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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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dessen Hofe der Julius Pelignus herum, der mit seiner Mißgestalt und Albern¬
heit die Zielscheibe von allerhand Späßen war. Agrippina übertrug mit
ihrem Blute auf Caligula die ganze Depravation, welcher die Julier verfallen
waren. Ihre Großmutter war wegen ekelerregender Sittenlosigkeit von Au-
t!"sens verlassen worden. Ihre Mutter, zwar geistig begabt, aber voller Ränke,
übertraf nächst der Messalina an Ausschweifungen alle Weiber der Welt.
Bon ihrem eignen Bater verbannt, starb sie in der Einsamkeit auf Rhegium.
Ihre Schwester glich der Mutter auf ein Haar und starb gleichfalls im Exil.
Ihre drei Brüder Cajus, Lucius und Agrippa pflegte Augustus seine "drei
Eiterbeulen und Krebsgeschwüre" zu nennen. Sie waren schon als Knaben
wollüstig und blutdürstig. Vorzüglich Agrippa zeichnete sich durch allerlei ab¬
geschmackte Neigungen und Triebe aus. Er war dumm, roh, brutal, jäh¬
zornig, aller edleren Gefühle unfähig und von einer solchen Verkehrtheit des
Geistes und Gemüthes, daß er mit den zunehmenden Jahren nicht nur keine
seiner Unarten ablegte, sondern sogar weniger tractabel und toller wurde.
Agrippina glich ihrer Stiefgroßmutter Livia, so kalt und leidenschaftslos wie
^ehe, übertraf sie dieselbe an Herrschsucht. Sie war Mannweib. Indem sie
'dren Gatten Germaniens auf seinen Feldzügen begleitete, trat sie wiederholt
selbst als Befehlshaber auf. Weichere Gefühle mangelten ihr gänzlich. Seer-
^ut beschwor sie ihr Gemahl, ihr unbändiges Wesen abzulegen, sich unter
die Hand des Schicksals zu beugen und nach der Rückkehr in die Hauptstadt
dicht durch Trachten nach Einfluß die höhere Gewalt gegen sich zu reizen,
vergebens, sie war unfähig, sich jemand zu fügen. Nach Herrschergewalt be>
öierig, hatte sie mit männlichem Trotze weibliche Schwächen ein für alle Mal
abgestreift. Dabei hatte sie eine ungemetn freche Zunge, der sie gegen jeder¬
mann am Hofe freien Lauf ließ. Das war die Familie, welcher Caligula an-
Kchörte, das die Erbschaft, die ihm von seinen Ahnen zu Theil wurde. Wir
^irfen uns nicht wundern, wenn sie bei ihm in vollständige Verrücktheit
Ausartete, zumal er überdieß schon in der Jugend von der fallenden Sucht
Keplagt war.

Sein Nachfolger Claudius, ein Sohn des Drusus und der Antonia, die
^me Tochter der jüngeren Schwester des Augustus war, gehörte von Geburt
zu derjenigen Klasse der Geisteskranken, die man als Blödsinnige bezeichnet,
^eine Mutter nannte ihn eine "Mißgeburt, die von der Natur nur angefangen,
^er nicht vollendet worden," und wenn sie von jemand recht wegwerfend
frechen wollte, so sagte sie, er sei dümmer als ihr Sohn Claudius. Eine
Herrenhausen befindliche Broneebüste von ihm rief dem Verfasser unsrer
Schrift "lebhaft die Züge eines verstorbenen Arztes ins Gedächtniß zurück,
Welcher in der Dummheit Unglaubliches leistete, und in dessen Mienen sich der
Ausdruck bewußter Inferiorität und dadurch bewirkter Angst seinen College"


dessen Hofe der Julius Pelignus herum, der mit seiner Mißgestalt und Albern¬
heit die Zielscheibe von allerhand Späßen war. Agrippina übertrug mit
ihrem Blute auf Caligula die ganze Depravation, welcher die Julier verfallen
waren. Ihre Großmutter war wegen ekelerregender Sittenlosigkeit von Au-
t!»sens verlassen worden. Ihre Mutter, zwar geistig begabt, aber voller Ränke,
übertraf nächst der Messalina an Ausschweifungen alle Weiber der Welt.
Bon ihrem eignen Bater verbannt, starb sie in der Einsamkeit auf Rhegium.
Ihre Schwester glich der Mutter auf ein Haar und starb gleichfalls im Exil.
Ihre drei Brüder Cajus, Lucius und Agrippa pflegte Augustus seine „drei
Eiterbeulen und Krebsgeschwüre" zu nennen. Sie waren schon als Knaben
wollüstig und blutdürstig. Vorzüglich Agrippa zeichnete sich durch allerlei ab¬
geschmackte Neigungen und Triebe aus. Er war dumm, roh, brutal, jäh¬
zornig, aller edleren Gefühle unfähig und von einer solchen Verkehrtheit des
Geistes und Gemüthes, daß er mit den zunehmenden Jahren nicht nur keine
seiner Unarten ablegte, sondern sogar weniger tractabel und toller wurde.
Agrippina glich ihrer Stiefgroßmutter Livia, so kalt und leidenschaftslos wie
^ehe, übertraf sie dieselbe an Herrschsucht. Sie war Mannweib. Indem sie
'dren Gatten Germaniens auf seinen Feldzügen begleitete, trat sie wiederholt
selbst als Befehlshaber auf. Weichere Gefühle mangelten ihr gänzlich. Seer-
^ut beschwor sie ihr Gemahl, ihr unbändiges Wesen abzulegen, sich unter
die Hand des Schicksals zu beugen und nach der Rückkehr in die Hauptstadt
dicht durch Trachten nach Einfluß die höhere Gewalt gegen sich zu reizen,
vergebens, sie war unfähig, sich jemand zu fügen. Nach Herrschergewalt be>
öierig, hatte sie mit männlichem Trotze weibliche Schwächen ein für alle Mal
abgestreift. Dabei hatte sie eine ungemetn freche Zunge, der sie gegen jeder¬
mann am Hofe freien Lauf ließ. Das war die Familie, welcher Caligula an-
Kchörte, das die Erbschaft, die ihm von seinen Ahnen zu Theil wurde. Wir
^irfen uns nicht wundern, wenn sie bei ihm in vollständige Verrücktheit
Ausartete, zumal er überdieß schon in der Jugend von der fallenden Sucht
Keplagt war.

