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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Das dritte Stadium gleicht dem ersten. Allmählich legt sich bei dem
Tobsüchtigen seine hochmüthige Erregtheit und der Taumel des Glückes, und
er versinkt wieder in Schwermuth, um zuletzt, wenn er nicht blödsinnig wird
oder stirbt, wieder verhältnißmäßig gesund zu werden. Indeß kann sowohl
das erste als auch das dritte Stadium fehlen. Auch ist zu bemerken, daß
die Tobsucht nicht immer mit Toben, Lärmen und maßloser Muskelbewegung
verbunden ist, sondern bisweilen allein auf dem Gebiete psychischen Geschehens
verläuft, und daß sich die aufgezählten Symptome fast niemals in einem
Menschen und in jedem Anfalle beisammen finden.

Ein Blick auf das Leben Nero's, wie unsere Schrift es entwickelt, läßt
erkennen, daß die Geschichtschreiber des Alterthums uns Anhaltpunkte in
Menge geliefert haben, um in dem Bilde des Kaisers die Züge zu finden,
welche zu der Behauptung berechtigen, er habe an periodischer Manie ge¬
litten. Nero unterlag drei Anfällen dieser Geistesstörung, die sich der Zeit
nach folgendermaßen abgrenzen:

Der erste Anfall dauerte vom April 59 bis zum Herbst 61 also dritthalb
Jahre. Davon kommen auf die melancholischen Anfangs- und Ausgangs¬
stadien je vier und ein halber Monat, die eigentliche Tobsucht währte
also ein Jahr und neun Monate. Im Anfangsstadium quälten den
Kaiser schauerliche Gesichts- und Gehörshallucinationen, gespenstische Trom¬
petenklänge, wimmernde Klagetöne vom Grabe seiner Mutter her, wilde
Träume u. d. Im Stadium der Tobsucht ließ er sich vom Volke als
Wagenlenker und Harfenspieler bewundern,, feierte er den Tag, wo er
zum ersten Male rasirt wurde, durch ein prunkvolles Fest, forderte er für
seine schlechten Verse den Beifall der Welt. Im dritten Stadium endlich
versank er in Verzagtheit und Schwermuth und trug sich mit Todesgedanken.
Daraus trat wieder geistige Gesundheit ein, und Nero war im letzten Quar¬
tal des Jahres 61 und im ersten des folgenden Jahres weder ein Narr noch
ein Tyrann, sondern ein verständiger und milder Herrscher.

Der zweite Anfall währte vom Herbst 62 bis zum April 65, also wie¬
der zwei Jahre und sechs Monate. Der Kaiser litt diesmal zu Anfang der
Krankheit vorzüglich an Verfolgungswahn, ein melancholisches Endstadium ist
nicht nachzuweisen. Nero wurde jetzt von der Furcht heimgesucht, daß man
'hin nach der Krone und dem Leben trachte, und verfügte infolge dessen
Mehrere Hinrichtungen, darunter die seiner Gemahlin Octavia. Wieder betrat
^ dann die Bühne, dießmal, um seine "mächtige" Stimme bewundern zu
^sser. Er entehrte eine Vestalin im Tempel, feierte scheußliche Bacchanalien,
ergötzte sich jubelnd am Brande, der damals zwei Drittel Roms in Asche
^gte, plünderte die Welt, um seine Domus Aurea zu bauen, und raste gegen
die Christen mit entsetzlichen Martern. Nachdem hierbei überall seine tod-


Das dritte Stadium gleicht dem ersten. Allmählich legt sich bei dem
Tobsüchtigen seine hochmüthige Erregtheit und der Taumel des Glückes, und
er versinkt wieder in Schwermuth, um zuletzt, wenn er nicht blödsinnig wird
oder stirbt, wieder verhältnißmäßig gesund zu werden. Indeß kann sowohl
das erste als auch das dritte Stadium fehlen. Auch ist zu bemerken, daß
die Tobsucht nicht immer mit Toben, Lärmen und maßloser Muskelbewegung
verbunden ist, sondern bisweilen allein auf dem Gebiete psychischen Geschehens
verläuft, und daß sich die aufgezählten Symptome fast niemals in einem
Menschen und in jedem Anfalle beisammen finden.

Ein Blick auf das Leben Nero's, wie unsere Schrift es entwickelt, läßt
erkennen, daß die Geschichtschreiber des Alterthums uns Anhaltpunkte in
Menge geliefert haben, um in dem Bilde des Kaisers die Züge zu finden,
welche zu der Behauptung berechtigen, er habe an periodischer Manie ge¬
litten. Nero unterlag drei Anfällen dieser Geistesstörung, die sich der Zeit
nach folgendermaßen abgrenzen:

Der erste Anfall dauerte vom April 59 bis zum Herbst 61 also dritthalb
Jahre. Davon kommen auf die melancholischen Anfangs- und Ausgangs¬
stadien je vier und ein halber Monat, die eigentliche Tobsucht währte
also ein Jahr und neun Monate. Im Anfangsstadium quälten den
Kaiser schauerliche Gesichts- und Gehörshallucinationen, gespenstische Trom¬
petenklänge, wimmernde Klagetöne vom Grabe seiner Mutter her, wilde
Träume u. d. Im Stadium der Tobsucht ließ er sich vom Volke als
Wagenlenker und Harfenspieler bewundern,, feierte er den Tag, wo er
zum ersten Male rasirt wurde, durch ein prunkvolles Fest, forderte er für
seine schlechten Verse den Beifall der Welt. Im dritten Stadium endlich
versank er in Verzagtheit und Schwermuth und trug sich mit Todesgedanken.
Daraus trat wieder geistige Gesundheit ein, und Nero war im letzten Quar¬
tal des Jahres 61 und im ersten des folgenden Jahres weder ein Narr noch
ein Tyrann, sondern ein verständiger und milder Herrscher.

