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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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aber die letzte Entscheidung war doch auch hier durch religiöse Bestimmungs¬
gründe hervorgebracht worden. Es handelte sich bekanntlich um die Aufhebung des
Patronats und die Herstellung der freien Pfarrwahl. Das waren die For¬
derungen der lebendig evangelischen, streng orthodoxen Partei. Dieselben
ruhten aus historischem Boden und hatten eine rechtliche Basis. Die freie
Pfarrerwahl war der schottischen Kirche 1690 und 1707 versprochen, aber
schon 1712 von Königin Anna durch Einführung des Patronats entzogen
worden. Die schottische Kirche protestirte dagegen und zwar ohne Unterschied
der Parteien. Indessen allmählich trat eine Wandlung ein. Im 18. Jahr¬
hundert verbreitete sich auch in Schottland eine rationalisirende Richtung,
welche sich mit dem Patronat befreundete. Die Patrone zogen Pfarrer,
welche ihr angehörten, vor. Es kam noch hinzu, daß Patrone, die der bischöf¬
lichen anglikanischen Kirche zugethan waren, auch Pfarrer beriefen, welche für
diese, aber nicht für die presbyterianische Kirche, Sympathien hegten. So
konnte es dahin kommen, daß der Kampf für das Patronat und gegen dasselbe
ziemlich identisch wurde mit dem Gegensatz theils zwischen Rationalismus
und Orthodoxie, theils zwischen Anglikanismus und Presbyterianismus. Als
daher der Staat fortfuhr, das Patronat aufrecht zu erhalten, so erschien
das Band zwischen Kirche und Staat als ein Mittel, die Entwicklung eines
tieferen christlichen Lebens zu hemmen und den Bestand der unter schweren
Kämpfen gebildeten Form der Kirche zu erschüttern. Nur so sind die Aeuße¬
rungen zu begreifen, welche wir von Vertretern der schottischen Freikirche
vernehmen. "Das Patronat ist ein Gewächs, welches unser himmlischer
Vater nicht gepflanzt hat, das folglich mit der Wurzel herausgerissen werden
muß," erklärte ein Geistlicher, Cunningham auf der General-Synode von 1841.
Und Chalmers begründete die Grundsätze, aus denen die schottische Freikirche
erwachsen ist, auf der General-Synode von 1840, mit den energischen Worten:
"das unterscheidende Merkmal des Presbyterianismus besteht darin, daß die
Kirche ihr eigenes Regiment besitzt und in der Leitung ihrer Angelegenheiten
von jeder weltlichen Beaufsichtigung so unabhängig sein muß, als ob sie aus
dem Staatsschatze keinen Heller erhielte. Diesen Grundsatz betrachte ich als
einen besonderen Ruhm der schottischen Kirche. Für seine Aufrechthaltung
haben wir gestritten und länger als ein Jahrhundert hindurch Kämpfe und
Verfolgungen ausgehalten. Derselbe kostet uns zu viel, als daß wir ihn jetzt
wieder aufgeben sollten; er hat vielleicht geschlummert, ist aber keineswegs
untergegangen. Es ist möglich, daß eine alte Verfassungsurkunde lange Zeit
in den Archiven ruht, ohne daß man ihr große Aufmerksamkeit zollt. Man
mache aber gewaltthätige Angriffe auf dieselbe, so wird sich das Volk ihrer
augenblicklich erinnern. So die großen Prüfungen, welche zu dieser Stunde
über unsere Kirche kommen; es ist ihr erhabner Zweck, das Volk mächtig auf-


aber die letzte Entscheidung war doch auch hier durch religiöse Bestimmungs¬
gründe hervorgebracht worden. Es handelte sich bekanntlich um die Aufhebung des
Patronats und die Herstellung der freien Pfarrwahl. Das waren die For¬
derungen der lebendig evangelischen, streng orthodoxen Partei. Dieselben
ruhten aus historischem Boden und hatten eine rechtliche Basis. Die freie
Pfarrerwahl war der schottischen Kirche 1690 und 1707 versprochen, aber
schon 1712 von Königin Anna durch Einführung des Patronats entzogen
worden. Die schottische Kirche protestirte dagegen und zwar ohne Unterschied
der Parteien. Indessen allmählich trat eine Wandlung ein. Im 18. Jahr¬
hundert verbreitete sich auch in Schottland eine rationalisirende Richtung,
welche sich mit dem Patronat befreundete. Die Patrone zogen Pfarrer,
welche ihr angehörten, vor. Es kam noch hinzu, daß Patrone, die der bischöf¬
lichen anglikanischen Kirche zugethan waren, auch Pfarrer beriefen, welche für
diese, aber nicht für die presbyterianische Kirche, Sympathien hegten. So
konnte es dahin kommen, daß der Kampf für das Patronat und gegen dasselbe
ziemlich identisch wurde mit dem Gegensatz theils zwischen Rationalismus
und Orthodoxie, theils zwischen Anglikanismus und Presbyterianismus. Als
daher der Staat fortfuhr, das Patronat aufrecht zu erhalten, so erschien
das Band zwischen Kirche und Staat als ein Mittel, die Entwicklung eines
tieferen christlichen Lebens zu hemmen und den Bestand der unter schweren
Kämpfen gebildeten Form der Kirche zu erschüttern. Nur so sind die Aeuße¬
rungen zu begreifen, welche wir von Vertretern der schottischen Freikirche
vernehmen. „Das Patronat ist ein Gewächs, welches unser himmlischer
Vater nicht gepflanzt hat, das folglich mit der Wurzel herausgerissen werden
muß," erklärte ein Geistlicher, Cunningham auf der General-Synode von 1841.
