirchenbauten beschäftigten Steinmetzen, sich von den
lokalen Zünften abzuzweigen. Diese Steinmetzen sind eine Art Nomaden-
volk und müssen es ja sein. Wo gerade Bauten entstehen, ziehen sie hin';
sind dieselben vollendet oder ins Stocken gerathen, verschwinden sie wieder.
Ihre Heimath ist die gesammte Bauwelt. Deutsche Bauhandwerker wandern
weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, nach Ungarn nach Polen, ja
selbst bis nach Spanien. Wenn es auffällig erscheinen sollte, daß der gothische
Styl so selten provinzielle Sonderheiten ausbildet, daß vielmehr eine Neue¬
rung, eine Erfindung, die etwa in Nordfrankreich oder Straßburg oder Cöln
zuerst auftritt, sich in überraschend kurzer Zeit an den verschiedensten Bauten
wiederfindet, so erhält diese Erscheinung ihre ganz natürliche Erklärung darin, ^
daß Meister und Gesellen der verschiedensten Gegenden durch ihre Wanderun¬
gen in stete Berührung kamen, und daß jeder junge Meister seine Wanderzeit
dazu benutzte, an Ort und Stelle neue meisterliche Leistungen zu studiren.

Da es also eine ansässige Steinmetzenzunft gar nicht gab, da vielmehr
eine Bauhütte in jedem Augenblicke sich neu zu bilden hatte, so war das
dringende Bedürfniß vorhanden. Gesetze und Einrichtungen zu haben, die all¬
gemeingültig waren. Der Meister erhält neue Gesellen, aber er weiß, was er
von ihnen verlangen darf; der Geselle wandert, aber er tritt an dem neuen
Orte gleichsam in den alten Contract ein; der obstinate Lehrling oder Gesell,
der ungesetzlich handelnde Meister kann sich nicht halten, da er nach den
Statuten keiner anderen Hütte Aufnahme oder Unterstützung finden würde.

Dies Bedürfniß ist als Grund für die Bildung allgemeiner Bauhütten
anzusehen. Der Natur der Sache nach sind sie zunächst provinziell; es schließen
sich Gegenden zusammen, die besonders durch den geistigen und kommer¬
ziellen Verkehr aufeinander angewiesen sind; sie haben solche Städte zu Vor¬
orten, denen die größesten Bauten im Gange sind. "Und seynd dieß mahl
4 Haupthütten im Römischen Reich Aufgericht und bestättiget worden, die
Erste zu Straßburg, die Andere zu Wien, die Dritte zu Zürich, die
Vierte zu Köln am Rhein."

"Die Straß burger Haupthütte hat in Handwerksachen zu gebieten,
was abwendig der Mosel ist und Franken, läuft aus an den Thüringer Wald
und Pöbenberg bis an das Pistumb gen Aichstedt und von Aichstedt bis gen


Deutschlands nicht anders möglich war. Erst da, wo es sich um die Zusam¬
menfassung mehrerer Localvereine zu einem Gesammtbunde handelt, tritt auch
die Kaiserliche Majestät mit Bestätigung und Garantie ein, obwohl natürlich
in den Reichsstädten und den Kaiserlichen Stammländern auch locale Bil¬
dungen seiner Bestätigung unterlagen.

Die Statuten der Bauhütte sind, wie wir bereits andeuteten, Zunft¬
statuten, wie andere auch. Indessen lag es, wie schon gesagt, in der Art der
Thätigkeit jener an Kirchenbauten beschäftigten Steinmetzen, sich von den
lokalen Zünften abzuzweigen. Diese Steinmetzen sind eine Art Nomaden-
volk und müssen es ja sein. Wo gerade Bauten entstehen, ziehen sie hin';
sind dieselben vollendet oder ins Stocken gerathen, verschwinden sie wieder.
Ihre Heimath ist die gesammte Bauwelt. Deutsche Bauhandwerker wandern
weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, nach Ungarn nach Polen, ja
selbst bis nach Spanien. Wenn es auffällig erscheinen sollte, daß der gothische
Styl so selten provinzielle Sonderheiten ausbildet, daß vielmehr eine Neue¬
rung, eine Erfindung, die etwa in Nordfrankreich oder Straßburg oder Cöln
zuerst auftritt, sich in überraschend kurzer Zeit an den verschiedensten Bauten
wiederfindet, so erhält diese Erscheinung ihre ganz natürliche Erklärung darin, ^
daß Meister und Gesellen der verschiedensten Gegenden durch ihre Wanderun¬
gen in stete Berührung kamen, und daß jeder junge Meister seine Wanderzeit
dazu benutzte, an Ort und Stelle neue meisterliche Leistungen zu studiren.