Der zweite Anfall währte vom Herbst 62 bis zum April 65, also wie¬
der zwei Jahre und sechs Monate. Der Kaiser litt diesmal zu Anfang der
Krankheit vorzüglich an Verfolgungswahn, ein melancholisches Endstadium ist
nicht nachzuweisen. Nero wurde jetzt von der Furcht heimgesucht, daß man
'hin nach der Krone und dem Leben trachte, und verfügte infolge dessen
Mehrere Hinrichtungen, darunter die seiner Gemahlin Octavia. Wieder betrat
^ dann die Bühne, dießmal, um seine „mächtige" Stimme bewundern zu
^sser. Er entehrte eine Vestalin im Tempel, feierte scheußliche Bacchanalien,
ergötzte sich jubelnd am Brande, der damals zwei Drittel Roms in Asche
^gte, plünderte die Welt, um seine Domus Aurea zu bauen, und raste gegen
die Christen mit entsetzlichen Martern. Nachdem hierbei überall seine tod-


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[0145] Das dritte Stadium gleicht dem ersten. Allmählich legt sich bei dem Tobsüchtigen seine hochmüthige Erregtheit und der Taumel des Glückes, und er versinkt wieder in Schwermuth, um zuletzt, wenn er nicht blödsinnig wird oder stirbt, wieder verhältnißmäßig gesund zu werden. Indeß kann sowohl das erste als auch das dritte Stadium fehlen. Auch ist zu bemerken, daß die Tobsucht nicht immer mit Toben, Lärmen und maßloser Muskelbewegung verbunden ist, sondern bisweilen allein auf dem Gebiete psychischen Geschehens verläuft, und daß sich die aufgezählten Symptome fast niemals in einem Menschen und in jedem Anfalle beisammen finden. Ein Blick auf das Leben Nero's, wie unsere Schrift es entwickelt, läßt erkennen, daß die Geschichtschreiber des Alterthums uns Anhaltpunkte in Menge geliefert haben, um in dem Bilde des Kaisers die Züge zu finden, welche zu der Behauptung berechtigen, er habe an periodischer Manie ge¬ litten. Nero unterlag drei Anfällen dieser Geistesstörung, die sich der Zeit nach folgendermaßen abgrenzen: Der erste Anfall dauerte vom April 59 bis zum Herbst 61 also dritthalb Jahre. Davon kommen auf die melancholischen Anfangs- und Ausgangs¬ stadien je vier und ein halber Monat, die eigentliche Tobsucht währte also ein Jahr und neun Monate. Im Anfangsstadium quälten den Kaiser schauerliche Gesichts- und Gehörshallucinationen, gespenstische Trom¬ petenklänge, wimmernde Klagetöne vom Grabe seiner Mutter her, wilde Träume u. d. Im Stadium der Tobsucht ließ er sich vom Volke als Wagenlenker und Harfenspieler bewundern,, feierte er den Tag, wo er zum ersten Male rasirt wurde, durch ein prunkvolles Fest, forderte er für seine schlechten Verse den Beifall der Welt. Im dritten Stadium endlich versank er in Verzagtheit und Schwermuth und trug sich mit Todesgedanken. Daraus trat wieder geistige Gesundheit ein, und Nero war im letzten Quar¬ tal des Jahres 61 und im ersten des folgenden Jahres weder ein Narr noch ein Tyrann, sondern ein verständiger und milder Herrscher. Der zweite Anfall währte vom Herbst 62 bis zum April 65, also wie¬ der zwei Jahre und sechs Monate. Der Kaiser litt diesmal zu Anfang der Krankheit vorzüglich an Verfolgungswahn, ein melancholisches Endstadium ist nicht nachzuweisen. Nero wurde jetzt von der Furcht heimgesucht, daß man 'hin nach der Krone und dem Leben trachte, und verfügte infolge dessen Mehrere Hinrichtungen, darunter die seiner Gemahlin Octavia. Wieder betrat ^ dann die Bühne, dießmal, um seine „mächtige" Stimme bewundern zu ^sser. Er entehrte eine Vestalin im Tempel, feierte scheußliche Bacchanalien, ergötzte sich jubelnd am Brande, der damals zwei Drittel Roms in Asche ^gte, plünderte die Welt, um seine Domus Aurea zu bauen, und raste gegen die Christen mit entsetzlichen Martern. Nachdem hierbei überall seine tod-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/145>, abgerufen am 29.06.2024.