Sein Nachfolger Claudius, ein Sohn des Drusus und der Antonia, die
^me Tochter der jüngeren Schwester des Augustus war, gehörte von Geburt
zu derjenigen Klasse der Geisteskranken, die man als Blödsinnige bezeichnet,
^eine Mutter nannte ihn eine „Mißgeburt, die von der Natur nur angefangen,
^er nicht vollendet worden," und wenn sie von jemand recht wegwerfend
frechen wollte, so sagte sie, er sei dümmer als ihr Sohn Claudius. Eine
Herrenhausen befindliche Broneebüste von ihm rief dem Verfasser unsrer
Schrift „lebhaft die Züge eines verstorbenen Arztes ins Gedächtniß zurück,
Welcher in der Dummheit Unglaubliches leistete, und in dessen Mienen sich der
Ausdruck bewußter Inferiorität und dadurch bewirkter Angst seinen College»


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[0139] dessen Hofe der Julius Pelignus herum, der mit seiner Mißgestalt und Albern¬ heit die Zielscheibe von allerhand Späßen war. Agrippina übertrug mit ihrem Blute auf Caligula die ganze Depravation, welcher die Julier verfallen waren. Ihre Großmutter war wegen ekelerregender Sittenlosigkeit von Au- t!»sens verlassen worden. Ihre Mutter, zwar geistig begabt, aber voller Ränke, übertraf nächst der Messalina an Ausschweifungen alle Weiber der Welt. Bon ihrem eignen Bater verbannt, starb sie in der Einsamkeit auf Rhegium. Ihre Schwester glich der Mutter auf ein Haar und starb gleichfalls im Exil. Ihre drei Brüder Cajus, Lucius und Agrippa pflegte Augustus seine „drei Eiterbeulen und Krebsgeschwüre" zu nennen. Sie waren schon als Knaben wollüstig und blutdürstig. Vorzüglich Agrippa zeichnete sich durch allerlei ab¬ geschmackte Neigungen und Triebe aus. Er war dumm, roh, brutal, jäh¬ zornig, aller edleren Gefühle unfähig und von einer solchen Verkehrtheit des Geistes und Gemüthes, daß er mit den zunehmenden Jahren nicht nur keine seiner Unarten ablegte, sondern sogar weniger tractabel und toller wurde. Agrippina glich ihrer Stiefgroßmutter Livia, so kalt und leidenschaftslos wie ^ehe, übertraf sie dieselbe an Herrschsucht. Sie war Mannweib. Indem sie 'dren Gatten Germaniens auf seinen Feldzügen begleitete, trat sie wiederholt selbst als Befehlshaber auf. Weichere Gefühle mangelten ihr gänzlich. Seer- ^ut beschwor sie ihr Gemahl, ihr unbändiges Wesen abzulegen, sich unter die Hand des Schicksals zu beugen und nach der Rückkehr in die Hauptstadt dicht durch Trachten nach Einfluß die höhere Gewalt gegen sich zu reizen, vergebens, sie war unfähig, sich jemand zu fügen. Nach Herrschergewalt be> öierig, hatte sie mit männlichem Trotze weibliche Schwächen ein für alle Mal abgestreift. Dabei hatte sie eine ungemetn freche Zunge, der sie gegen jeder¬ mann am Hofe freien Lauf ließ. Das war die Familie, welcher Caligula an- Kchörte, das die Erbschaft, die ihm von seinen Ahnen zu Theil wurde. Wir ^irfen uns nicht wundern, wenn sie bei ihm in vollständige Verrücktheit Ausartete, zumal er überdieß schon in der Jugend von der fallenden Sucht Keplagt war. Sein Nachfolger Claudius, ein Sohn des Drusus und der Antonia, die ^me Tochter der jüngeren Schwester des Augustus war, gehörte von Geburt zu derjenigen Klasse der Geisteskranken, die man als Blödsinnige bezeichnet, ^eine Mutter nannte ihn eine „Mißgeburt, die von der Natur nur angefangen, ^er nicht vollendet worden," und wenn sie von jemand recht wegwerfend frechen wollte, so sagte sie, er sei dümmer als ihr Sohn Claudius. Eine Herrenhausen befindliche Broneebüste von ihm rief dem Verfasser unsrer Schrift „lebhaft die Züge eines verstorbenen Arztes ins Gedächtniß zurück, Welcher in der Dummheit Unglaubliches leistete, und in dessen Mienen sich der Ausdruck bewußter Inferiorität und dadurch bewirkter Angst seinen College»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/139>, abgerufen am 22.07.2024.