Da es also eine ansässige Steinmetzenzunft gar nicht gab, da vielmehr
eine Bauhütte in jedem Augenblicke sich neu zu bilden hatte, so war das
dringende Bedürfniß vorhanden. Gesetze und Einrichtungen zu haben, die all¬
gemeingültig waren. Der Meister erhält neue Gesellen, aber er weiß, was er
von ihnen verlangen darf; der Geselle wandert, aber er tritt an dem neuen
Orte gleichsam in den alten Contract ein; der obstinate Lehrling oder Gesell,
der ungesetzlich handelnde Meister kann sich nicht halten, da er nach den
Statuten keiner anderen Hütte Aufnahme oder Unterstützung finden würde.

Dies Bedürfniß ist als Grund für die Bildung allgemeiner Bauhütten
anzusehen. Der Natur der Sache nach sind sie zunächst provinziell; es schließen
sich Gegenden zusammen, die besonders durch den geistigen und kommer¬
ziellen Verkehr aufeinander angewiesen sind; sie haben solche Städte zu Vor¬
orten, denen die größesten Bauten im Gange sind. „Und seynd dieß mahl
4 Haupthütten im Römischen Reich Aufgericht und bestättiget worden, die
Erste zu Straßburg, die Andere zu Wien, die Dritte zu Zürich, die
Vierte zu Köln am Rhein."

„Die Straß burger Haupthütte hat in Handwerksachen zu gebieten,
was abwendig der Mosel ist und Franken, läuft aus an den Thüringer Wald
und Pöbenberg bis an das Pistumb gen Aichstedt und von Aichstedt bis gen


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[0148] Deutschlands nicht anders möglich war. Erst da, wo es sich um die Zusam¬ menfassung mehrerer Localvereine zu einem Gesammtbunde handelt, tritt auch die Kaiserliche Majestät mit Bestätigung und Garantie ein, obwohl natürlich in den Reichsstädten und den Kaiserlichen Stammländern auch locale Bil¬ dungen seiner Bestätigung unterlagen. Die Statuten der Bauhütte sind, wie wir bereits andeuteten, Zunft¬ statuten, wie andere auch. Indessen lag es, wie schon gesagt, in der Art der Thätigkeit jener an Kirchenbauten beschäftigten Steinmetzen, sich von den lokalen Zünften abzuzweigen. Diese Steinmetzen sind eine Art Nomaden- volk und müssen es ja sein. Wo gerade Bauten entstehen, ziehen sie hin'; sind dieselben vollendet oder ins Stocken gerathen, verschwinden sie wieder. Ihre Heimath ist die gesammte Bauwelt. Deutsche Bauhandwerker wandern weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, nach Ungarn nach Polen, ja selbst bis nach Spanien. Wenn es auffällig erscheinen sollte, daß der gothische Styl so selten provinzielle Sonderheiten ausbildet, daß vielmehr eine Neue¬ rung, eine Erfindung, die etwa in Nordfrankreich oder Straßburg oder Cöln zuerst auftritt, sich in überraschend kurzer Zeit an den verschiedensten Bauten wiederfindet, so erhält diese Erscheinung ihre ganz natürliche Erklärung darin, ^ daß Meister und Gesellen der verschiedensten Gegenden durch ihre Wanderun¬ gen in stete Berührung kamen, und daß jeder junge Meister seine Wanderzeit dazu benutzte, an Ort und Stelle neue meisterliche Leistungen zu studiren. Da es also eine ansässige Steinmetzenzunft gar nicht gab, da vielmehr eine Bauhütte in jedem Augenblicke sich neu zu bilden hatte, so war das dringende Bedürfniß vorhanden. Gesetze und Einrichtungen zu haben, die all¬ gemeingültig waren. Der Meister erhält neue Gesellen, aber er weiß, was er von ihnen verlangen darf; der Geselle wandert, aber er tritt an dem neuen Orte gleichsam in den alten Contract ein; der obstinate Lehrling oder Gesell, der ungesetzlich handelnde Meister kann sich nicht halten, da er nach den Statuten keiner anderen Hütte Aufnahme oder Unterstützung finden würde. Dies Bedürfniß ist als Grund für die Bildung allgemeiner Bauhütten anzusehen. Der Natur der Sache nach sind sie zunächst provinziell; es schließen sich Gegenden zusammen, die besonders durch den geistigen und kommer¬ ziellen Verkehr aufeinander angewiesen sind; sie haben solche Städte zu Vor¬ orten, denen die größesten Bauten im Gange sind. „Und seynd dieß mahl 4 Haupthütten im Römischen Reich Aufgericht und bestättiget worden, die Erste zu Straßburg, die Andere zu Wien, die Dritte zu Zürich, die Vierte zu Köln am Rhein." „Die Straß burger Haupthütte hat in Handwerksachen zu gebieten, was abwendig der Mosel ist und Franken, läuft aus an den Thüringer Wald und Pöbenberg bis an das Pistumb gen Aichstedt und von Aichstedt bis gen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/148>, abgerufen am 26.06.2024.