Und Chalmers begründete die Grundsätze, aus denen die schottische Freikirche
erwachsen ist, auf der General-Synode von 1840, mit den energischen Worten:
„das unterscheidende Merkmal des Presbyterianismus besteht darin, daß die
Kirche ihr eigenes Regiment besitzt und in der Leitung ihrer Angelegenheiten
von jeder weltlichen Beaufsichtigung so unabhängig sein muß, als ob sie aus
dem Staatsschatze keinen Heller erhielte. Diesen Grundsatz betrachte ich als
einen besonderen Ruhm der schottischen Kirche. Für seine Aufrechthaltung
haben wir gestritten und länger als ein Jahrhundert hindurch Kämpfe und
Verfolgungen ausgehalten. Derselbe kostet uns zu viel, als daß wir ihn jetzt
wieder aufgeben sollten; er hat vielleicht geschlummert, ist aber keineswegs
untergegangen. Es ist möglich, daß eine alte Verfassungsurkunde lange Zeit
in den Archiven ruht, ohne daß man ihr große Aufmerksamkeit zollt. Man
mache aber gewaltthätige Angriffe auf dieselbe, so wird sich das Volk ihrer
augenblicklich erinnern. So die großen Prüfungen, welche zu dieser Stunde
über unsere Kirche kommen; es ist ihr erhabner Zweck, das Volk mächtig auf-


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[0127] aber die letzte Entscheidung war doch auch hier durch religiöse Bestimmungs¬ gründe hervorgebracht worden. Es handelte sich bekanntlich um die Aufhebung des Patronats und die Herstellung der freien Pfarrwahl. Das waren die For¬ derungen der lebendig evangelischen, streng orthodoxen Partei. Dieselben ruhten aus historischem Boden und hatten eine rechtliche Basis. Die freie Pfarrerwahl war der schottischen Kirche 1690 und 1707 versprochen, aber schon 1712 von Königin Anna durch Einführung des Patronats entzogen worden. Die schottische Kirche protestirte dagegen und zwar ohne Unterschied der Parteien. Indessen allmählich trat eine Wandlung ein. Im 18. Jahr¬ hundert verbreitete sich auch in Schottland eine rationalisirende Richtung, welche sich mit dem Patronat befreundete. Die Patrone zogen Pfarrer, welche ihr angehörten, vor. Es kam noch hinzu, daß Patrone, die der bischöf¬ lichen anglikanischen Kirche zugethan waren, auch Pfarrer beriefen, welche für diese, aber nicht für die presbyterianische Kirche, Sympathien hegten. So konnte es dahin kommen, daß der Kampf für das Patronat und gegen dasselbe ziemlich identisch wurde mit dem Gegensatz theils zwischen Rationalismus und Orthodoxie, theils zwischen Anglikanismus und Presbyterianismus. Als daher der Staat fortfuhr, das Patronat aufrecht zu erhalten, so erschien das Band zwischen Kirche und Staat als ein Mittel, die Entwicklung eines tieferen christlichen Lebens zu hemmen und den Bestand der unter schweren Kämpfen gebildeten Form der Kirche zu erschüttern. Nur so sind die Aeuße¬ rungen zu begreifen, welche wir von Vertretern der schottischen Freikirche vernehmen. „Das Patronat ist ein Gewächs, welches unser himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, das folglich mit der Wurzel herausgerissen werden muß," erklärte ein Geistlicher, Cunningham auf der General-Synode von 1841. Und Chalmers begründete die Grundsätze, aus denen die schottische Freikirche erwachsen ist, auf der General-Synode von 1840, mit den energischen Worten: „das unterscheidende Merkmal des Presbyterianismus besteht darin, daß die Kirche ihr eigenes Regiment besitzt und in der Leitung ihrer Angelegenheiten von jeder weltlichen Beaufsichtigung so unabhängig sein muß, als ob sie aus dem Staatsschatze keinen Heller erhielte. Diesen Grundsatz betrachte ich als einen besonderen Ruhm der schottischen Kirche. Für seine Aufrechthaltung haben wir gestritten und länger als ein Jahrhundert hindurch Kämpfe und Verfolgungen ausgehalten. Derselbe kostet uns zu viel, als daß wir ihn jetzt wieder aufgeben sollten; er hat vielleicht geschlummert, ist aber keineswegs untergegangen. Es ist möglich, daß eine alte Verfassungsurkunde lange Zeit in den Archiven ruht, ohne daß man ihr große Aufmerksamkeit zollt. Man mache aber gewaltthätige Angriffe auf dieselbe, so wird sich das Volk ihrer augenblicklich erinnern. So die großen Prüfungen, welche zu dieser Stunde über unsere Kirche kommen; es ist ihr erhabner Zweck, das Volk mächtig auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/127>, abgerufen am 22.07.2024.